Das große Aufräumen - Kriminalroman

Das große Aufräumen - Kriminalroman

von: David Whish-Wilson

Suhrkamp, 2020

ISBN: 9783518765241

Sprache: Deutsch

329 Seiten, Download: 2780 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das große Aufräumen - Kriminalroman



2


Frank Swann zog die Schlafzimmervorhänge auf. Es war ein Frühlingstag, der ganze Garten war von blühenden Mittagsblumen orange gepunktet. Der Himmel strahlte in kühlem, von dünnen weißen Wolkenfäden durchzogenem Blau, leichter Südwind ließ die Wipfel der Straßenbäume schaukeln. Swann blickte auf seine Armbanduhr und ging in das zur Straße liegende Zimmer mit dem Telefon. Wie erwartet, klingelte es um Punkt sieben. Dennis Gould war so pünktlich wie zuverlässig. Swann nahm den Hörer und drückte eine Taste, um den Mitschnitt des Anrufs zu starten. Gould war sein bester Rechercheur, beinahe sein Partner, doch jetzt war er auf der Flucht. Dafür hatten Schläger von Trevor Dragic gesorgt.

»Dennis.«

»Swann.«

Ihre Kurzformel dafür, dass alles in Ordnung war. Aus dem Hintergrundrauschen hörte Swann, dass ein Road Train an Dennis vorbeirasen musste. Er stellte sich den Staub und die Hitze in der Nullarbor-Wüste vor – rote Erde, heißer Wind, krächzende Krähen auf der Telefonleitung, Gould an einer gottverlassenen Raststätte zur Telefonzelle hinkend.

»Ich bin an einem Surf-Spot kurz nach der Grenze zu South Australia. Heißt Cactus. Gibt ’nen Campingplatz da. Hab sogar einen Wohnwagen mit Meerblick.«

»Reicht das Geld?«

»Reicht. Was von Dragic gehört?«

Swann knurrte. »Ist angeblich im Ausland. Ich denke, wir sollten noch ’ne Woche warten.«

»Okay. Ist nicht mal so übel hier in South. War auch schon angeln. Die Lachsbarsche beißen grad gut. Der Typ nebenan hat sich aus’m alten Kühlschrank ’nen Räucherkasten gebastelt. «

»Wie weit hast du’s zur Raststätte?«

»Knapp fünfzig Kilometer, hin und zurück. Ich meld mich alle zwei Tage, immer um die Zeit.«

»Bisschen eher wär besser, wegen dem neuen Job. Ich muss um sieben in der Stadt sein und am Schreibtisch hocken.«

Swann legte auf und sah wieder auf die Uhr. Vor drei Tagen hatten sich vier Biker Gould auf der Straße geschnappt, ihn in die Berge gefahren und sein Grab schaufeln lassen. Er hatte sich auf den Bauch legen müssen und den Staub küssen. Gould hatte ernsthaft geglaubt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Der Mann mit dem Gewehr klang erbarmungslos. Gould wusste noch immer nicht, warum sie ihn nicht erledigt hatten; irgendwann hatten sie gefragt, wie viel Geld er daheim hatte – ein paar tausend in cash. Mit verbundenen Augen fuhren sie ihn zurück in die Stadt. Warteten vor der Tür, während er eine Tasche packte, und ließen ihn seine Ersparnisse abdrücken. Anschließend folgten sie seinem Triumph hinaus bis zum Great Western Highway – der Straße nach Adelaide.

Als Swann vor dem Haus einen pluggernden Achtzylinder hörte, strich er am obersten Knopf über sein Anzugjackett.

Sein neuer Firmenwagen sollte um sieben Uhr kommen.

Er betrachtete sich erneut im Spiegel. Seine alten Polizeistiefel waren frisch poliert, der blaue Schurwollanzug saß perfekt. Die Haare waren frisch geschnitten, seine Augen von der neuen Sonnenbrille beschirmt.

Seine Töchter hatten sie ihm ausgesucht: eine Ray-Ban mit spitzen Ecken, wie aus den Fünfzigern. Teuer, aber er konnte sie sich leisten, weil er gerade sein Honorar bekommen hatte. Und das reichte, um jeder seiner drei Töchter einen großen Schein zuzustecken und den Rest draußen unterm Zitronenbaum zu vergraben. Trevor Dragic hatte offenbar das Land verlassen und war in seine mazedonische Heimat geflohen. Seine Konten und Immobilien waren an den Insolvenzverwalter gefallen, und der hatte Swann voll ausbezahlt.

Zum ersten Mal seit Monaten hatte er keinerlei Sorgen, und heute begann etwas ganz Neues.

Der Holden Statesman fuhr rückwärts in die Einfahrt und blieb wie eine große, tief und zufrieden schnurrende Katze stehen.

Ein Stato wäre schon eine feine Sache. Etwas größer als Swanns sonstige Autos, aber dank des ausgehandelten Vertrags konnte er sich das mächtige Fünf-Liter-Aggregat leisten – der Firmenwagen samt Benzinkostenübernahme stand auch drin.

In den letzten Jahren hatte er vor allem den Datsun 120Y seiner Frau mitbenutzt. Daneben gab es zwar noch eine Reihe von Holdens aus den 1960er Jahren, die er billig gekauft und an den Wochenenden hergerichtet, dann aber an seine Töchter weitergegeben hatte, sobald sie volljährig wurden: einen gelbgrünen HK für Louise, einen roten EK mit weißem Dach für Sarah und erst kürzlich einen smaragdgrünen Brougham, den sich seine Jüngste, Blonny, gewünscht hatte. Drei Jahre hatte er gebraucht, um die schon ausgeschlachtete Kiste in ihre alte Pracht zurückzuversetzen. Dabei hatte er auch die Vorzüge von Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern und Ledersitzen zu schätzen gelernt.

In der Einfahrt stieg Heenan, die rechte Hand des neuen Premierministers, aus; der Fahrer des Statesman blieb sitzen.

Swann blickte Heenan fragend an, doch der zog sich nur die Hose über den dicken Bauch, ließ die Finger knacken und kurz den Kopf kreisen. »Schicker Anzug«, sagte er mit ruhiger Stimme. So ruhig und voller Schmelz, dass sie im Ohr schmeichelte. »Dein Auto steht ein Stück die Straße runter, Frank. Vor der Bäckerei. Hier sind die Schlüssel.«

Swann nahm sie aus Heenans warmer Hand, blickte auf das Holden-Logo, nickte.

»Den Pager hast du?«, fragte Heenan. Swann zeigte ihn ihm, obwohl er gar nicht wusste, wie das Ding funktionierte. »Wenn wir dich brauchen, schicken wir dir eine Nummer. Die rufst du an, dann kriegst du weitere Anweisungen. Wir könnten heute Vormittag überall sein. Wart in deinem Büro. Das Telefon dort hat übrigens noch keine Sicherheitsfreigabe. Damit könntest du also mal anfangen.«

Mit diesen Worten stieg Heenan in den Statesman, schlug die dunkle Tür zu, und der Wagen rollte zurück auf die Straße. Als er den Hügel hinauffuhr, war hinter seinen getönten Scheiben nichts zu erkennen.

Swann schloss ab und nahm die Werkzeugtasche, die auf der Veranda vor dem Haus stand. In der Tasche befand sich vor allem Elektronik, die mit Swanns Hauptbeschäftigung in den vergangenen Jahren zu tun hatten: Abhörgeräte, Wanzen und Funksignalmesser zum Aufspüren von Lauschern. Seine Kameras und Rekorder.

Ein Stück die Straße hinunter war eine Bäckerei, von der jede Nacht Brotgeruch in Swanns Schlafzimmer wehte. Davor parkte sein Auto.

Nicht gerade, was er erhofft hatte. Der pfirsichfarbene Commodore war das 1981er Modell, erst zwei Jahre alt, aber er sah schon mitgenommen aus.

Swann ging einmal um den Wagen herum in der Hoffnung, dass er von irgendeiner Seite einen besseren Eindruck machte. Es war natürlich ein Flottenfahrzeug, aber die Lackkratzer an den Kotflügeln verrieten, dass er viel auf den Schotterstraßen des Outbacks unterwegs gewesen war. Auch der Kühlergrill mit der Eierkartonoptik war angeschlagen und verbeult, die Antenne auf dem Kotflügel verbogen und rostig. Auf dem Kofferraumdeckel fehlte das Typenschild, der Tankdeckel war zerkratzt und stand etwas ab, als hätte jemand versucht, ihn mit Gewalt zu öffnen. Die Reifen waren schon stark abgefahren.

Auf all das wäre es aber nicht angekommen, hätte der 1,9-Liter-Motor nicht den Ruf gehabt, eine lahme Krücke zu sein, weil man dafür von einem originalen Sechszylinder bloß zwei Zylinder abgezwickt hatte. Das Auto war somit nicht viel mehr als ein vollbepacktes Pferd mit drei Beinen.

Swann öffnete die Tür und legte die Werkzeugtasche auf den Beifahrersitz, dann nahm er hinterm Lenkrad Platz. Er klappte die Sonnenblende herunter, drehte den Zündschlüssel und lehnte sich in den cremefarbenen Nylonsitzen zurück, während er auf das Anspringen des Motors wartete. Das Radio war auf einen Talksender eingestellt, in dem John K. Watts gerade energisch die Ansicht vertrat, dass Australien einen gesamtstaatlichen Australian-Football-Wettbewerb brauchte und Western Australia ein eigenes, schlagkräftiges Team. Swann war gleichzeitig mit Watts bei der Western Australia Police gewesen; daneben hatte Watts noch professionell Football gespielt und danach seine Zweitkarriere als Komiker gestartet.

Swanns Berufsweg war weniger unkonventionell verlaufen – vom Polizisten zum Sicherheitsspezialisten beziehungsweise dem, was gemeinhin...

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