Störungen des Sozialverhaltens

Störungen des Sozialverhaltens

von: Lioba Baving

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783540356851

Sprache: Deutsch

189 Seiten, Download: 1411 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Störungen des Sozialverhaltens



3 Was erklärbar ist: Ätiologie und Entwicklungspsychopathologie (S. 17-19)

»Puzzleteile« zum Verständnis von Störungen des Sozialverhaltens finden sich auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen, die jedoch untereinander in einem engen Zusammenhang stehen. Grundsätzlich – wie auch bei anderen kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbildern – geht man für die Störungen des Sozialverhaltens von einem biopsychosozialen Modell aus. Genetische und frühe psychosoziale Faktoren beeinflussen die Neurobiologie des Gehirns und damit die Erlebens- und Verhaltensweisen des Individuums. Biologische und psychosoziale Faktoren der Eltern interagieren mit biologischen und psychosozialen Faktoren des Kindes.

Oft ist es schwierig, die einzelnen Ebenen voneinander zu trennen. Die folgenden Beispiele sollen die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen biologischen und psychosozialen Faktoren verdeutlichen.

Beispiele
Der Befund, dass in Familien, die aus einer sozioökonomisch benachteiligten Gegend wegzogen, weniger Störungen des Sozialverhaltens auftraten, kann einerseits als Beleg für die Bedeutung von Umgebungseinfl üssen interpretiert werden. Andererseits können aber auch Merkmale – biologische wie psychosoziale – einer Familie dazu beitragen, dass sie überhaupt in der Lage ist, eine Gegend mit ungünstigen Lebensbedingungen zu verlassen (Simonoff 2001).

Kinder von sehr jungen Müttern weisen ein erhöhtes Risiko von externalisierenden Verhaltensweisen im Kindesalter und von dissozialen Verhaltensweisen in der Adoleszenz auf (Jaff ee et al. 2001). Hierfür können – biologisch wie psychosozial bestimmte – Eigenschaften der Mutter bedeutsam sein, die sowohl die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft im Teenager- Alter als auch die Wahrscheinlichkeit dissozialen Verhaltens ihres Kindes erhöhen; die Mütter geben also ihre eigenen »Risikofaktoren« an ihre Kinder weiter. Andererseits sind auch die ungünstigen psychosozialen Folgen einer frühen Mutterschaft (z. B. für Ausbildungsniveau, sozioökonomischen Status, Belastung als Alleinerziehende) für die Lebensumstände der Familie und damit des Kindes, unabhängig von Merkmalen der Mutter, zu berücksichtigen.


Ein »Risikofaktor« erhöht die Wahrscheinlichkeit des Auft retens einer Störung bei einer Person, die von diesem Faktor betroff en ist, verglichen mit einer Person, die von diesem Faktor nicht betroff en ist. Unterschiedliche Risikofaktoren liefern eigenständige Beiträge zum Verständnis der Entwicklung von Störungen des Sozialverhaltens (Dodge 2001), und die Heterogenität der Störungen des Sozialverhaltens beruht u. a. auf interindividuellen Unterschieden in den Risikofaktoren wie auch Entwicklungswegen. Andererseits können verschiedene Risikofaktoren das gleiche Problemverhalten oder die gleiche Störung verursachen (Äquifi nalität). So wiesen – bei etwa gleich hohem Gesamtrisiko für die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens – unterschiedliche Gruppen von Kindern mit unterschiedlichen Risikofaktoren dennoch ein vergleichbares Ausmaß aggressiven Verhaltens auf; dieses war aber bei manchen Kindern eher auf ungünstiges elterliches Erziehungsverhalten zurückzuführen, bei anderen Kindern dagegen eher auf negative Interaktionen mit Gleichaltrigen (Deater-Deckard et al. 1998).

! Jeder genetische wie auch psychosoziale Risikofaktor für sich betrachtet hat in der Regel keinen bedeutsamen Effeekt auf disruptives Verhalten, wichtig ist vielmehr die Kumulation mehrerer Risikofaktoren. Die Wahrscheinlichkeit disruptiven Verhaltens nimmt also mit dem Auftreten und Wirksamwerden von Risikofaktoren zu, die ihrerseits wiederum weitere Risikofaktoren begünstigen können.

Präventive Bemühungen streben somit eine Abnahme von Risikofaktoren und Zunahme von protektiven Faktoren an. Wichtig ist, dass die wissenschaft liche Untersuchung von Risikofaktoren ursächliche Faktoren erfassen sollte, die auslösend und aufrechterhaltend für Störungen des Sozialverhaltens sind, nicht dagegen solche Variablen, die lediglich Begleiterscheinungen von Störungen des Sozialverhaltens darstellen.

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