Wenn die Dinge mit uns reden - Von Sprachassistenten, dichtenden Computern und Social Bots

Wenn die Dinge mit uns reden - Von Sprachassistenten, dichtenden Computern und Social Bots

von: Christoph Drösser

Duden, 2020

ISBN: 9783411913237

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 2478 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Wenn die Dinge mit uns reden - Von Sprachassistenten, dichtenden Computern und Social Bots



DER TRAUM VON DER SPRECHENDEN MASCHINE

Die Geschichte der Sprachtechnologie

Wolfgang von Kempelen ist als Scharlatan und Betrüger in die Geschichte eingegangen. Im Jahr 1769 stellte der ungarische Ingenieur der staunenden Öffentlichkeit seinen »Schachtürken« vor – eine Maschine in menschlicher Gestalt, die vor einem Schachbrett saß und die meisten Gegner besiegen konnte, die sich mit ihr maßen. Heute schlagen Schach spielende Computer alle Großmeister, und man könnte einen solchen »Türken« wirklich konstruieren (die Redewendung »einen Türken bauen« geht auf Wolfgang von Kempelens Maschine zurück). Aber damals war es nur ein Trick: In dem Kasten versteckte sich ein menschlicher Schachspieler, der durch eine Gaze-Verkleidung nach draußen spähte und dann die mechanischen Arme des »Türken« bewegte. Erst nach dem Tod des Konstrukteurs wurde das Geheimnis gelüftet.

Der »Schachtürke« war eine Art Jahrmarktsattraktion, sogar Friedrich der Große und Napoleon traten gegen ihn an. Von Kempelen gab stets zu, dass es sich nicht um eine autonome Maschine handelte. Das Wort »Roboter« gab es damals natürlich noch nicht – er selbst sprach von einem »mechanischen Trick«, den er freilich nie preisgab.

Ansehen hätte Wolfgang von Kempelen allerdings für eine andere Konstruktion verdient, die ganz ohne solche Kunstgriffe auskam: Im Jahr 1780 führte er erstmals seine »Sprechmaschine« vor – die erste Apparatur, die menschliche Laute einigermaßen verständlich produzieren konnte. Zwei Jahre lang tourte er mit ihr durch Europa (der »Türke« war ebenfalls im Gepäck). Die Maschine bildete den menschlichen Sprechapparat nach: Ein Blasebalg war die Lunge, eine Zungenpfeife bildete die Stimmlippen nach, und ein großer Trichter entsprach dem Mundraum. Eine Zunge und Zähne besaß die Maschine allerdings nicht, weshalb sie nur einige Vokale und Konsonanten wirklich überzeugend produzieren konnte. Kempelen arbeitete auch bei den Vorführungen der Sprechmaschine mit Suggestivmethoden: Das Publikum konnte ihm Wörter zurufen, welche die Maschine wiedergeben sollte. Und dann wusste der Zuhörer natürlich schon, was er hören wollte.

Wolfgang von Kempelen war aber nicht nur ein Schlitzohr und Tüftler. Obwohl er keine medizinische, insbesondere anatomische Ausbildung genossen hatte, studierte er den menschlichen Sprechapparat im Detail und veröffentlichte 1791 ein Buch zum »Mechanismus der menschlichen Sprache«3. Darin analysierte er alle Laute der wichtigsten europäischen Sprachen und beschrieb, wie wir sie produzieren. Diese vorurteilsfreie, reduktionistische Betrachtungsweise erscheint heute selbstverständlich, und viele von Kempelens Erkenntnissen sind noch immer gültig. Man kann ihn durchaus als Vorläufer einer empirisch fundierten Linguistik bezeichnen. Für viele Zeitgenossen aber war die Schrift das Werk eines Dilettanten, der von der Materie keine Ahnung hatte. Die Sprache gehörte damals in die Domäne der Philosophie. »Aber überhaupt muß man erstaunlich unwissend seyn … im Mechanismo menschlicher Sprache«, hieß es in einer anonymen zeitgenössischen Rezension, »wenn mans selbst glauben und andere überreden will, daß es nur im geringsten möglich sey, Maschinen zu erfinden, welche artikulierte Töne zu reden vermögen.«4

Mit seinen Erfindungen griff Wolfgang von Kempelen zwei Themen auf, die Science-Fiction-Autoren seit jeher beschäftigen und die auch im Zentrum der Forschungen zur künstlichen Intelligenz stehen. Der »Schachtürke« steht dabei für den autonomen Roboter, der sich selbstständig in der Umwelt bewegt und dabei scheinbar intelligent handelt. Die Sprechmaschine dagegen ist eines der ersten Modelle für ein nichtmenschliches Wesen oder Ding, das zu uns in mehr oder weniger gut artikulierter Sprache redet.

Warum uns sprechende Dinge so faszinieren

Zwar formulierte Wolfgang von Kempelens Maschine ihre Wörter ganz offenbar nicht selbst, sondern ein menschlicher Operator steuerte sie mit einer Art Orgeltastatur. Aber allein ihr Klang, der dem einer menschlichen Stimme zumindest ähnelte, schlug die Leute in ihren Bann. Bevor wir uns zu sehr über diese scheinbar naive Begeisterungsfähigkeit mokieren, sollten wir bedenken, dass dasselbe heute jeden Tag tausendfach geschieht, wenn Nutzer zum ersten Mal mit Siri oder Alexa kommunizieren, den digitalen Helfern in unseren Handys und Computern. Die mögen lapidare, vorgefertigte Antworten geben, die uns in Schriftform kaum beeindrucken würden – aber wenn eine Maschine zu uns spricht, sind wir so überrascht, dass wir sie plötzlich als Gegenüber ansehen und nicht nur als ein nützliches Gerät.

Woran liegt das? Die Sprache ist der wichtigste Schlüssel zum Innenleben einer anderen Person. Wenn wir einen anderen Menschen sehen, dann gehen wir zwar im Prinzip davon aus, dass er Gedanken und Gefühle hat, die grundsätzlich den unseren ähneln, aber wir können uns dessen nicht sicher sein. Wir versuchen ständig, den anderen zu »lesen«, doch da wir uns nicht in ihn oder sie hineinversetzen können, müssen wir unsere Schlüsse anhand von Indizien ziehen. Die Psychologie und Philosophie haben für dieses beständige Nachforschen den Begriff »Theory of Mind« geprägt – wir entwickeln immer neue Hypothesen über den inneren Zustand anderer Menschen.

Schon die Körperhaltung eines anderen verrät uns viel über dessen Stimmung. Noch aussagekräftiger ist der Gesichtsausdruck – unsere Wahrnehmung menschlicher Gesichtszüge und Mimik ist sehr differenziert: Ein freudiger, trauriger oder wütender Gesichtsausdruck wird kulturübergreifend von allen Menschen verstanden.

Stimmungen können wir in begrenztem Maße auch aus dem Verhalten von Tieren herauslesen. Fast jeder Hundebesitzer wird beteuern, dass er seinem Haustier ansehen kann, wie es sich fühlt. Selbst zwei Monate alte Babys können Lebewesen von unbelebten Objekten unterscheiden. Aber sobald es um die Mitteilung von Gedanken geht, ist die Sprache unverzichtbar. Ein ausdifferenziertes System von Schrift und Sprache hat nur der Mensch geschaffen; dadurch unterscheidet er sich grundsätzlich von anderen Tieren – jedenfalls war das bislang der Fall.

Kann ich mit jemandem nicht sprechen, dann fehlt mir eine ganze Dimension des Zugangs zu dieser Person. Das merken wir, wenn wir uns beispielsweise im Urlaub in einer Umgebung befinden, in der die Menschen eine Sprache sprechen, die wir nicht verstehen. Nicht nur, dass man selbst die einfachsten Wünsche oder Gedanken nicht äußern kann, wenn man zum Beispiel im Supermarkt einkauft. Auch die Worte der anderen sind unverständlich, und es kommt zu Missverständnissen: War die barsche Antwort des Taxifahrers feindselig gemeint, oder ist das der spezielle lokale Charme? Ist die alte Dame, die auf mich einredet, einfach nur nett, oder will sie, dass ich ihr Geld gebe?

Ohne auf den Zusammenhang zwischen Gedanken und Sprache näher einzugehen (die einander sicherlich nicht eins zu eins entsprechen), kann man die Sprache als das Medium bezeichnen, über das wir abstrakte Gedanken vermitteln können. Wir schätzen die intellektuellen Fähigkeiten eines anderen ein, wenn wir ihn oder sie reden hören (wobei man sich dabei auch schwer vertun kann, etwa wenn man einen starken Dialekt mit einem geringeren Intellekt gleichsetzt). Wir merken, ob jemand auf unserer »Wellenlänge« liegt oder nicht. Ohne Sprache ist eine »Theory of Mind« des anderen praktisch unmöglich.

Dass die Sprache etwas ist, woran wir das Menschsein unseres Gegenübers erkennen, glaubte schon der Philosoph René Descartes im17. Jahrhundert. In seinem Werk »Abhandlung über die Methode«, erschienen 1637, schrieb er: »Wenn es unsern Körpern ähnliche Maschinen gäbe, die sogar, soweit es moralisch möglich wäre, unsere Handlungen nachahmten, so würden wir doch stets zwei ganz sichere Mittel haben, um zu erkennen, dass sie deshalb nicht wirkliche Menschen seien. Das erste ist, dass sie niemals Worte oder andere von ihnen gemachte Zeichen würden brauchen können, wie wir tun, um anderen unsere Gedanken mitzuteilen.«5 Man könne vielleicht sogar eine Maschine bauen, die auf mechanische Weise sprachlich reagieren würde und zum Beispiel schreien könnte, man tue ihr weh, wenn man sie anfasst. »Nicht aber, dass sie auf verschiedene Art die Worte ordnet, um dem Sinn alles dessen zu entsprechen, was in ihrer Gegenwart laut wird, wie es doch die stumpfesten Menschen vermögen.«6 Das genau ist die Frage, die uns im Verlauf dieses Buches immer wieder beschäftigen wird: Ist das, was uns die sprechenden Maschinen von heute sagen, mehr als eine reflexhafte, programmierte Reaktion auf einen Reiz? Oder kann die Maschine die Wörter auf verschiedene Art »ordnen«?

Es gibt jedoch noch ein weiteres Kriterium, an dem man Descartes zufolge einen Menschen erkennt: Maschinen können vielleicht einiges besser als der Mensch (Motoren sind stärker als wir, Computer rechnen schneller und schlagen uns heute auch im Schachspiel), aber sie handeln stets »nach der Disposition ihrer Organe«, heute würden wir sagen: nach den Anweisungen eines Programms. Wir dagegen besitzen die Vernunft, die uns in jeder denkbaren Situation weiterhilft. »Und deshalb ist es moralisch unmöglich, dass in einer Maschine verschiedene Organe genug sind, um sie in allen Lebensfällen so handeln zu lassen, wie unsere Vernunft uns zu handeln befähigt.«7 Eine interessante Bemerkung, die bis heute in der Unterscheidung zwischen »schwacher« und »starker« künstlicher Intelligenz weiterlebt – die schwache KI vollbringt menschenähnliche Leistungen auf einem klar begrenzten Gebiet, während die (noch nicht verwirklichte) starke KI keine solchen Grenzen...

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