Suzukis Rache

Suzukis Rache

von: Kotaro Isaka

Hoffmann und Campe, 2023

ISBN: 9783455015874

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 724 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Suzukis Rache



Suzuki


Suzuki blickt auf das Häusermeer und denkt über Insekten nach. Es ist Nacht, aber grelles Neonlicht und die Straßenbeleuchtung lässt die Szenerie taghell erscheinen. Ein Gewimmel von Menschen, wohin man auch blickt. Sie sehen aus wie schrill bunte, krabbelnde Insekten.

Suzuki, unangenehm berührt, fällt eine Bemerkung ein, die sein ehemaliger College-Professor zehn Jahre zuvor geäußert hatte.

»Im Tierreich findet man das höchst selten, dass Einzelwesen freiwillig so dicht zusammengepfercht leben. Der Mensch ist offenbar gar kein Säugetier, sondern ähnelt eher Insekten«, behauptete er mit einem gewissen Stolz. »Wie Ameisen oder Heuschrecken.«

»Ich habe Aufnahmen von Pinguinen gesehen, die eng zusammen in Kolonien leben. Sind Pinguine auch Insekten?«

Es war Suzuki, der die Gegenfrage stellte. Gar nicht mal in böser Absicht.

Der Professor lief rot an.

»Pinguine spielen keine Rolle«, gab er unwirsch zurück.

Es klang so herrlich naiv, und Suzuki erinnert sich, dass er damals dachte: so möchte ich auch mal sein.

Dabei kommt ihm seine Frau in den Sinn, die vor zwei Jahren gestorben ist. Sie fand die Geschichte nämlich total witzig.

»In einer solchen Situation musst du einfach antworten: ›Sie haben völlig recht, Herr Lehrer!‹ – und schon ist alles in Butter.« So lautete ihr Ratschlag.

Zumindest schien das für sie zu gelten, denn sie war immer bester Laune, wenn er ihr zustimmte: »Du hast recht, meine Liebe.«

 

»Worauf wartest du noch? Schmeiß ihn da rein.«

Suzuki erschrickt, als er hinter sich Hiyokos drängende Stimme vernimmt.

Kopfschüttelnd versucht er die Gedanken an seine verstorbene Frau zu verscheuchen und bugsiert den Körper des jungen Manns in den Wagen. Ein langer Lulatsch mit blonder Mähne plumpst auf den Rücksitz der Limousine. Bewusstlos. Er trägt einen schwarzen Lederblouson, unter dem ein dunkles Hemd hervorlugt. Auf schwarzem Untergrund breitet sich ein Muster mit wimmelnden Insekten aus. Grässlich! Das Muster passt zu dem Typen, ebenfalls grässlich!

Auf dem Platz daneben befindet sich bereits eine andere Person. Suzuki hatte sie ebenfalls mit Ach und Krach nach hinten ins Auto verfrachtet. Eine junge Frau Anfang zwanzig. Lange schwarze Haare, gelber Mantel. Mit geschlossenen Augen, den Mund halb geöffnet, lehnt sie an der Rückbank. Dem Atemgeräusch nach scheint sie tatsächlich zu schlafen.

Suzuki schiebt die Beine des Mannes in den Wagen und wirft die Tür zu.

»Steig ein!«, befiehlt Hiyoko.

Suzuki öffnet die Beifahrertür und setzt sich nach vorn.

Die Limousine parkt direkt am nördlichen Ausgang der U-Bahn-Station Fujisawa-Kongocho. Vor ihnen liegt eine belebte Kreuzung mit Zebrastreifen.

Obwohl es bereits halb elf abends ist, herrscht in Shinjuku sogar in der Woche mehr Betrieb als tagsüber. Besoffene wie Nüchterne und Hunderte Katzen treiben sich hier zu etwa gleichen Teilen herum.

»Und, war doch ganz einfach, oder?« Hiyoko klingt völlig gelassen. Ihr blasses Gesicht, schimmernd wie Porzellan, tritt im dunklen Wageninneren besonders deutlich zum Vorschein. Das kurz geschnittene, kastanienbraune Haar bedeckt knapp die Ohren. Ihre Miene hat etwas Kaltes an sich, was vielleicht an den Schlupflidern liegt. Sie hat knallroten Lippenstift aufgelegt und trägt eine weiße Bluse, tief ausgeschnitten. Der kurze Rock reicht ihr kaum bis zum Knie. Angeblich ist sie Ende zwanzig, also etwa genauso alt wie Suzuki, wirkt jedoch älter oder aber einfach nur abgeklärt. Man könnte meinen, sie sei ein vergnügungssüchtiges Partygirl, aber Suzuki weiß, dass sie klug und gebildet ist. Ihre Füße stecken in Stöckelschuhen, er wundert sich, wie man damit Auto fahren kann.

»Einfach oder schwierig, ich habe sie lediglich in den Wagen gehievt.« Suzuki schneidet eine Grimasse. »Ich habe das bewusstlose Pärchen nur zum Wagen geschleppt und nach hinten verfrachtet.«

Für alles Weitere bin ich nicht verantwortlich, will er damit sagen.

»Wenn du Schiss hast, wirst du es nicht weit bringen. Deine Probezeit ist bald vorbei, mit Manschetten wirst du es zu nichts bringen. Ich wette, du hast nie daran gedacht, dass du mal Leute wie die beiden Kids hier entführen wirst.«

»Natürlich nicht!«

In Wahrheit ist Suzuki keineswegs überrascht. Er hat die Agentur von vornherein nicht für seriös gehalten. »Furoirain ist doch ein deutsches Wort und bedeutet ›junge Frau‹, richtig?«

»Du kennst dich aus. Wahrscheinlich hat Terahara selbst die Firma so getauft.«

Suzuki verkrampft sich sofort, als er den Namen aus Hiyokos Mund vernimmt. »Der Alte?« Er meint den Chef.

»Wer sonst? Sein Söhnchen, die Flasche, wäre doch sogar dafür zu blöd.«

Suzuki muss abermals an seine tote Frau denken, und die Emotionen kochen in ihm hoch.

Er spannt die Bauchmuskeln an und reißt sich am Riemen. Jedes Mal, wenn von Terahara junior die Rede ist, ist er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

»Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich eine Agentur namens Furoirain an junge Mädels ranmacht«, schafft er gerade noch, sich herauszureden.

»Absurd, oder?«

Hiyoko ist schon länger in der Firma, was ihr trotz des gleichen Alters eine ganz andere Position als Suzuki verschafft. Seit einem Monat gehört er zur Truppe, und sie bringt ihm bei, was er zu tun hat. Seine Aufgabe bestand bisher lediglich darin, in einer Einkaufspassage herumzulungern und Passantinnen zu akquirieren.

Er hält sich an belebten Spots auf und quatscht sie unverfroren an. Sie lehnen ab, ignorieren oder beschimpfen ihn sogar, was ihn jedoch nicht davon abhält, unverdrossen weiterzumachen. Die meisten Frauen gehen einfach weiter. Es hat nichts mit besonderem Einsatz, Raffinesse oder Taktik zu tun. Sie mögen angewidert das Gesicht verziehen, ihn misstrauisch beäugen oder einen großen Bogen um ihn machen, ihm bleibt keine Wahl, als stur auf sie einzureden.

Trotzdem findet sich pro Tag mindestens eine Frau, eine unter tausend, die sich interessiert zeigt. Mit der geht er dann in ein Café, wo er sie mit Angeboten von Kosmetikprodukten und Fitnessdrinks volllabert. »Die Wirkung tritt nicht sofort ein, aber schon nach einem Monat werden Sie dramatische Veränderungen bemerken«, verspricht er ihr das Blaue vom Himmel, belegt es mit überzeugenden Argumenten und präsentiert entsprechende Broschüren. Farbenfroh gestaltet, mit imposanten Graphiken und Zahlen, aber im Grunde alles Lug und Trug.

Leichtgläubige Frauen gehen den Vertrag auf der Stelle ein, die anderen zögern, sie würden ›es sich überlegen‹, und ziehen ab. Falls er doch noch eine Chance wittert, läuft er ihnen nach. Dann übernimmt ein Sondertrupp, der den Frauen bis zu ihren Wohnungen auf die Pelle rückt und sie auf nicht immer legale Weise zur Unterschrift nötigt. Angeblich. Er hat bisher nur davon gehört.

 

»So, du bist nun einen Monat bei uns. Können wir zum nächsten Level übergehen?«

Das hat sie vor einer Stunde zu ihm gesagt.

»Das nächste Level?«

»Du willst ja wohl nicht bis in alle Ewigkeit fremde Frauen auf der Straße anbaggern, oder?«

»Na ja«, war er ausgewichen. »Eine Ewigkeit wäre vielleicht ein bisschen lange.«

»Heute erwartet dich ein neuer Job. Wenn du das nächste Mal jemanden ins Café abschleppst, begleite ich dich.«

»Jemanden zu ködern, ist nicht gerade Pillepalle«, hatte er aus einmonatiger Erfahrung mit einem schiefen Grinsen geantwortet.

Doch glücklicherweise – oder auch nicht – hatte er binnen einer Stunde zwei Jugendliche festgenagelt, die ihm auf den Leim gegangen waren. Das Pärchen, das jetzt hinter ihm auf der Bank schlummert.

Die junge Frau hatte zuerst angebissen.

»Hey, findest du nicht, dass ich Model werden könnte, wenn ich abnehme?«, sagte sie leichthin zu ihrem Freund, der ihr sofort schmeichelte: »Aber klar. Du hast echt das Zeug dazu. Du hättest alle Chancen.«

Suzuki rief Hiyoko an, ging mit dem Pärchen ins Café und pries wie üblich seine Produktpalette an.

Mangelte es ihnen nun an Wachsamkeit oder waren sie einfach nicht clever genug und zu unerfahren? Jedenfalls waren sie voll darauf eingestiegen und ließen sich um den Finger wickeln. Beim geringsten Kompliment leuchteten die Augen des ›Models‹, und beide nickten begeistert zu den Angaben in den Broschüren, die vorn und hinten nicht stimmten.

Angesichts ihrer gnadenlosen Naivität machte Suzuki sich fast Sorgen um die beiden. Er wurde plötzlich eingeholt von Erinnerungen an seine Schüler vor zwei Jahren, als er noch Lehrer war. Besonders lebhaft kam ihm einer von den Kids in den Sinn. ›Was sein muss, erledige ich schon‹, hatte der Jugendliche zu Suzuki gesagt. Er stammte aus der letzten Schulklasse, die Suzuki betreut hatte. Sonst wurde er wegen seines rüpelhaften Betragens von den Mitschülern gemobbt, aber einmal hatte er großes Lob erhalten, weil er im Einkaufszentrum einen Handtaschendieb überwältigen konnte. »Was sein muss, erledige ich schon.« Bei dem Satz lächelte er Suzuki an, verschämt, aber auch ein wenig stolz. »Geben Sie mich nicht so schnell auf, Herr Lehrer!«, hatte er hinzugefügt und auf einmal wie ein kleiner Schuljunge gewirkt. Der picklige Typ vor ihm, der gerade in der Broschüre blätterte, erinnerte Suzuki an seinen damaligen Schützling. Er wusste, dass er diesem Wildfremden noch nie begegnet war, aber die Ähnlichkeit war verblüffend.

Dann bemerkte er, wie Hiyoko aufstand und zum Tresen ging, um Kaffee nachzuschenken. Ihm fiel auf, dass sie dort an den Tassen herumhantierte. Aha, sie...

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