Operation Shitstorm - Berufsgeheimnisse eines professionellen Medien-Manipulators

Operation Shitstorm - Berufsgeheimnisse eines professionellen Medien-Manipulators

von: Ryan Holiday

Plassen Verlag, 2013

ISBN: 9783864701467

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 1363 KB

 
Format:  EPUB

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Operation Shitstorm - Berufsgeheimnisse eines professionellen Medien-Manipulators



EINLEITUNG


Freundliche Zeitgenossen würden sagen, ich arbeite im Bereich Marketing und Public Relations oder Online-Strategie und Online-Werbung. Aber das ist nur eine höfliche Tarnung für die nackte Wahrheit. In Wirklichkeit bin ich ein Medien-Manipulator. Ich werde dafür bezahlt, andere zu betrügen. Mein Job ist es, die Medien zu belügen, damit diese wiederum Sie belügen können. Ich betrüge, besteche und belüge andere im Auftrag von Bestseller-Autoren und milliardenschweren Marken, und das unter Einsatz meiner Internetkenntnisse.

Ich habe mit meiner Werbung bestimmten Blogs Millionen zugeschoben. Anstelle von offiziellen Nachrichtendiensten wie Good Morning America habe ich morgens Blogs mit Nachrichten beliefert, und wenn das nicht funktionierte, habe ich Familienmitglieder der Blogger angeheuert. Ich habe Blogger kreuz und quer durch die USA geflogen, ihr Einkommen durch Online-Traffic vermehrt, ihre Geschichten für sie geschrieben, mir raffinierte Tricks ausgedacht, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, und sie mit teuren Essen und Prämien umgarnt. Ich habe genügend Geschenkkarten und T-Shirts an Blogger aus der Modebranche verschickt, um ein kleines Land einzukleiden. Warum ich das alles getan habe? Weil es für mich die einzige Möglichkeit war, sie als Quellen zu gewinnen, die ich anzapfen und im Sinne meiner Kunden nutzen konnte. Ich habe die Blogs dazu missbraucht, die Nachrichten zu kontrollieren.

So kam es, dass ich eines Tages um zwei Uhr morgens ganz in Schwarz an einer verlassenen Kreuzung mitten in Los Angeles stand. In der Hand hatte ich Klebeband und ein paar obszöne Aufkleber, die ich am Nachmittag zuvor noch bei Kinko’s herstellen lassen hatte. Was das sollte? Ich stand hier, um Plakatwände zu beschmieren, besonders solche Plakatwände, die ich selbst geplant und bezahlt hatte. Es ist nicht so, dass ich damit gerechnet hätte, so etwas tun zu müssen, aber hier stand ich nun und tat es. Meine Freundin, die ich dazu überredet hatte, meine Komplizin zu sein, saß hinterm Lenkrad des Fluchtfahrzeugs.

Nachdem ich fertig war, fuhren wir um den Block und ich machte aus dem Beifahrerfenster Fotos von meiner Arbeit, als hätte ich die Plakatwände zufällig von der Straße aus gesehen. Jetzt hing quer über jedem Plakat ein 60 Zentimeter langer Auf kleber, der andeutete, dass der Urheber des Films – mein Freund Tucker Max – es verdient habe, dass man seinen Schwanz in eine Falle mit zwei spitzen Metallhaken daran setzt. Oder so ähnlich.

Zu Hause angekommen, setzte ich sofort zwei E-Mails an zwei große Blogs ab. Ich schrieb unter dem falschen Namen Evan Meyer: „Leute, die habe ich heute Nacht auf der Heimfahrt gesehen. Ich glaube, es war auf der 3. und Crescent Heights. Gut zu wissen, dass auch Los Angeles Tucker Max hasst.“ – Und ich hängte die Fotos an die Mail.

Ein Blogger schrieb zurück: „Du willst mir wohl Ärger machen?“

„Nein“, antwortete ich. „Glaub’ mir, ich lüge nicht.“

Die beschädigten Plakate und die Berichterstattung, die ich mit meinen Fotos auslöste, waren nur ein kleiner Teil der absichtlich provozierenden Werbekampagne, die ich für den Film I Hope They Serve Beer in Hell gemacht habe. Mein Freund Tucker hatte mich gebeten, eine Kontroverse um den Film herum anzuzetteln, der auf seinem Bestseller-Buch basierte, und das habe ich getan – und das, wie sich zeigte, ziemlich mühelos. Es war eine von vielen Kampagnen, die ich in meiner Lauf bahn gemacht habe, und sie war keineswegs ungewöhnlich. Aber sie zeigt einen Teil des Mediensystems, den normalerweise niemand sieht – nämlich, wie Nachrichten von Marketing-Leuten gezielt gemacht und gestreut werden und dass niemand etwas tut, um diese Leute aufzuhalten.

Binnen weniger als zwei Wochen und ohne Budget schafften wir es, dass Tausende amerikanischer College-Studenten landauf, landab auf ihrem Campus gegen den Film demonstrierten, dass verärgerte Bürger unsere Plakate in ihrer Gegend beschmierten, dass FoxNews.com auf der ersten Seite eine Titelstory über die Reaktionen auf den Film brachte, dass die New York Post das erste von vielen Malen Tucker auf Seite 6 erwähnte und dass die Verkehrsbetriebe von Chicago die Filmwerbung von ihren Bussen verbannten und abrissen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, brachten die Washington Post und die Chicago Tribune in der Woche der Filmveröffentlichung je ein Editorial voller Empörung gegen den Film. Die Entrüstung über Tucker war so groß, dass man noch Jahre danach in der beliebten Fernsehshow Portlandia auf dem Sender IFC auf sie anspielte.

Heute können wir ruhig zugeben, dass der ganze Feuersturm, den wir damals auslösten, im Wesentlichen frei erfunden war.

Ich selbst war es, der die Filmwerbung entwarf, die ich in ganz Amerika kaufte und platzierte; ich war es, der prompt anrief und anonyme Beschwerden über diese Werbung hinterließ (und Kopien meiner Beschwerden an Blogs zur Unterstützung sandte). Ich alarmierte die Schwulen-, Lesben- und Transengruppen und die Frauenrechtsgruppen der Colleges, sie sollten sich den Film vorab ansehen, und brachte sie dazu, in den Kinos zu protestieren, weil ich wusste, dass die Spätnachrichtensendungen diese Proteste bringen würden. Ich gründete eine Boykottgruppe gegen den Film auf Facebook. Ich schrieb gefälschte Tweets und gefälschte Kommentare zu Online-Artikeln. Ich gewann sogar einen Wettbewerb, weil ich der Erste war, der eine verunstaltete Filmwerbung in Chicago fotografierte und einschickte. (Danke für das T-Shirt, liebe Leute von Chicago RedEye. Übrigens – das Foto stammte aus New York.) Ich dachte mir verrückte Storys über Tuckers Verhalten beim Dreh und privat aus und erzählte sie brühwarm den Klatsch-Websites, die sie dankbar an ihr Publikum weitergaben. Ich bezahlte frauenfeindliche Werbung auf Feministinnen-Websites und blasphemische Äußerungen auf denen der Christen, denn ich wusste, sie würden todsicher darüber schreiben. Manchmal schickte ich mit Photoshop verfremdete Werbung an Websites und holte so Berichte über umstrittene Werbeanzeigen heraus, die es gar nicht gab. Die Krönung war, als ich zum ersten Mal in der Geschichte eine Pressemitteilung herausgab, um auf meine eigene Kritik zu reagieren. Die Überschrift lautete: „TUCKER MAX’ ANTWORT AUF DIE ENTSCHEIDUNG DER VERKEHRSBETRIEBE VON CHICAGO: ‚LECKT MICH …‘“

Und der Erfolg? Empörung der Presse auf der ganzen Linie, und wir waren mit Tuckers Buch auf der Bestsellerliste der New York Times

Das Ganze habe ich ohne Kontakte, ohne Geld und ohne Vorbilder angezettelt. Aber da unsere Blogs nun mal so sind, wie sie sind – von der Bezahlung der Blogger pro Seitenklick bis hin zu der Art, wie Blog-Postings geschrieben werden, um den Leser auf sie aufmerksam zu machen –, hatte ich ein leichtes Spiel. Das System fraß mir das Material, das ich ihm lieferte, gierig aus der Hand. Und als die Presse den von mir initiierten Sturm aufnahm und vervielfachte, glaubten echte Menschen diese falschen Behauptungen bereitwillig – und das Ganze wurde tatsächlich wahr.

Mein eigentlicher Job, gelegentlich auch ein Fulltime-Job, ist es, Marketing-Direktor für American Apparel zu sein, eine Bekleidungsfirma, die für ihre provozierenden Bilder und ihre unkonventionellen Geschäftspraktiken bekannt ist. Und wenn ich nicht für sie tätig bin, orchestriere ich diese Trugbilder auch für andere prominente Kunden – für Autoren, die Millionen Bücher verkaufen, ebenso wie für Unternehmer, die Hunderte Millionen scheffeln. Ich erfinde und „frisiere“ die Nachrichten für sie.

Das geschieht für gewöhnlich ganz einfach. Jemand gibt mir Geld, ich bastle ihm eine Geschichte und wir jagen sie die Medienleiter hinauf – vom kleinen Blog im Gawker über die Website eines lokalen Nachrichtensenders und die Huffington Post und über die größeren Zeitungen bis hin zu den Fernsehnachrichten und wieder zurück, so lange, bis das Unwahre wahr wird. (Mit „wahr“ meine ich, dass die Leute es glauben und sich entsprechend verhalten. Ich will damit sagen, dass man die Infrastruktur des Internets gegen das Internet selbst verwenden kann, bis jeder Nonsens zur Empörung führt und in Handeln mündet. Das passiert Tag für Tag.)

Wie geht das? Manchmal fange ich an, indem ich eine Geschichte erfinde. Manchmal bringe ich eine Pressemitteilung heraus oder bitte einen Freund, die Story in seinem Blog zu starten. Manchmal lasse ich ein Dokument „durchsickern“. Manchmal erfinde ich das Dokument selbst und lasse es „durchsickern“. Es kann alles Mögliche sein, vom Verunstalten einer Wikipedia-Seite bis hin zu einem sehr teuren Viralclip. Aber wie auch immer das Spiel beginnt, das Ende ist immer dasselbe: Man nützt die medialen Rahmenbedingungen des Internets, um die öffentliche Wahrnehmung zu verändern – und ein Produkt zu verkaufen.

Ich war ganz bestimmt kein blauäugiges Kind mehr, als ich...

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