Chasing the Light - Die offizielle Biografie

Chasing the Light - Die offizielle Biografie

von: Oliver Stone

FinanzBuch Verlag, 2020

ISBN: 9783960926948

Sprache: Deutsch

416 Seiten, Download: 11353 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Chasing the Light - Die offizielle Biografie



EINLEITUNG


Schnellen Schrittes gehe ich durch die kopfsteingepflasterten Straßen einer kleinen mexikanischen Stadt aus dem 16. Jahrhundert. Dieser Ort ist ein kleines Juwel mit Kirchen, Plätzen und lauter Steinbrücken, die über einen mäandernden Bach führen.

Hunderte von Statisten und Technikern sowie Schauspieler warten in der Hitze darauf, dass ich entscheide, wo, wann und wie. Ich befinde mich mitten im Zapata-Land, im Bundesstaat Morelos, zwei Stunden südlich von Mexiko-Stadt.

In einer Straße habe ich 150 mexikanische Armeesoldaten postiert, gekleidet wie salvadorianische Truppen etwa 1980. In einer anderen Straße stehen siebzig gesattelte Pferde; sie sind unruhig, wiehern und scharren mit den Hufen. Für die Pferde und Reiter haben wir die besten Vaqueros des Bundesstaats rekrutiert – eine Art Rebellenkavallerie. Ich habe beschlossen, dass sie über eine Brücke auf den Hauptplatz stürmen sollen, um die belagerten Regierungstruppen endgültig zu überwältigen. Es wird mehrere Explosionen geben, die wir entlang der Angriffslinie gelegt haben. Zwischen den Fronten befinden sich mehrere Dutzend Dorfbewohner, als Statisten eingesetzte Zivilisten, die auf Kommando in alle Himmelsrichtungen laufen werden.

Meine beiden wichtigsten Darsteller, im Film Journalisten, werden genau in der Mitte dieses Angriffs stehen und beobachten, wie die Kavallerie direkt vor unseren Kameras die Straßenflucht hinuntergaloppiert. Ich werde in der Nähe meines Hauptdarstellers bleiben – er ist nervös, er Angst hat davor, wegen dieses durchgeknallten Regisseurs verletzt zu werden, der ihn (nach seiner Aussage) schon mehrmals beinahe umgebracht hätte und dem er nicht vertraut, weil er mich für diesen abgebrühten Veteranen eines anderen Krieges (in Vietnam) hält, der glaubt, alle Schauspieler seien Weicheier. Er denkt natürlich nur an sein Gesicht und an die Gasbomben, die jederzeit hochgehen könnten und von denen jede einzelne ihn entstellen und seine Karriere ruinieren könnte, wenn sie detonieren.

Die Sonne steht hoch und es ist brütend heiß. Ich bin bereit, »Action!« zu rufen. Fast fünfzehn Jahre lang habe ich versucht, bei einem Film wie diesem Regie zu führen. Heute geht endlich ein Traum in Erfüllung – die Vision eines sechsjährigen Jungen, der unter einem Weihnachtsbaum mit Spielzeugsoldaten und einer elektrischen Eisenbahn spielt: meine ganz eigene Welt. Ich bin der Schöpfer, und ich habe die Macht, heute zu entscheiden, wer stirbt und wer in diesem von mir geschaffenen Theater überleben wird. Es ist genau das, was die Filme für mich als Kind so aufregend machte: Schlachten, leidenschaftliche Taten, folgenschwere Ereignisse.

So aufregend es auch ist, für ein paar Tage Gott zu spielen, steckt doch hinter den Requisiten, Kulissen und all den Mitarbeitern unseres Films ein drohendes Dilemma: Uns ist das Geld ausgegangen. Fünfzig oder sechzig von uns, alle aus dem Ausland, sitzen in Mexiko auf dem Trockenen und leben auf Kredit und mit einer Gnadenfrist. Wir haben vor sechs Wochen mit diesem riesigen Unterfangen begonnen, das dreiundneunzig Sprechrollen in zwei Sprachen, etwa fünfzig Drehorte, Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber vorsieht, um einen Film von epischen Ausmaßen über den Bürgerkrieg in El Salvador Anfang der 1980er Jahre zu drehen. Wir arbeiten in drei verschiedenen Bundesstaaten Mexikos, die weit voneinander entfernt liegen, drehen unter anderem ein Massaker vor einer großen Kathedrale in Mexiko-Stadt (stellvertretend für San Salvador), zeigen Todesschwadronen, die Vergewaltigung und Ermordung von Nonnen und diesen Furcht einflößenden Angriff der Kavallerie – und das alles für eine lächerliche Fantasie-Summe von weniger als 3 Millionen Dollar! Wir waren verrückt, uns darauf einzulassen.

Und jetzt kommen die Geldgeber aus Mexiko-Stadt, um mir und dem Produzenten quasi die Kontrolle über den Film zu entziehen, denn wir liegen eindeutig über dem Budget – um wie viel weiß noch niemand – und wir haben noch zwei Wochen Zeit zum Drehen. Es muss klargestellt werden, wer das Sagen hat. Die Leute in L.A. haben eine »Bond Company« hinzugezogen (die bloße Erwähnung ist den meisten Produzenten ein Gräuel), ein Unternehmen, das mit Schuldverschreibungen arbeitet und, so wie ein Versicherer ein menschliches Leben bis zu dessen Ende einschätzt, die »Fertigstellung« des Films garantiert. Wir nähern uns mit schnellen Schritten einem »Aus«. Trotz meiner Begeisterung darüber, dass wir so weit gekommen waren, bin ich auch ungemein deprimiert, dass dies vielleicht meine letzte Einstellung für einen Film sein könnte, auf den wir so viel gesetzt hatten und der nun verloren zu sein scheint.

»Action!« Ich schreie, damit man mich mehrere Blocks weit entfernt auch ohne Funkgeräte hören kann. »Attacke!« Die Befehle werden von meinen Regieassistenten über Megafon auf Spanisch wiederholt.

Dann hört man schon das anschwellende Geräusch von hämmernden Hufen auf dem alten Kopfsteinpflaster – vier Hufeisen pro Pferd, also insgesamt 280, die aus der Ferne kommend unweigerlich auf unser Kamerateam zusteuern. Ich bete, dass niemand in diesen engen Straßen von seinem verdammten Pferd fällt; er würde mit Sicherheit zu Tode getrampelt werden.

»Macht euch bereit!«, rufe ich unnötigerweise den beiden Schauspielern zu, die in ihrer Rolle als Journalisten den bevorstehenden Angriff mit ihren 35mm-Kameras filmen sollen. Mein Hauptdarsteller ist furchtbar aufgeregt. Der andere Schauspieler ist jedoch ganz gefasst und entschlossen zu glänzen, als der erste der Reiter um die Ecke kommt, auf die Brücke zurast und, wie alle ihm folgenden Reiter, sein Gewehr abfeuert. Tapfere Männer. Die ersten Pferde fliegen jetzt förmlich über die Brücke, neben ihnen bricht eine feuerrote Explosion los. Zwei oder drei Männer lassen sich an choreografierten Stellen fallen, sie bleiben unverletzt. Die Horde wird immer größer. Die Wucht des Kavallerieangriffs ist das Wichtigste, und ich weiß, dass wir ihn im Kasten haben. Ich kann die schiere Gewalt dieses Moments spüren. Die Realität könnte nicht besser sein.

Genau in dem Moment, als die siebzig Pferde über die Brücke gestürmt sind, ergreift mein Hauptdarsteller die Flucht. Etwas früh vielleicht – die Reiter sind noch etwa fünfzig Meter entfernt – aber wer bekäme es da nicht mit der Angst zu tun? Wie eine riesige Welle, die über ein Schiff hereinbricht, reicht allein der Lärm schon aus, um selbst den hartgesottensten Kerl in Angst und Schrecken zu versetzen. Doch der Nebendarsteller bleibt stehen, angespornt von einem Augenblick der Erhabenheit, wie ein Fels in der Brandung, und »fotografiert« diesen einmaligen Moment. Als es keine dreißig Meter mehr sind, schreie ich ihn an, er solle rennen – »Hau ab da!« –, denn mein wackerer Kameramann und ich wissen, dass es für uns kein Entkommen gibt, wenn wir den Pferden nicht jetzt aus dem Weg springen. Nichts wie weg!

Als die Pferde nur noch zwanzig Meter entfernt sind, bringt sich mein unerschrockener und flinker Nebendarsteller gerade noch rechtzeitig in Sicherheit. Ein Gänsehautmoment. Allein schon der Sound und die verwackelten Bilder werden ihre Wirkung nicht verfehlen. Ein spektakulärer Augenblick im Film. Zu schade, dass der Hauptdarsteller etwas zu früh losgelaufen ist, aber ... das entspricht seiner Figur, wie sie sich im Film entwickelt. Nicht gerade ein klassischer Hollywood-Held.

»Schnitt!«, brülle ich. Eine ungeheure Energie entlädt sich, bevor Pferde und Crew wieder zusammenkommen. Die Pferde, deren Flanken sich heftig heben, atmen schwer, die Mitglieder der Crew rufen sich auf Spanisch Anweisungen zu, viele Anpassungen werden vorgenommen.

Jetzt, wo das Eis gebrochen ist, kündige ich gleich den zweiten Take an. Wir haben einen guten Lauf: In den nächsten zwei Stunden spielen wir den Angriff noch viermal durch und decken dabei alle möglichen Blickwinkel ab, während die Kavallerie über die Regierungstruppen (zumeist mexikanische Stuntmen) herfällt und sich in der Schlacht das Blatt zugunsten der Rebellen wendet.

Das heißt, bis – im Film – die Botschaft der Vereinigten Staaten, die sich in Alarmbereitschaft befindet, telefonisch in diese entscheidende Schlacht des Bürgerkriegs eingreift und der Regierung Salvadors die Freigabe der neuesten Panzer und Waffen aus Amerika bewilligt. Mit drei Panzern, etwas Luftunterstützung und Artillerie verfügt man über genügend Feuerkraft, um den Aufstand der Rebellen niederzuschlagen und eine Stabilisierung der Regierung zu gewährleisten. Wir planen, dies in den nächsten zwei Tagen zu drehen, während wir versuchen, die Kampfszenen abzuschließen, bevor unsere finanzielle Lebensader durchtrennt wird. Aber ich werde nervös, als ich sehe, wie mein Produzent mit seinen ewigen Sorgenfalten auf der Stirn auf mich zukommt. Mit britischem Understatement scherzt er: »Ich runzele doch nicht etwa die Stirn, oder? ... Wir haben die...

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