Coaching Kids
von: Philipp Schoeller, Jerzy May
Herbig, 2005
ISBN: 9783776624205
Sprache: Deutsch
160 Seiten, Download: 535 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
2. Spiel mit der Zeit(Lupe) (S.39)
Essen fällt auf den Boden – Nährboden der Phantasie
Mit dabei: Die Halbgeschwister Nadine (15) und Felix (2 1/2)
Während die Eltern mit Freunden ausgegangen sind, passt Nadine auf ihren kleinen Halbbruder Felix auf. Zum Abendessen hat Nadine Reis mit Gemüse gemacht. Da sie nicht nur gerne kocht, sondern auch gerne malt, hat sie ihre Freude an Farben auch beim Kochen im Wok ausgelebt. Paprika, Karotte und Zucchini fächern ein rot-orange-grünes Muster auf den Teller, umrahmt mit einem »Passepartout« aus hellem und dunklem Reis. Die Optik ihres Lieblingsgerichts könnte sich beim Thailänder um die Ecke sehen lassen. Felix, der darauf bestanden hat, mit einem großen Löffel essen zu dürfen, fängt sofort an, das Kunstwerk nach seinen Vorstellungen zu bearbeiten.
Nadine kann ihn dabei verführen, ab und zu auch eine Löffelladung in den Mund zu stecken. Das Essen bekommt eine kreative Komponente, ohne dabei ein Spiel mit Nahrungsmitteln zu werden. Doch Felix’ Experimentiergeist beweist Eigendynamik. Ein Schwung mit dem (zu) großen Löffel genügt und der Teller rutscht über die Tischkante. Nadine greift reflexartig zu. Sie hat zwar den Teller gerettet, doch Reis und Gemüse liegen auf dem Boden. Nun ist deutlich eine »Grenze« überschritten und sollte an diesem Punkt »ausgelotet« werden.Der Teller ist das Terrain, auf dem das Spiel mit dem Essen erlaubt ist (solange es dann auch gegessen wird), auf dem Boden jedoch ist das Essen entwertet.
Daraus macht Nadine Felix gegenüber auch keinen Hehl. »Das Essen ist runtergefallen. Essen ist etwas Wertvolles. Das müssen wir aufheben!«, sagt Nadine und vermittelt ihre Botschaft eindringlich, aber nicht laut. Sie erklärt, schimpft aber nicht. Felix sieht seine Schwester zunächst mit großen Augen an. Damit die Erklärung nicht abstrakt bleibt, folgt die gemeinsame Praxis. Kurz verschwindet Nadine in der Küche. Felix will gerade anfangen zu quengeln, da steht sie schon wieder neben ihm … mit einer kleinen Mülltüte aus Papier. Dann hebt sie ihren kleinen Bruder aus dem Kinderstühlchen und setzt sich mit ihm auf den Boden. »Schade, jetzt müssen wir das gute Essen wegwerfen«, sagt Nadine ernst, aber ohne jammernden Vorwurf. »Komm, Felix,wir räumen es gemeinsam auf.«
Mit einer Hand hält Nadine die Papiertüte auf, mit der anderen fängt sie in aller Ruhe an, ein Reiskorn in die Tüte zu tun. Dann sieht sie Felix an. »Du bist dran!« Der Kleine blickt immer wieder zwischen dem verstreuten Essen und dem auffordernden Gesicht seiner Schwester hin und her. Dann grabscht er mit einer Hand einen ganzen Reisklumpen und ein Gemüsestückchen und will es ebenfalls in die Tüte bugsieren. Nadine fasst mit beiden Händen an den Rand der Papiertüte und bewegt die Öffnung so, als habe die Tüte einen Mund. Dann spricht sie mit verstellter »Tüten-Stimme«: »Puhhhhh, das war aber ein besonders schmutziger Happen«, und muss ein bisschen husten.
Felix füttert nach und nach das verstreute Gericht in die Tüte. Nadine reagiert immer wieder mit synchronisierten Kommentaren. Da sich die Tüte für Felix personifiziert hat, begreift der Kleine, dass das Spiel Arbeit ist (aber keine Strafe).