Blut auf dem Mond - Die Lloyd-Hopkins-Trilogie, Band 1 | »Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur.« SZ

Blut auf dem Mond - Die Lloyd-Hopkins-Trilogie, Band 1 | »Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur.« SZ

von: James Ellroy

Ullstein, 2019

ISBN: 9783843718011

Sprache: Deutsch

335 Seiten, Download: 3110 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Blut auf dem Mond - Die Lloyd-Hopkins-Trilogie, Band 1 | »Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur.« SZ



2


Als der Stadtteil Watts am 23. August 1965 in Flammen aufging, baute Lloyd Hopkins gerade Sandburgen am Strand von Malibu; er bevölkerte sie mit Mitgliedern seiner Familie und erdachte Charaktere, die seiner eigenen brillanten Fantasie entstammten.

Eine Schar Kinder, die sich nur zu gern unterhalten ließ, hatte sich um den freundlich-umgänglichen Dreiundzwanzigjährigen versammelt, und sie sah ehrfürchtig dem großen jungen Mann dabei zu, wie er mit geschickten Händen Zugbrücken, Burggräben und Wälle formte. Lloyd war eins mit den Kindern und einig mit seiner eigenen Gedankenwelt, die er als etwas Losgelöstes und Eigenständiges erlebte. Die Kinder schauten ihm zu, und er spürte genau ihr Verlangen und ihren Wunsch, bei ihm sein zu können; er wusste instinktiv, wann er sie mit einem Lächeln oder Heben der Augenbrauen belohnen musste, um sie zufrieden zu stimmen, worauf er dann zu seinem eigentlichen Spiel zurückkehren konnte.

Seine irisch-protestantischen Vorfahren kämpften gerade gegen seinen geisteskranken Bruder Tom um die Herrschaft über die Burg. Es war eine Schlacht zwischen den aufrechten Getreuen der Vergangenheit und Tom mit seinen aufrührerischen, paramilitärischen Kohorten, die der Meinung waren, dass alle Neger nach Afrika zurückverschifft werden und sämtliche Straßen in privatem Besitz sein sollten.

Die Verrückten hatten zeitweise die Übermacht – Tom und sein heimlich angelegtes Arsenal von Handgranaten und automatischen Waffen waren gewaltig –, aber die wackeren Loyalisten waren standhaft, wohingegen Tom und seine Bande feige waren; angeführt vom künftigen Police Officer Lloyd hatten die Iren die Technik überlistet und schossen nun brennende Pfeile mitten in Toms Waffenlager, worauf alles in die Luft flog. Lloyd sah in seiner Fantasie Flammen im Sand züngeln und fragte sich zum achttausendsten Mal an diesem Tag, wie die Polizeiakademie wohl sein würde. Härter als das Grundtraining? Musste ja wohl so sein, andernfalls würde die Stadt Los Angeles in arge Bedrängnis geraten.

Lloyd seufzte laut. Er und seine Getreuen hatten die Schlacht gewonnen, und seine Eltern, die ihm auf unerklärliche Weise deutlich vor Augen standen, waren gekommen, um ihren siegreichen Sohn zu feiern und die Verlierer zu beschimpfen. »Gegen ein kluges Köpfchen kann man nun mal nicht an, Doris«, sagte sein Vater zu seiner Mutter. »Ich wollte, es wäre nicht immer so, aber die schlauen Kerle regieren nun mal die Welt. Lern noch eine Fremdsprache, Lloydie; Tom kann sich ja weiter mit diesen Nichtskönnern aus der Telefonbranche herumschlagen, aber du wirst einmal alle Rätsel lösen und die Welt regieren.« Seine Mutter nickte stumm; seit ihrem Schlaganfall konnte sie nicht mehr sprechen.

Tom blickte finster dazu drein, weil er der Verlierer war. Mit einem Male hörte Lloyd Musik, die aus dem Nichts zu kommen schien, und sehr langsam und bewusst zwang er sich, in die Richtung zu sehen, aus der das störende Geräusch kam.

Ein kleines Mädchen hielt ein Radio in den Armen und versuchte mitzusingen. Als Lloyd das kleine Mädchen sah, schmolz ihm geradezu das Herz. Es konnte ja keine Ahnung davon haben, wie sehr er Musik hasste, wie sehr sie seine Gedanken durcheinanderbringen konnte. Er würde der Kleinen gegenüber sanft und zärtlich sein müssen, wie er es Frauen jeglichen Alters gegenüber auch war. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Mädchens auf sich und sagte mit sanfter Stimme, obwohl ihn jetzt Kopfschmerzen zu plagen begannen: »Gefällt dir meine Burg, Kleine?«

»Ja … Ja«, antwortete das kleine Mädchen.

»Sie gehört dir. Die wackeren Recken haben für eine schöne Jungfrau eine Schlacht gewonnen, und die Schöne bist du.« Die Musik wurde immer ohrenbetäubender; Lloyd dachte kurz, dass die ganze Welt davon erzitterte. Das kleine Mädchen drehte kokett den Kopf, und Lloyd sagte: »Würdest du wohl das Radio ausschalten, Kleine? Dann mache ich mit dir einen Rundgang durch die Burg.«

Das Kind erfüllte ihm den Wunsch und drehte den Lautstärkeregler zurück, als die Musik abrupt aussetzte und ein Nachrichtensprecher mit ernster Stimme verkündete: »… und der Gouverneur Edmund G. Brown hat soeben bekannt gegeben, dass die Nationalgarde mit verstärkten Einheiten in die südlichen Innenstadtbezirke von Los Angeles beordert wurde, um der seit zwei Tagen andauernden Herrschaft der Gewalt, des Terrors und der Plünderungen ein Ende zu bereiten, die schon vier Tote gefordert hat. Sämtliche Angehörige der folgenden Einheiten sollen sich sofort melden …«

Das Mädchen stellte das Radio ab, und Lloyds Kopfschmerzen wichen einer absoluten Leere.

»Hast du schon mal ›Alice im Wunderland‹ gelesen, Kleine?«, fragte er.

»Meine Mami hat mir aus dem Bilderbuch vorgelesen«, sagte das Mädchen.

»Schön. Dann weißt du ja, was es heißt, wenn man dem Kaninchen hinab in seinen Bau folgt?«

»Du meinst, was Alice machte, als sie ins Wunderland ging?«

»Genau. Und genau das ist es, was der alte Lloyd jetzt machen muss – das kam gerade im Radio.«

»Bist du der ›alte Lloyd‹?«

»Ja, junge Dame.«

»Was wird dann aus deinem Schloss?«

»Das erbst du, schönes Kind – Du kannst damit machen, was du willst.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

Das kleine Mädchen sprang in die Luft und landete mitten in der Burg, wodurch sie völlig zerstört wurde. Lloyd rannte zu seinem Wagen und hoffte, dass dieser Einsatz zu seiner Feuertaufe werden würde.

In der Waffenkammer nahm der Diensthabende, Sergeant Beller, die Besten des Lehrgangs auf die Seite und machte ihnen das lockende Angebot, sich für ein paar Dollar waffentechnische Überlegenheit zu kaufen, damit sie im Land der schwarzen Männer nicht bei lebendigem Leibe gefressen würden und nebenbei noch ein wenig Spaß haben könnten.

Er gab Lloyd Hopkins und zwei weiteren Männern aus seiner Einheit ein Zeichen, ihm in den Waschraum zu folgen, wo er ihnen seine Ware zeigte und Erklärungen gab: »Eine .45er Automatik. Die klassische Handfeuerwaffe eines Offiziers. Wirft garantiert jeden Feuer schluckenden Nigger auf eine Entfernung von 30 Metern zu Boden, ganz gleich, wo es ihn trifft. Höchst illegal für den Privatgebrauch, aber eine hervorragende Kapitalanlage; diese Babys hier sind vollautomatisch – Maschinenpistolen mit einem von mir selbst entworfenen Elefantenclip – zwanzig Schuss, nachladbar, garantiert innerhalb fünf Sekunden; das Ding kann allerdings zu heiß werden, ich leg deshalb noch einen Spezialhandschuh drauf. Das Ding, zwei Elefantenclips und der Handschuh – zusammen für ’n Hunderter – wer will’s haben?«

Er zeigte die Waffen anreißerisch herum. Die beiden Officer von der Fahrbereitschaft starrten begehrlich und verliebt auf die beiden Stücke, winkten jedoch resigniert ab.

»Ich bin pleite, Sergeant«, meinte der eine.

»Ich bleibe hinten bei der Einsatzleitung bei den Kettenfahrzeugen, Sergeant«, sagte der andere.

Beller stöhnte und sah zu Lloyd Hopkins, dem es in den Fingern juckte. »Das Hirn« nannte man ihn allgemein in seiner Kompanie. »Hoppie, wie steht’s mit dir?«

»Ich nehm sie beide«, erwiderte Lloyd.

Bekleidet mit Kampfanzug, Gamaschen, vollen Patronengurten und Stahlhelmen der C-Klasse stand die Kompanie A des zweiten Bataillons, 46. Division der kalifornischen Nationalgarde, in Paradeformation in der Haupthalle des Waffenarsenals von Glendale und wartete darauf, Anweisungen entgegenzunehmen. Der Bataillonskommandeur, ein vierundvierzig Jahre alter Zahnarzt aus Pasadena, der den Rang eines Lieutenant-Colonel der Reserve innehatte, formulierte seine Gedanken und Befehle in einer Form, die er selbst als kurz und bündig bezeichnet hätte, und sprach ins Mikrofon: »Gentlemen, wir sind auf dem Weg in diese Feuersbrunst. Die Polizei von Los Angeles hat uns soeben darüber informiert, dass ein Gebiet von siebzig Quadratkilometern im südlichen Innenstadtbezirk von Los Angeles von Flammen eingeschlossen ist und dass ganze Geschäftsviertel geplündert und in Brand gesteckt worden sind. Wir werden da reingeschickt, um das Leben der Feuerwehrmänner, die die Flammen bekämpfen, zu schützen und um durch unsere Präsenz Plünderungen und andere kriminelle Handlungen zu unterbinden. Dies ist die einzige reguläre Infanterieeinheit innerhalb einer gepanzerten Division. Ich bin überzeugt, Männer, dass ihr die Speerspitze dieser Ruhe und Ordnung wiederherstellenden Truppe aus Zivilsoldaten sein werdet. Ihr bekommt weitere Instruktionen, sobald wir das Einsatzgebiet erreicht haben. Ich wünsche uns also einen guten Tag, und Gott sei mit euch!«

Niemand sprach mehr von Gott, als der aus Ketten- und Panzerfahrzeugen und Mannschaftswagen bestehende Konvoi Glendale in Richtung Golden State Freeway in südlicher Richtung verließ. Die Hauptgesprächsthemen waren Waffen, Sex und die Schwarzen, bis PFC Lloyd Hopkins, der in dem Teil des Mannschaftswagens hockte, der halb mit einer Plane überdacht...

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