Internet und Gesellschaft - Wie das Netz unsere Kommunikation verändert

Internet und Gesellschaft - Wie das Netz unsere Kommunikation verändert

von: Christian Papsdorf

Campus Verlag, 2013

ISBN: 9783593421582

Sprache: Deutsch

350 Seiten, Download: 5261 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Internet und Gesellschaft - Wie das Netz unsere Kommunikation verändert



1 Einleitung

1996 veröffentlichte John Perry Barlow (vgl. 2013: online) seine Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace. Die ersten Zeilen lauten:

»Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather.
We have no elected government, nor are we likely to have one, so I address you with no greater authority than that with which liberty itself always speaks. I declare the global social space we are building to be naturally independent of the tyrannies you seek to impose on us. You have no moral right to rule us nor do you possess any methods of enforcement we have true reason to fear.«

Barlow schrieb das gleichermaßen überzogene wie sympathische Manifest als Reaktion auf den »Telecommunication Reform Act«, der erstmals das Internet (de-) regulierte. Die Warnung an die müden Giganten aus Fleisch und Stahl ist aber gleichzeitig eine schöne Illustration einiger der zentralen Themen des vorliegenden Buches. Da wäre zunächst die Gegenüberstellung von Internet und Gesellschaft, beziehungsweise der alten und der neuen Zeit. Während Barlow die Gegensätze zwischen beiden Welten hervorhebt, geht diese Arbeit davon aus, dass die Unterschiede, aber gerade auch die Gemeinsamkeiten im Sinne einer Verbindung der zwei Sphären bedeutsam sind. Schließlich sind die User noch immer ganz körperliche Wesen und damit unweigerlich in der physischen Welt verhaftet. Weiter schreibt Barlow von Globalität, Egalität, Freiheit und Autonomie als maßgebliche Eigenschaften des Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Dies sind ohne Frage Ideale, die von den frühen Webpionieren in die technische Architektur des Web eingefügt worden sind. Interessant ist nun aber, inwieweit die massenhafte Internetkommunikation noch immer im Sinne der Erfinder und Erfinderinnen ist. Diese technisch-mediale Dimension soll auch deshalb im Folgenden betrachtet werden, weil sie (anscheinend) so stark von bisher bekannten Kommunikationsformen und -medien abweicht. Zum dritten lässt sich aus dem oben stehenden Zitat ablesen, dass dem Internet offensichtlich eine bestimmte Selektivität zugrunde liegt. Während manche Elemente des Politischen (die Tyrannei der gewählten Regierungen) gerade keinen Weg ins Web finden, ist die Autorität der Freiheit ein wichtiges Element der Web-Kommunikation. Etwas allgemeiner gesprochen soll es im Folgenden auch darum gehen, welche gesellschaftlichen Kommunikationen über das Internet realisiert werden und welche nicht.

Grundlegend ist ein Leben ohne das Internet heute vielerorts nicht mehr vorstellbar. Obwohl das Web erst seit gut zehn Jahren eine nennenswerte Zahl von Usern hat, verursachte es bisher tief greifende Veränderungen in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft. Und das ist nur der Anfang der Geschichte. Im Vergleich zur Gutenberg-Galaxis (McLuhan 1968; zuerst 1962) und dem Zeitalter der elektronischen Medien (vgl. Castells 2004 zur McLuhan-Galaxis) ging die Entwicklung der digitalen Medien äußerst rasant vonstatten. So weisen zum einen verschiedene quantitative Kennziffern, wie die Zahl an verfügbaren Webseiten oder die Menge an internetfähigen Endgeräten, für die Turing-Galaxis (vgl. Coy 1995) ein fast schon unglaubliches Wachstum aus. Zum anderen deuten sich qualitative Veränderungen für wichtige Bereiche der Gesellschaft an.

Ein viel zitiertes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Wandel im Verhältnis zwischen Produzierenden und Konsumierenden, wie er etwa bei Crowdsourcing-Phänomenen (vgl. Papsdorf 2009) oder im Rahmen des partizipativen Journalismus (vgl. Neuberger 2009) zu finden ist. Es ändern sich Rollenverhältnisse, die Reichweite von Kommunikationen und damit von sozialen Zusammenhängen oder die Taktung von medienvermitteltem Handeln. Ganze Wirtschaftszweige entstehen binnen weniger Jahre, während andere drastisch an Bedeutung verlieren. Die Medienlandschaft erlebt eine bemerkenswerte Wandlung, Wissenschaft und Politik beispielsweise stehen neuen Herausforderungen gegenüber. Diese und viele weitere Veränderungen sind eingebettet in Kommunikationen, die über ein spezifisches und noch immer verhältnismäßig wenig erforschtes Infrastruktursystem realisiert werden: das Internet. Ein zentrales Thema der vorliegenden Arbeit bildet die Frage, worin das spezifisch Neue an der Internet-Kommunikation aus soziologischer Perspektive besteht. Sie soll beantwortet werden, indem den Wechselwirkungen zwischen der Gesellschaft und dem Internet auf den Grund gegangen wird. Dabei ist beispielsweise von Interesse, ob die neuen Rollenverhältnisse auf das Internet beschränkt bleiben, ob sie ihren Ursprung »im« Internet haben oder ob sie lediglich einen besonders prägnanten Ausdruck im Rahmen von Online-Kommunikation finden? Diese und viele andere Fragen wurden zwar bereits an verschiedenen Stellen formuliert, bisher jedoch nicht hinreichend und systematisch beantwortet. Vielmehr verblieben die Analysen auf der Ebene von Einzelphänomenen, während das Internet »als Ganzes« eigentümlich marginalisiert wurde.

Im Folgenden wird »Internethandeln« konsequent als Kommunikation verstanden. Das Web ist eine technologische Plattform für eine unendliche Variation an digitalen (oder digitalisierten) Medien, die ihrerseits nichts als Kommunikation realisieren. Weiterführende Interpretationen, etwa zu virtuellen Räumen zu digitalen Identitäten, müssen auch als solche verstanden werden und führen vor allem dazu, dass der Dreh- und Angelpunkt der gesellschaftlichen Bedeutung des Internets, nämlich die spezifischen Formen und Praktiken der Kommunikation, aus dem Blick geraten. In diesem Sinne ist auch der Titel des vorliegenden Buches zu verstehen. Es werden Internet und Gesellschaft zueinander ins Verhältnis gesetzt und zwar im Rahmen der kommunikativen Dimension. Es wird also darum gehen, wie und inwiefern Internetkommunikation die »klassische« gesellschaftliche Kommunikation beeinflusst und anders herum. Ausgehend von einem weiten Medienverständnis, das auch Geld, Macht, Liebe oder Wahrheit umfasst, kann so beispielsweise analysiert werden, wie Eilmeldungen, politische Partizipationsprozesse oder ganze Finanzstränge das Medium wechseln und welche Konsequenzen dies hat.

Im Folgenden wird das vorrangige Ziel darin bestehen, einen tragfähigen theoretischen Rahmen für diesen Prozess zu entwickeln, der stellenweise mit Inhalten gefüllt werden soll. Der Untertitel präzisiert dieses Thema auf dreifache Weise. »Wie das Netz unsere Kommunikation verändert« steht in einer ersten und allgemeinen Lesart für einen Prozess, indem immer größere Teile der gesellschaftlichen Kommunikation über Internetmedien realisiert werden und dabei eine qualitative Veränderung erfahren. Diese Entwicklung besteht aus zwei bedeutsamen Teilprozessen: Die zweite Lesart folgt dementsprechend der Annahme, dass die zunehmende Nutzung des Internets Auswirkungen (eventuell auch in Form von Konkurrenz) auf Kommunikation im Rahmen klassischer Medien (wie Telefon, Fernsehen oder Zeitung) hat. Und drittens wird davon ausgegangen, dass »unsere Kommunikation« das Internet ganz maßgeblich beeinflusst. Dementsprechend könnte es auch heißen: »Wie unsere Kommunikation das Netz beeinflusst«. Dies ist sicher die ungewöhnlichste, aber wahrscheinlich spannendste Lesart. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Entwicklung des Internets vor allem über die Analyse der Kommunikationsinhalte nachzeichnen lässt. Die dritte Lesart wird in den folgenden Kapiteln eine herausgehobene Rolle spielen.

Die Nutzung des Internets berührt eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen. Für die Sozialwissenschaften ist das Thema im Speziellen relevant, insofern es sich zum einen um eine Technologie handelt, deren zentrale Funktion in Kommunikation besteht, die aber zum anderen vielfältige Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Realität hat. Gleichwohl wird nachfolgend nicht von einem Dualismus zwischen Internet und Gesellschaft oder einer einseitigen Ursache-Wirkung-Konstellation ausgegangen. Vielmehr wird (in Anknüpfung an die drei Lesarten des Untertitels) ein integratives Modell angestrebt, das gerade die Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zum Thema macht. Davon unabhängig ist festzustellen, dass sich die (sozial-) wissenschaftliche Analyse des Internets noch im Anfangsstadium befindet und somit die vielschichtige Entwicklung bisher nur partiell nachgezeichnet wurde. Speziell mit Blick auf grundlegende Fragen herrscht eine gewisse Konzeptlosigkeit, weshalb Teilphänomene, wie beispielsweise der Einfluss von Microblogs auf Demokratisierungsprozesse, nicht in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden können.

Im Folgenden soll ein Versuch unternommen werden, das Internet in seiner Gesamtheit fassbar zu machen und es damit jenseits der Einzelphänomene zu konzeptualisieren. Hierzu wird angenommen, dass der Zusammenhang zwischen Internet und Gesellschaft ein wichtiges Moment für die Analyse des Internets darstellt, da dieses schließlich nicht außerhalb gesellschaftlichen Handelns besteht. Den zweiten Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bilden die Inhalte der Internetkommunikation. Sie sind der Grund, warum das Internet überhaupt entwickelt wurde und bis heute genutzt wird. Es geht um die Kommunikation von ganz bestimmten Themen, Informationen und Inhalten. Interessanterweise wurden beide Aspekt in der bisherigen Internetforschung eher randständig behandelt. Wie zu zeigen sein wird, lassen sie sich direkt aufeinander beziehen.

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