Demokratie im Zeitalter der Globalisierung
von: Otfried Höffe
C.H.Beck, 2002
ISBN: 9783406475993
Sprache: Deutsch
481 Seiten, Download: 2738 KB
Format: PDF, auch als Online-Lesen
Ziehen wir Bilanz: Wie sieht eine Weltgesellschaft aus, die sich selbstorganisiert und ihre Selbstorganisation sittlich-politischen Ansprüchenunterwirft? Nach dem universalen Rechtsgebot sind die menschlichen Beziehungenvon Willkür und Gewalt freizusetzen und einem gerechtigkeitsbestimmtenRecht zu unterwerfen. Das gerechte Recht wiederum darfnicht den betroffenen Parteien, es muß gemeinsamen, "öffentlichen"Gewalten überantwortet werden: einem Staat im weiten Verständnis;m Gegensatz zur Devise "Abschied vom Staat" besteht ein universalesStaatsgebot. Schließlich erhält die Staatsform dann ihre gerechteGestalt, wenn sie sich, so das universaleDemokratiegebot, den Anforderungender qualifizierten Demokratie unterwirft und im Zugeeiner normativen Modernisierung auf Menschenrechte, Volkssouveränitätund Gewaltenteilung verpflichtet. Alle drei Gebote genügen ihrer Universalität erst, wenn sie im Weltmaßstabanerkannt werden. Weil das gesamte Beziehungsgeflecht derMenschheit, die Weltgesellschaft, sich dem Recht zu unterwerfen, dasRecht an die Staatlichkeit zu binden und die Staatlichkeit auf die qualifzierteDemokratie zu verpflichten hat, ist eine demokratische Weltrechtsordnunggeboten, deren krönenden Abschluß eine Weltrepublikbildet. Trotzdem muß sie nicht die staatlich einfache Form eines homogenenWeltstaates annehmen: eines vielleichtdezentralen, aberhierarchisch von oben nach unten einheitlich gegliederten, überdiesallzuständigen Gemeinwesens. Nicht etwa nur aus "leidvoller Erfahrung" oder anderen pragmatischenGründen geht es um eine mehrfach komplexe Weltordnung.Dafür sprechen auch die im Verlauf der Studie angeführten prinzipiellenArgumente: das Eigenrecht von Sachbereichen wieWirtschaft,Wissenschaft, Technik und Kunst, die Grundsätze der Subsidiaritätund des Föderalismus sowie das Recht auf Differenz. Im Gegensatzzu einem despotischen Weltreich erhebt eine Weltrepublik weder einensozialen noch einen politischen Exklusivanspruch: Sie ist freiheitlich-demokratisch, föderal und subsidiär verfaßt und läßt ausdrücklichandere Mächte neben sich zu. Die Weltrepublik, so eine
16. Ausblick
16.1 Eine komplexe Weltordnung
Wie jede Gesellschaft, so ist auch die Weltgesellschaft, zweitens,nicht bloß Rechtsgesellschaft, weshalb die Weltordnung sich nicht ineiner Weltstaatsordnung erschöpft. Weil Mitleid und Hilfsbereitschaftgeboten sind, ist die globale Rechtsinstitution, die Weltrepublik, nichtdie einzige globale "Dachorganisation". Neben den geschuldeten gibtes auch freie Institutionen; die Pflicht-Weltordnung ergänzt sich umeine Wahl-Weltordnung und der Weltstaat um eine vor- und außerstaatlicheWeltgesellschaft.
Einen Beitrag zur freien Welt-Ordnung leisten beispielsweise Hilfswerkeund deren globale Kooperation. Auch die Wissenschaften, fernerdie verschiedenen Bereiche der Kultur und ebenso die des Sportsorganisieren sich in eigenen Institutionen. Dasselbe trifft auf die (Welt-)Religionen zu und, unbeschadet staatlicher Rahmenbedingungen undSteuerungsversuche, auf Handel und Wirtschaft. Die Weltverbände derWissenschaften, der Weltfußballverband und das Internationale OlympischeKomitee, die Weltkirchen, der (mehr oder weniger ökumenische)Weltkirchenrat und die Internationale Handelskammer – sie undviele andere globale Vereinigungen haben zwar eine Rechtsform. Auchsteht ihnen keine "Lizenz zu Korruption und Kriminalität" zu.
Davonabgesehen sind sie aber der Zuständigkeit einer Weltrepublik entzogen.Sie bilden sich in eigenen Lebenswelten aus, folgen eigenen Gesetzenund normativen Leitkriterien und blühen dann am besten auf, wennihre Eigenständigkeit von außen respektiert wird. Da sie aus einer eigenenWelt von Vereinen, Verbänden und Körperschaften bestehen unddiese sich in der Regel von unten nach oben aufbauen (selbst das Mustereiner strengen Hierarchie, die katholische Kirche, entsteht aus relativselbständigen Ortsgemeinden), praktizieren sie Prinzipien der Weltrepublik,lange bevor eine politische Weltorganisation sich abzuzeichnenbeginnt, womit sich Subsidiarität und Föderalismus als generell geltendeSozialprinzipien erweisen.