Die Nervenprobe. Schauplatz Kuba: Als die Welt am Abgrund stand

Die Nervenprobe. Schauplatz Kuba: Als die Welt am Abgrund stand

von: Stefan Brauburger

Campus Verlag, 2002

ISBN: 9783593370965

Sprache: Deutsch

329 Seiten, Download: 6565 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Die Nervenprobe. Schauplatz Kuba: Als die Welt am Abgrund stand



Countdown zum Dritten Weltkrieg (S. 157-159)

Kuba gegenüber liegt die amerikanische Insel Key West. In keiner Gegend der USA waren in diesen Tagen so viele Waffen stationiert wie auf diesen 18 Quadratkilometern im Atlantik. Selbst der Traumstrand mit seinem lupenweißen Sand unter wogenden Palmen war für die Öffentlichkeit gesperrt. Verteidigungseinheiten der Armee hatten sich hier mit ihren Boden-Luft-Raketen postiert.

Pilot Richard Heyser erinnert sich: »Ich hatte Angst, dass die Halbinsel Florida im Meer versinkt, soviel Heer-Marine- und Air-Force- Material hatte man hierher geschafft. Man konnte kaum durch Orlando fahren, und sicherlich war das nicht nur hier so.« Von der Basis Boca Chica aus starteten Düsenjäger ständig zu Kampfpatrouillen über Floridas Küstengewässern. Den ganzen Tag über trafen auf dem Rollfeld riesige Transportmaschinen ein. Sie spieen Soldaten aus, Matrosen, Fallschirmjäger, Waffen – und starteten wieder, um noch mehr herbeizuschaffen. Flugzeuge der taktischen Luftstreikräfte drehten Schleifen über Florida. Vom Stützpunkt Guantánamo auf Kuba wurden am Tag der Rede Angehörige der Soldaten ausgeflogen. Dreitausend Frauen und Kinder sollten die Garnison verlassen. Sie hatten eine Stunde Zeit zum Packen, nur ein Koffer pro Person. Aufnahmen vom Transport zeigen verängstigte Gesichter.

In aller Welt wurden die US-Streitkräfte in Alarmbereitschaft gesetzt. Mit der Rede des Präsidenten sollte auch hier die militärische Geheimnistuerei ein Ende haben, sollte der anderen Seite klar gemacht werden, dass sie einen schlafenden Riesen provozierte. Zum ersten Mal seit seiner Einführung 1958 ließ Verteidigungsminister Robert McNamara das Bereitschaftssystem DefCon (Defense Condition) auf Alarmstufe 3 setzen, ausgenommen waren lediglich die US-Luftstreitkräfte in Europa. DefCon 1 bedeutete Kriegseinsatz.

Das größte Vernichtungspotenzial unterstand dem Strategischen Luftkommando (SAC). Der Alarm galt nun mehr als 900 Bombenflugzeugen, meist vom Typ B-52, mit nuklearer Fracht. Fast 200 B-47 Bomber wurden auf zivile und militärische Flugplätze verteilt. Entscheidend aber war die Zahl der Flugzeuge, die sich in der Luft befanden. Die Zahl der Starts verfünffachte sich auf 66 Flüge täglich.

B-52 Bomber kreisten, ausgerüstet mit Atom- und Wasserstoffbomben, ständig entlang bestimmter Längengrade um das sowjetische Territorium. Logbücher mit der Anleitung zur Startvorbereitung der Interkontinentalraketen wurden ausgegeben. Über hundert dieser IRBMs mit dem Ziel Sowjetunion, mehr als 50 auf U-Booten stationierte Polaris-Atomraketen, unzählige weitere Atomwaffen verschiedenster Art in Europa und im Pazifik standen unter Defcon 3-Alarm. Und das war erst der Anfang.

General Ellie G. Shuler jr. war damals B-52 Wing-Commander, später in leitender Funktion im Hauptquartier der strategischen Luftstreitkräfte. Er erinnert sich an die Stimmung damals: »Etwa 24 Stunden, bevor Präsident Kennedy seine Rede hielt, bekamen wir den ersten Hinweis, dass etwas passieren würde. Wir erhielten die Order, unsere Flugzeuge klarzumachen, beluden sie mit Treibstoff und Waffen. Als der Präsident dann im Fernsehen sprach, klebten wir förmlich an den Bildschirmen. Danach wussten wir, dass es sich um Kuba drehte und dass es ernst wurde.«

Was empfindet man in einem solchen Moment? »Ich hatte Familie. Mein Sohn wurde im April 1962 geboren. Man machte sich natürlich große Sorgen um die Angehörigen. Nach Kennedys Rede sagte ich zu meiner Frau, sie solle ein Überlebenspaket schnüren: Decken, Medikamente, alles mögliche solle sie ins Auto packen, um jederzeit losfahren zu können. Sie sollte die Nachrichten verfolgen und einen kühlen Kopf bewahren. Ich glaube, viele meiner Kollegen gaben ihren Frauen den gleichen Rat.« Die Angst kreiste aber nicht nur um die Familie. Was würde bei einem Gegenschlag geschehen, wenn atomare Detonationen einige US- Metropolen verwüsteten?

Gleich an zweiter Stelle galt die Sorge dem Staatsoberhaupt – bei Ellie G. Shuler jr. zumindest: »Was würde geschehen, wenn es Washington, wenn es unseren Präsidenten treffen würde? Ihn, den Obersten Befehlshaber auszuschalten, wäre einer Enthauptung gleichgekommen, denn er war der einzige Mensch, der dem SAC befehlen konnte, einen Nuklearkrieg zu führen. Wir waren so sehr um ihn besorgt, dass ausgefeilte Operationen geplant wurden, um ihn jederzeit ausfindig machen zu können.«

Nur einmal hatte Shuler Ähnliches erlebt. »Die einzige Erfahrung, auf die wir zurückblicken konnten, war jene, die wir während der ersten Berlinkrise gemacht hatten. Aber selbst damals hatten wir nicht alle Flugzeuge startklar gemacht. Also war es diesmal besonders ernst. Während der Kubakrise verdoppelten wir die Anzahl der B-52, die in der Luft ständig in Bereitschaft waren.«

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