Himmlers Germanenwahn - Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen

Himmlers Germanenwahn - Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen

von: Volker Koop

BeBra Verlag, 2013

ISBN: 9783839301098

Sprache: Deutsch

274 Seiten, Download: 2223 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Himmlers Germanenwahn - Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen



Weichenstellung 1935


Der Kampf um die Deutungshoheit
über die deutsche Geschichte


1935 war das Jahr, in dem Heinrich Himmler einen großen Teil seiner abwegigen Fantasien vom »reinen Blut« und vom vermeintlichen Erbe der germanischen Ahnen umsetzte. So gründete er Ende des Jahres den Lebensborn e.V., dem nach Möglichkeit alle SS-Führer angehören sollten. Mit ihm wollte er unter dem Vorwand, unehelichen Müttern und Kindern zu helfen, rücksichtslos die Germanisierung ganz Europas vorantreiben und Hitler die hierfür erforderlichen Soldaten verschaffen. Ferner erteilte er 1935 dem Sicherheitsdienst (SD) den »H-Sonderauftrag« zur Erstellung einer »Hexenkartothek«. Ab 1939 gab es im Reichssicherheitshauptamt dafür sogar eigene Dienststellen.

Die SS-Forscher sollten nachweisen, dass es der Kirche mit den Hexenprozessen und der Tötung unschuldiger Frauen im Mittelalter allein darum gegangen sei, noch verbliebene Überreste germanischer Kultur zu vernichten. Abgesehen davon verbreitete Wilhelm August Patin, SS-Obersturmbannführer und Stiftskanonikus der Münchner Hofkirche, die Mitleid heischende Erzählung, eine Urahnin Himmlers namens Passaquay sei einst als Hexe verbrannt worden. Schließlich sollte es mit Margarethe Himbler aus Markesheim eine weitere Urahnin Himmlers gegeben haben, die 1629 in Mergentheim dasselbe Schicksal erlitt. Alle führenden Nationalsozialisten hätten unter ihren Ahnen gern historische Persönlichkeiten nachgewiesen. Himmler setzte den Sicherheitsdienst mit all seinen Möglichkeiten ein, um wenigstens eine »Hexe« und damit ein Opfer der Kirche als seine Ahnin aufführen zu können. Vielleicht meinte er, dass dies seinem Kampf gegen die Kirche überhaupt und die katholische im Speziellen zusätzlich Glaubwürdigkeit verleihen könnte.

Himmler träumte von der Wiedergeburt eines »großgermanischen« Reiches. Er ging davon aus, dass es ein solches Reich in früheren Zeiten gegeben haben musste, wenngleich niemand genau definieren konnte, wie dieses »Germanien« einmal ausgesehen haben mochte.

Licht in dieses Dunkel sollte ein weiterer, ebenfalls 1935 gegründeter Verein bringen: Das »Ahnenerbe e.V.«. Am 1. Juli 1935 wurde die Forschungs- und Lehrgemeinschaft ins Leben gerufen und hatte von Anbeginn an die Aufgabe, Himmlers fragwürdige Vorstellungen vom germanischen Erbe »wissenschaftlich« zu untermauern. Anfangs gab es fünf Forschungsstätten: für Sinnbildkunde, für Wortkunde, für Germanenkunde, für indogermanisch-finnische Kulturbeziehung sowie für Märchen- und Sagenkunde. Wie sich später zeigen sollte, genügte oftmals aber ein Wunsch Himmlers, um zusätzliche Forschungs- und Lehrstätten ins Leben zu rufen. Bis zum Ende des NS-Reiches und damit des Ahnenerbes waren es zeitweise bis zu 50 solcher Stätten, wie Ahnenerbe-Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg eingestand.1 Außerdem wurden zahlreiche Forschungsaufträge an externe Wissenschaftler vergeben.

Mit seiner ohnehin nur schwer nachvollziehbaren Gedankenwelt geriet Himmler zwangsläufig immer wieder in Konflikt mit Alfred Rosenberg, dem Leiter des nach ihm benannten Einsatzstabs zum Raub von Kulturgütern in den besetzten Ländern. Als »Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP« reklamierte Rosenberg die Darstellung und Interpretation der deutschen Geschichte für sich. Anlässlich einer Aufführung des Trauerspiels »Wittekind« in Oberhausen verlangte er »eine einheitliche Haltung der Partei« zur deutschen Vorgeschichte.2 Im Lauf der Jahrhunderte habe sich der deutsche Charakter vom Gehalt des »Heiligen römischen Reiches deutscher Nation« immer weiter entfernt, beklagte der in Reval geborene NS-Ideologe. »Das Entstehen einer freien wissenschaftlichen Forschung, die vielen Empörungen gegen das fremde römische Recht, das in seiner späten Verzerrung nach Deutschland getragen wurde; die Proteste gegen die Kreuzzüge und das Entsetzen der kolonisierenden Bewegung im Osten, das alles waren Absonderungserscheinungen gegenüber einer Universalmonarchie. Die Entstehung von Brandenburg-Preußen war der mächtigste politische Sturm gegen diesen Universalismus. Die deutschen Freiheitskämpfe von 1813 zeigten die bewusste großdeutsche Wiedergeburt des deutschen Volkes, die nationalsozialistische Bewegung und ihr Staat bedeuten in der Neugründung den Abschluss dieses tausendjährigen Vorstoßes und darum ist es nicht nur verständlich, sondern notwendig, dass die nationalsozialistische Bewegung jenen Kämpfern eine neue Liebe entgegenbringt, in denen sie den freien Charakter ihrer eigenen Zeit glaubt wiederfinden zu können.«

Karl der Große – Vom Urfranzosen zur germanischen Kraft


Für die Wandlung der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung war die Einordnung Karls des Großen durch Rosenberg bedeutsam: Es sei verständlich, »wenn die durch die damaligen Sachsenkriege besonders betroffenen Niedersachsen, wenn die überschäumende Jugend heute von ›Karl dem Sachsenschlächter‹ spricht, es ist aber unzweckmäßig, wenn die Bewegung durch amtliche Verlautbarungen ihrer Leiter diese Prägungen sich zu eigen macht und Kaiser Karl nur als eine Marionette kirchlicher Wünsche oder nur als einen ›Mörder‹ darstellt«. Mit dieser Klarstellung war zugleich massive Kritik an Himmler verbunden, denn dieser sah lange Zeit in Karl dem Großen ausschließlich jenen bewussten »Sachsenschlächter« und nicht mehr. In Verden an der Aller3 habe er – Rosenberg – schon 1934 ausdrücklich darauf hingewiesen, »dass wir gar nicht daran denken, Kaiser Karl mit beschimpfenden Beiworten belegen zu wollen«. Man könne auf dem Standpunkt stehen, dass ohne Karls Reichsgründung die Zersplitterung der deutschen Stämme weiter gegangen und das Germanentum Opfer anderer Gewalten geworden wäre.

»Man mag andererseits auf dem Standpunkt stehen, dass die meisten Germanen Arianer waren, dass bereits Theoderich der Große darauf hinwirkte, ein großgermanisches Reich zu gründen, dass er aber durch die katholisch gewordenen Franken und deren militärische Macht daran gehindert wurde, diesen Gedanken zu verwirklichen. Man mag auf der anderen Seite zu ähnlichem Ergebnis kommen: Kaum 100 Jahre nach dem Sieg Karls des Großen stand an der Spitze des von ihm gegründeten Reiches das sächsische Herrscherhaus und Heinrich I., der Sachsenkönig, wurde zum eigentlichen Sammler der deutschen Stämme. Es wäre also nicht von der Hand zu weisen, dass auch ohne die Gründung Kaiser Karls das Niedersachsentum in ständiger Fortentwicklung von einem Kern aus ein gesamtdeutsches Königtum gegründet hätte, ohne dabei neben dem formalen Machtstaat auch den deutschfeindlichen Gehalt einer Universalmonarchie mit in Kauf nehmen zu müssen.«

Die Nationalsozialisten dächten überhaupt nicht daran, »König [sic] Karl etwa aus der deutschen Geschichte auszustoßen und ihn gleichsam als Urfranzosen hinzustellen, sondern wir müssen auch in ihm eine große germanische Kraft erblicken, die eben, weil sie eine geschichtliche Tat von ungeheurer Tragweite zustande brachte, nicht mit jenem Maßstabe gemessen werden darf, den man vielleicht an einen Freibeuter anlegen kann«. Diese Auffassung machten sich nach und nach auch die übrigen NS-Führungspersonen zu eigen. »Karl der Große war einer der größten Menschen der Weltgeschichte: dass er [es] fertiggebracht hat, die deutschen Querschädel zueinander zu bringen!«,4 meinte beispielsweise Hitler 1942. Er tat dies in Anwesenheit von Himmler, und dies ist insofern bedeutsam, als Himmler ein glühender Verehrer Heinrichs I. war und sich – wie man behauptete – in dessen Nachfolge sah.

Diese Betrachtungen zeigen einmal mehr, dass die Nationalsozialisten Geschichte verfälschten, wie sie in ihr Weltbild passte. Sie machten Theoderich zum Germanen, obwohl dieser doch König der Ostgoten, zeitweise auch der Westgoten gewesen war. Vor allem verdrängten sie, dass es unter dem Arianer Theoderich keinerlei religiös begründete Verfolgungen gegeben hatte – weder gegen Christen noch gegen Juden. Theoderich war ein toleranter Herrscher, und in einem Brief an die Juden hatte er geschrieben: »Religion können wir nicht anbefehlen, da es niemandem in den Sinn kommen wird, dass er gegen seinen Willen glaubt«.5 Insofern war der Gotenkönig Theoderich kaum der geeignete Zeuge, der den Nationalsozialisten als Vorbild hätte dienen können.

Wiederholt unternahm Rosenberg Anstrengungen, die deutsche Vorgeschichte neu zu definieren. So erklärte er beispielsweise am 1. März 1934, »die hohe Bedeutung, die der deutschen Vorgeschichte in dem weltanschaulichen Kampf und in dem Erziehungswerk des Nationalsozialismus zukommt,...

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