The Cocka Hola Company - Roman

The Cocka Hola Company - Roman

von: Matias Faldbakken

Heyne, 2013

ISBN: 9783641122119

Sprache: Deutsch

464 Seiten, Download: 574 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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The Cocka Hola Company - Roman



DONNERSTAG, 10. DEZEMBER


(Ein Tag vor dem Infomeeting)


Tiptop steht im Al Mafar’s und kratzt sich ungefähr auf der Höhe des türkischen Gebäcks im Schritt, während er bei Fazil einen darmbakterienglasierten Börek bestellt. »Hi, Tiptop«, hört er hinter sich und spürt in der Erinnerung umgehend Cascos Penis in seiner Kehle. Daher bringt er erst ein ersticktes Räuspern heraus, bevor er antworten kann: »Hi, Casco.«

Casco ist auf die Straße gegangen, um seine Mutter anzurufen, aber unterwegs hat ihn Fazils fehlerhaft buchstabiertes Börek-Schild abgelenkt. Er fühlt sich irgendwie verpflichtet, eins der Münztelefone an der Ecke zu verwenden, seitdem Simpel – der definitive Wortführer des DESIREVOLUTION-Konzerns – bei ihrer letzten Begegnung zu ihm gesagt hat:

 

– Verdammte Scheiße, bald gibt es verflucht nochmal kein einziges Münztelefon mehr, aber ich weigere mich, eine Scheißtelefonkarte zu kaufen, solange ich nicht in der Ecke liege und vor lauter beschissener Telefoniernot aus dem Arsch blute.

 

Simpel hat nicht bemerkt, dass etliche Kombi-Automaten sowohl Karten als auch Münzen annehmen. Er kann es nicht ab, dass es ständig Veränderungen gibt und dass zugleich ewig alles derselbe uralte langweilige Scheißdreck bleibt. Veränderungen sind Scheiße, und Wiederholung ist genauso Scheiße, verflucht nochmal.

 

Casco und Tiptop, beides glückliche Männer, geben sich vor der Börektheke die Hand. Sie schauen einander nicht in die Augen, aber sie lächeln. Sie haben sich seit dem THE COCKA HOLA COMPANY-Dreh weder gesehen noch gesprochen. Casco sieht gut aus. Nicht hübsch auf die dämliche Tour, er ist richtig hübsch. Große, schläfrige Augen und schwere Lider. Er ist einer von den Typen, die derart gut aussehen, dass man nicht weiß, tragen sie das Haar nach vorn gekämmt oder nach hinten.

Tiptop erzählt, dass er gerade aus dem Kino kommt. Er hat einen Film mit dem Titel KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED gesehen. Casco weiß, dass das gelogen ist – keine schwerwiegende Lüge, aber dennoch eine Lüge –, denn Simpel hat ihn, Casco, in diesen Film eingeladen, in die erste Vorstellung des Tages, und die ist nachher um 19.30 Uhr. Jetzt ist es erst 18.45 Uhr, Tiptops Pech. Casco kann sich durchaus vorstellen, dass Tiptop den Film beispielsweise gestern Abend gesehen hat, er bezweifelt gar nicht, dass Tiptop ihn gesehen hat, nein, nur heute kann er ihn noch nicht gesehen haben. Casco weiß, dass Tiptop sowohl höflich als auch ein bisschen nervös ist und entschuldigt ihn – vor sich, Casco – damit, dass sein Gewissen (mehr eine Art soziale Neurose als ein Gewissen) ihn dazu bewogen hat, ein kleines Stückchen Wahrheit zu opfern, damit der Smalltalk in Gang kommt; es ist ja nun nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Tiptop seit ihrer letzten Begegnung noch einige offene Fragen zu beantworten hat. Da ist eine Notlüge zwecks Smalltalkförderung nicht so schlimm. Und worüber ließe sich besser Smalltalk führen als über Filme? »Verdammt, es ist inzwischen leichter, über Filme zu reden als übers Wetter«, denkt Casco. Tiptop gibt dem Affen richtig Zucker. Er tut so, als wäre seine Begeisterung über den Film noch ganz jung und frisch und als wäre es ihm ein dringendes Bedürfnis, darüber zu reden. Casco hat irgendwo das Plakat zum Film gesehen. Der Titel ist mit verschiedenen Buchstaben geschrieben, als wären sie aus Zeitungen ausgerissen wie in einem Erpresserbrief. Tiptop erzählt drauflos, Casco erhebt keine Einwände, obwohl er den Film in einer Dreiviertelstunde selber sehen will. Er denkt, am besten, er sorgt dafür, dass Tiptop nicht noch nervöser wird, als er ohnehin schon ist.

 

Laut Tiptop geht es in dem Film um Folgendes: John Kendall, die Hauptfigur, arbeitet irgendwas Technisches in einem komischen Gebäude mit irgendeinem Logo auf dem Dach. In den ersten zehn Minuten des Films wird ausführlich vorgeführt (so, wie er »ausführlich« sagt, zeigt Tiptop, dass er eigentlich »überdeutlich« meint), was für ein konventionelles und ziemlich langweiliges Leben Kendall führt. Zur Arbeit fahren, nach Hause fahren, Frau ohne Pep, ein paar kleine Mädchen, die »Daddy!« rufen, wenn er nach Hause kommt, Haus, Supermarkt, Parkplatz, Verkehrsstau. Nichts Besonderes. Aber eines Tages bekommt er einen anonymen Brief, in dem steht: KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED. Konventions-Kendall begreift nicht, was das soll. Per Voice-over hört man seine Gedanken: »Hmm, wer um alles in der Welt sollte schon daran interessiert sein, mich aufzunehmen? Ich mach doch nichts, was eine Überwachung rechtfertigen würde?« Nach einiger Zeit kann er sogar das kleinste Alltagsritual nur noch so vollführen, dass er sich die jeweilige Situation auch auf der Titelseite der verfluchten New York Times vorstellen kann. Und so bleibt es. Tiptop erzählt, er hätte die ganze Zeit auf eine Auflösung oder Entwicklung gewartet. Aber beides, Auflösung wie Entwicklung, ist ausgeblieben. Es wird keine Erklärung für den Brief geliefert. Kendall verrennt sich ganz von selber in eine Normalitätsparanoia, die sein Leben zu einer viel schlimmeren Hölle macht als zuvor.

Wie sich herausstellte, ist das so ein Film, den der Zuschauer selbsttätig weiterdichten muss, anders gesagt, einer von billigster Machart. Ein Film, der Einfühlung verlangt. Aber wer zum Teufel geht denn ins Kino, um selber loszufantasieren? Tiptop erzählt, dass die ersten Leute nach einer halben Stunde gingen und er am Ende allein im Kino saß. »Die Scheißgeduld von den Leuten ist so was von verflucht kurz geworden«, sagt er mit Worten, die gegen den Wind nach Simpel riechen. Casco betrachtet die weißen Zähne seines Pornokollegen, er ist es langsam scheißleid, ihn Simpel nach dem Munde reden zu hören. Und er denkt über seine eigene Fähigkeit nach, sich in einen Einfühlungsfilm einzufühlen. Aber egal wie, er wird ihn sehen, hauptsächlich, weil er nie ein Angebot von Simpel ausschlägt, ob es nun um einen Kinobesuch geht oder um sonst was.

 

Gestern (Mittwoch, 9. Dez.) hat unten am Empfang von DESIREVOLUTION auf einem roten Zettel eine Nachricht von Simpel für ihn gelegen. Folgendes hatte Frl. Oppenheim mit Filzer auf den Zettel buchstabiert:

 

ANRUF VON SIMPEL: CASCO, SIMPEL ANRUFEN.

 

Frl. Oppenheim hat strengste Anweisung von PapaHans (dem Geschäftsführer und Produzenten von DESIREVOLUTION), die Schauspieler nicht das Empfangstelefon benutzen zu lassen. (»Unser Unternehmen ist ein Low-Budget-Kosmos«, hatte PapaHans gesagt, »wir müssen sorgsam mit dem Geld umgehen, wenn unterm Strich ein Plus bleiben soll.«) Also hat Casco die Produktionsstätte verlassen und ist ein paar Blocks weiter zum erstbesten Münztelefon gegangen. Simpel überraschte ihn, indem er genau ein halbes Klingelzeichen brauchte, bis er abnahm.

 

– Simpel.

– Casco.

– Lange her, Casco. Scheiße, gut, dass du anrufst, Casco (wenn Simpel von dem Zwischenfall bei der THE COCKA HOLA COMPANY-Aufnahme wüsste, würde er das jetzt erwähnen. Simpel scheut sich nie, die unangenehmsten Dinge auf den Tisch zu legen), saaaaaugut, dass du anrufst, wir beide gehen nämlich morgen ins Kino, du und ich, ich hab einen Film entdeckt, in dem es um MICH geht …

– Aha.

– … und um DICH, Casco. Der Film geht um mich, und er geht um dich, er geht um unsere ganze Bande, Casco. KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED. So heißt er. Hast du so was schon mal gehört? KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED. Da krieg ich Gänsehaut von, Casco, das trifft doch voll ins Scheißschwarze, Mann. Morgen, halb acht. Im FILMPALAST.

– In Ordnung. Ich hab Zeit.

– In Ordnung. Ich hab Zeit. (Simpel äfft ihn nach). Das musst du auch, verdammt nochmal, Casco, das hier ist was, das man nicht verpasst, nur weil man irgendeine Scheißverabredung hat. Klar? Geschnallt?

– Wenn ich etwas Wichtiges vorgehabt hätte, hätten wir aber vielleicht an einem anderen Tag gehen können …?

– Da sei dir bloß nicht so scheißsicher, Casco, hör auf zu winseln, verflucht nochmal, ich rede von einem guten Film, du weißt genauso gut wie ich, wie das mit guten Filmen ist, die kommen beim großen Publikum nicht an, ja, das hier ist ein Film, der Teilnahme verlangt, und du weißt genauso gut wie ich, wie scheißträge die Leute sind, wenn es um Teilnahme geht, die Leute wollen alles intravenös reingedrückt kriegen, Casco, die haben keine Lust mehr, was zu kauen, smack me up, ja, und du weißt genauso gut wie ich, dass der Film heute schon wieder aus dem Programm genommen werden könnte, wenn ich nicht zwei Karten für die Vorstellung morgen um halb acht bestellt hätte, eine für mich, Casco, und eine für dich. Ich kann mir nicht helfen, Casco, ich mach mir echt Sorgen wegen deiner beschissenen Einstellung, ich mach dir hier ein echt qualitätsvolles Angebot und dein ganzer scheißverfickter Dank ist, dass du rumzögerst.

– Schon in Ordnung, ich hab ja gesagt, dass ich Zeit hab, kein Problem.

– Ich hab ja auch gar kein Scheißproblem, Casco, das Problem PIEP ist, dass die Leute PIEP sich für allen möglichen PIEP Scheiß engagieren, und das PIEP bedeutet doch dass PIEP …

 

Simpel ist jederzeit über sein BOSCH-Handy zu erreichen, aber das ist natürlich enorm teuer. Simpel aus der Zelle anzurufen, ist fast genauso ärgerlich, wie die Scheißauskunft aus der Zelle anzurufen. Eigentlich scheißt Casco darauf, was es kostet, aber es ist physisch unmöglich, schnell genug Münzen nachzuwerfen.

 

(Zurück im Al Mafar’s).

Casco kann sich unmöglich vorstellen, dass Tiptop auf einmal zum Homo...

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