Ingeborg Bachmann - Der dunkle Glanz der Freiheit - Die Biografie

Ingeborg Bachmann - Der dunkle Glanz der Freiheit - Die Biografie

von: Andrea Stoll

C. Bertelsmann, 2013

ISBN: 9783641090333

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 8530 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ingeborg Bachmann - Der dunkle Glanz der Freiheit - Die Biografie



1. Diva im Niemandsland – warum eine Biografie?

Wer sich heute Person und Werk der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu nähern versucht, wird mit einem widersprüchlichen Bild konfrontiert. Eine moderne, selbstständige Frau scheint uns da anzuschauen, weltgewandt und voller Lebensfreude. Doch die glanzvolle Erscheinung der österreichischen Autorin, die vor allem mit ihrer Lyrik im Nachkriegsdeutschland außergewöhnliche Erfolge feierte, repräsentative Ansprachen zur Lage der deutschen Dichtung hielt, als Covergirl der Gruppe 47 die Titelseite des Spiegel zierte und von den Medien zum literarischen Fräuleinwunder stilisiert wurde, war nur die eine Seite ihrer Existenz. Die andere, von unauslöschlicher Angst und immer wiederkehrender Verzweiflung geprägte Seite gehörte genauso dazu. Auf Fotografien scheint uns manchmal im Abstand weniger Wochen oder Monate das Antlitz zweier völlig verschiedener Menschen zu begegnen: eine strahlende, entschlossene Person, die ihre Rolle als Dichterin mit Eleganz und Grandezza auszufüllen vermochte, und der in sich zurückgenommene Ausdruck eines Menschen, dem das Martyrium ins Gesicht geschrieben stand, unsicher, scheu und voller Zweifel.

Seit frühester Jugend hatte Ingeborg Bachmann davon geträumt, als freie Schriftstellerin leben und arbeiten zu dürfen, und mit dem ihr eigenen Ehrgeiz und unbedingten Willen alles darangesetzt, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Doch der Preis für ihre Freiheit war hoch, ja, er überstieg im Lauf der Jahre ihre Kraft – und doch hielt sie daran fest, auch dann, als sie längst krank und von den Anstrengungen ihrer freien Autorenexistenz körperlich und seelisch gezeichnet war. Schon bald hatte sie alle bürgerlichen Schutzräume hinter sich gelassen, jung und arm war sie von Kärnten aus nach Wien gegangen, suchte und fand wechselnde Wohnstätten in Italien, die sie wegen Geldmangels nicht selten schon nach wenigen Monaten wieder aufgeben musste. Jahrzehntelang haben die Bedeutung ihres Werkes und der sorgfältig inszenierte Glamour ihrer persönlichen Erscheinung über die regelmäßig wiederkehrenden materiellen Nöte ihres Lebens hinweggetäuscht und den Fokus auf die historische, intellektuelle und ästhetische Dimension ihres Schreibens gelenkt. Auch die daran anschließende Genderdebatte blieb fast ausschließlich an die Motive ihres Werkes gebunden.

Wenn wir heute nach den Bedingungen von Bachmanns Autorenexistenz fragen, so müssen wir den Besonderheiten nachgehen, die eine freie Autorenexistenz in den 50er- und 60er-Jahren für eine Frau bereithielt, die ihre Weiblichkeit nicht verstecken wollte, die sich aber mit jedem Schritt im Dickicht der damals noch festgeschriebenen Geschlechterrollen behaupten musste. Eine Frau, die im deutschen Kulturraum der 50er-Jahre ihren Ehrgeiz offen zeigte, galt als anmaßend. Inszenierte sie darüber hinaus noch ihre Weiblichkeit, galt sie als Femme fatale. Wenn sie sich gar daranmachte, die Welt der Kunst oder der Literatur für sich zu erobern, ohne wie etwa Marie Luise Kaschnitz oder Christa Wolf aus dem bürgerlichen Schutzraum eines Ehe- und Familienlebens heraus zu agieren, betrachtete man sie nicht selten als Freiwild, als eine Frau, die ihre moderne Lebensauffassung doch sicher problemlos mit sexuellen Freizügigkeiten unter Beweis stellen konnte und sich deshalb auch nicht hinter Konventionen verstecken würde.

Die Begehrlichkeiten, die ein frei geführtes Frauenleben in jenen Jahren mit sich brachte, und die Fantasien, die eine solche Frau für die Männer ihrer Umgebung in Gang setzte, waren im persönlichen Leben anstrengend genug. Was aber schwerer wog, waren die beruflichen Auswirkungen, die Maßstäbe, mit denen die Arbeit dieser Frauen beurteilt, ihre Ziele bewertet und deren Realisierung gefördert wurden. Wenn auch die Herausforderungen in bürgerlichen Brotberufen für alleinstehende Frauen hier nicht unterschätzt werden sollen, so bleibt festzustellen, dass die freie künstlerische Lebensform, wenn sie ohne materielle Sicherheiten gelebt wurde, das Ausgeliefertsein an männliche Bewertungsmuster enorm verschärfte. Das Netzwerk an männlichen Freunden und Förderern, das sich gerade bei einer jungen, begabten und darüber hinaus auch attraktiven Autorin wie Bachmann rasch einstellte, agierte selten uneigennützig, fast nie ohne Eifersucht auf mögliche Nebenbuhler und unverhohlen besitzergreifend, was die Person und die Lebensform der Geförderten betraf. Für einen freiheitsliebenden Menschen wie Bachmann muss das ein Albtraum gewesen sein – daher auch ihre Phobie vor privater Vereinnahmung und ihr lebenslanges Ringen um die für sie notwendige Distanz: »Haltet Abstand von mir, oder ich sterbe, oder ich morde, oder ich morde mich selber. Abstand, um Gottes willen!«1

Was aber trieb sie an? Warum hat sie all das gewollt, sich dem ausgesetzt, warum nicht auf der Grundlage eines Brotberufes, etwa als Rundfunkredakteurin oder Lektorin wie andere Autoren und Autorinnen jener Jahre auch, eine existenziell gesichertere Verbindung von Literatur und Leben gesucht?2 Die Auslöser dafür, dass ihr Schreiben nicht nur ein Schreibenwollen, sondern immer auch ein Schreibenmüssen war, lagen in ihrer Kindheit und Jugend. Nur von hier aus ist ihre ebenso ekstatisch wie ehrgeizig, unbedingt wie ungesichert gelebte Künstlerexistenz zu verstehen, erschließen sich der übermächtige Ehrgeiz wie auch die namenlose Angst, dem eigenen Anspruch nicht wirklich genügen zu können. Ihr Schreibenmüssen hat ihr neben qualvoll erfahrener Agonie auch eine Fülle von Schreibschüben beschert, die jeglichen soziablen Rahmen sprengten, ihren Nachtrhythmus zerstörten und sie in jenen verhängnisvollen Teufelskreis von Aufputsch-, Schlaf-, Beruhigungsmitteln und Alkohol trieben, der ihr letztes Lebensjahrzehnt dunkel überschatten sollte.

Sie vermochte sich nicht zu schützen, ihr Leben war ihrem eigenen Anspruch schutzlos preisgegeben, es gab keine Grenze zwischen Alltag und Kunst, zwischen Leben und Schreiben. Ein Jahr vor ihrem frühen Tod 1973 konstatierte sie: »Eine Stunde wie diese hat absolut nichts zu tun mit allen meinen anderen Stunden, meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe.«3

Als ich vor vielen Jahren das erste Mal Ingeborg Bachmanns literarischen Nachlass in der Wiener Nationalbibliothek sichtete und dabei dem Prozess seiner Entstehung nachspürte, war ich schockiert. Manuskript- und Typoskriptfassungen ihrer Werke legten die hochemotionalen Nervenströme ihres Schreibens offen. Die Nachtseite der schreibenden Existenz, die Ingeborg Bachmann sowohl in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen im Wintersemester 1959/60 als auch in ihrer Rede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises 1971 angesprochen hatte, trat im Nachlass mit einer Wucht zutage, die mich als Leserin überwältigte. Fragmentarisch und eruptiv, nicht domestizierbar und ungeschützt flossen da autobiografische Erinnerungen der Autorin in ihr Schreiben ein und legten in den Rohmanuskripten die Lebensader ihrer poetischen Existenz offen. Was durch die moderne Hirnforschung inzwischen bestätigt wird, hat mich vor mehr als zwanzig Jahren als aufregende Lektüreerfahrung beschäftigt und meine eigenen Studien zu Bachmann initiiert. Denn in den von Bachmann wieder und wieder bearbeiteten kompositorischen Stufen ihrer Lyrik- und Prosafassungen entfernte sich die Erinnerung von ihrem ursprünglichen, ihrem autobiografischen Ort. Die Erinnerungsmotive veränderten sich, neue Bilder und Szenen ersetzten das Erlebte, das »moralische« Gedächtnis, das sich selbst bewerten könnte, gab es nicht. Textstufe um Textstufe waren diese Veränderungen ablesbar, sie dokumentierten und strukturierten den poetischen Weg zwischen Erinnerungsschub und literarischer Komposition. Die subjektiven Erinnerungsausschläge waren für eine hoch reflektierte Autorin wie Bachmann nur das Material, an dem die eigentliche poetische Arbeit geleistet werden konnte. Die Nervenströme der Erinnerung bildeten den Fließtext, der nach allen Möglichkeiten der ästhetischen Komposition bearbeitet werden konnte.4

Nein, das Schreiben Ingeborg Bachmanns war nicht nur in der Sprache zu Hause. Das Fundament dieser Sprachheimat blieb das Leben, das Erlebte, Erlittene, Erhoffte, Erwünschte und Verlorene ihrer Existenz. In ihren Gedichten wie in ihrer Prosa schrieb sich die Spannung zwischen der eindringlichen Präsenz und der vehementen Abwehr persönlichster Erinnerungen als Strukturmerkmal ihres Schreibens ein, ein ästhetischer Moment des Widerstandes, der sich von den frühen Gedichten bis zur Todesarten-Prosa ihres Werkes verfolgen lässt. Beheimatet in der Sprache und im Leben doch heimatlos, zwischen Ländern, verschiedenen Domizilen, streng separierten Freundeskreisen und zerstörerischen Partnerschaften wechselnd, eine Reisende im Grenzland des Sprechens, traumwandlerisch am Abgrund des Schweigens verortet und doch schon längst darüber hinaus. In Bachmanns Lyrik wie in ihrer Prosa tritt ein pulsierendes Nervengeflecht von topografisch geführten Erinnerungen zutage, das sie im Prozess ihres Schreibens mit ihrem hohen artistischen Formbewusstsein vernetzt.5

Seit frühester Jugend hatte sie geschrieben, mit den ersten Erfolgen wuchs auch ihr Selbstwertgefühl und verfestigte sich zu einem entschiedenen Schreibbewusstsein, das auf seinem ureigensten Qualitätsempfinden bestand. Ihre Begegnung mit Paul Celan im Mai 1948 wurde zur Initialzündung ihrer schriftstellerischen Existenz, in der die...

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