Barrakuda - Roman

Barrakuda - Roman

von: Christos Tsiolkas

Klett-Cotta, 2014

ISBN: 9783608106985

Sprache: Deutsch

471 Seiten, Download: 4255 KB

 
Format:  EPUB

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Barrakuda - Roman



Erste Schulwoche, Februar 1994


Der erste Rat, den Danny vom Trainer bekam, betraf nicht das Schwimmen, nicht seinen Armzug, nicht seine Atemtechnik, nicht die Verbesserung seines Startsprungs oder seiner Wende. Das alles sollte später kommen. Diesen ersten Rat sollte Danny nie vergessen.

Die Mannschaft hatte das Training gerade beendet, und Danny stand bibbernd am Beckenrand. Die anderen Jungen kannten sich alle. Schon im Bauch ihrer Mütter, als ihre Väter sie am Cunts College angemeldet hatten, waren sie zu Freunden bestimmt worden. Cunts College, Cunts College, Cunts College. Den Spitznamen hatten er und Demet sich ausgedacht, als er ihr erzählt hatte, dass er die Schule wechseln musste. »Musst du oder willst du?« Er hatte den Blick abwenden müssen, als er antwortete: »Sie wird mich zu einem besseren Schwimmer machen.«

»Da sind lauter reiche Jungs«, hatte sie entgegnet, »das ist dir klar, oder, dass nur Stinkreiche aufs Cunts College gehen?« Dann hatte sie es gut sein lassen. Sie wollte nicht mit ihm streiten, nicht übers Schwimmen. Sie wusste, wie viel ihm das Schwimmen bedeutete.

Danny sah zu den anderen hinüber. Den ganzen Vormittag hatten sie kaum ein Wort mit ihm gesprochen, hatten allenfalls irgendetwas geknurrt, ihm knapp zugenickt. So ging es schon die ganze Woche. Er hatte das Gefühl, unsichtbar zu sein und sich zugleich nirgends verstecken zu können. Nur im Wasser war er er selbst. Nur im Wasser fühlte er sich vor ihnen sicher.

Als Taylor, einer, auf den alle hörten, auf dem Weg zur Umkleide an ihm vorbeikam, sagte er mit einem lauten, affektierten Lispeln: »Super Badehose, Dino, die ist echt cool.«

Die anderen bogen sich vor Lachen, drehten sich zu ihm um, schauten auf seine schlabbrige Synthetik-Badehose, gackerten wie ein Rudel Cartoon-Hyänen. Alle trugen glänzende neue Speedos mit dem Markennamen in Gelb quer über ihren Ärschen. Dannys Badehose war von Forges – dass seine Mutter einen halben Tageslohn für ein Stück Lycra ausgab, daran war nicht zu denken. Das war auch in Ordnung so, und trotzdem fühlte sich Danny beschissen. Immer noch kichernd, folgten die Jungen diesem aufgeblasenen Schwachkopf Taylor an ihm vorbei zur Umkleide. Scooter, der älteste, der mit der hellsten Haut und den dunkelsten Haaren, stieß Danny an, ganz leicht nur, sodass es wie Zufall aussehen konnte. »Sorry«, sagte er schroff, und dann lachte er. Daraufhin fingen auch die anderen wieder an zu lachen. Das gleiche alberne Gegacker wie zuvor. Danny wusste, dass es kein Zufall gewesen war. Er stand da, rührte sich nicht, verzog keine Miene. Innerlich aber, innerlich verkrampfte er sich, innerlich kochte er.

»Hey Scooter, was gibt’s da zu lachen? Nennst du das Schwimmen, was du heute geboten hast? Ein elendes Gepaddel war das.«

Da verstummten alle. Nur der Trainer durfte sich solche Beschimpfungen erlauben. Selbst Rektor Canning hörte weg, wenn Frank Torma seine Flüche und Beleidigungen vom Stapel ließ. Die Schule brauchte Trainer Torma. Er war einer der besten Schwimmtrainer des Landes, hatte das Cunts College bei jedem Schulwettkampf der letzten sieben Jahre auf Platz eins gebracht. Das war Macht. Schweigend gingen die Jungen zu den Duschen. Danny folgte ihnen.

»Moment noch, Kelly, ich will mit dir reden.«

Der Trainer schwieg, bis die anderen in der Umkleide verschwunden waren. Zum ersten Mal sah er Danny in die Augen.

»Wieso lässt du dir das gefallen?«

»Was?«

»Wieso lässt du dir so einen Scheiß von denen gefallen?«

Er sprach mit einem starken Akzent.

Danny zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Du musst dich wehren, wenn dich jemand beleidigt, Junge. Und zwar sofort. Gib Kontra, auch wenn vielleicht gar nichts dahintersteckt. Eine Beleidigung ist ein Angriff. Du musst zurückschlagen. Klar?«

Dannys Mundwinkel begann zu zucken. Er dachte, der Trainer scherze. Er hörte sich an wie Demets Mutter oder Savas Giagia, so als wäre eine Beleidigung der »böse Blick«, als müsste er ein Nazar boncu?u tragen, um sich davor zu schützen. Sein Unterkiefer fiel herab, sein Kopf sank zurück, ohne dass es ihm bewusst war; mechanisch nahm er die Haltung ein, mit der man in seiner alten Schule, der richtigen Schule, auf einen Anpfiff reagierte: Man machte einfach ein gelangweiltes Gesicht.

Doch Frank Tormas Miene war ernst geblieben, und Danny begriff, dass er nicht scherzte.

»Hör zu, du Dummkopf: Auch wenn keine Boshaftigkeit in dem steckt, was sie sagen, kein Hass oder Neid – das spielt keine Rolle. Du vergibst dir nichts.« Der Trainer klopfte auf seinen gewaltigen Bauch, der hart und rund war wie ein Basketball, sodass sich sein T-Shirt darüber spannte. Er zeigte auf etwas dahinter, etwas darin, doch Danny begriff nicht, was es war, was es sein konnte. »Vertrau deinem Bauchgefühl, Junge, lass dich nicht kleinkriegen von denen. Du musst dich schützen.« Er nickte zur Umkleide hin. »Die sind alle neidisch auf dich.«

»Das ist doch Schwachsinn.«

Einen Moment lang dachte Danny, Torma würde ihn schlagen. Seine Hand zuckte, drehte sich, fuhr durch die Luft.

Doch er bohrte Danny nur seine dicken Finger in die Brust. »Glaub mir, die sind neidisch auf dich. Ist doch klar – du hast das Potenzial, der Beste in der Mannschaft zu werden. Das spüren sie.« Die Finger stießen härter zu. »Die wollen dich mürbe machen, logisch. Ihr seid keine Freunde, ihr seid Konkurrenten.«

Dannys Brust schmerzte von den Stößen, aber das kümmerte ihn nicht. Er war der Beste, er war der Beste in der Mannschaft. Besser als dieser Schwachkopf Scooter, dieser Schisser Morello, diese Tunte Fraser, dieser Schleimer Wilkinson, dieses selbstgefällige, verzogene Reichensöhnchen Taylor. Er war besser als sie alle. Stärker, schneller, besser. Der Stärkste, der Schnellste, der Beste.

Der Trainer folgte ihm in den Duschraum. Danny war froh darüber; die anderen würden ihn in Ruhe lassen, wenn Frank Torma dabei war. Sie standen noch unter den Duschen, rissen Witze über Seife und Wilkinson. Diese dämliche Schwuchtel ließ sich alles gefallen, schlug nicht zurück. Der Trainer hat recht, dachte Danny. Du musst zurückschlagen. Ihnen wehtun, bevor sie dir wehtun.

Torma setzte sich auf die Bank, und Danny schlüpfte aus seiner Badehose und ging unter die Dusche. Er drehte den Warmwasserhahn auf, doch das Wasser schoss eiskalt heraus. Erst als Dampf aufzusteigen begann, drehte er auch den Kaltwasserhahn auf. Er seifte sich von Kopf bis Fuß ein, rubbelte sich kräftig, gewaltsam fast, wärmte sich mit der Reibung auf.

»Holst du dir etwa einen runter, Dino?«, fragte Taylor gespielt angewidert. Die anderen Idioten fingen wieder an zu wiehern.

Danny schaute zum Trainer zurück, der schweigend auf der Bank saß und ihn gerade ansah. Du musst Kontra geben. Jetzt begriff er, was der Mann meinte. Du musst die Kontrolle behalten, immer.

Er drehte sich zu den Jungen um, breitbeinig, stemmte die Hände in die Seiten – sollten sie ihn ruhig ansehen. Das Wasser strömte auf ihn herab, prasselte ihm auf Kopf und Schultern, gab ihm ein Gefühl der Stärke. »Ja, Taylor«, antwortete er und zupfte an seiner Vorhaut. »Wieso fragst du? Wolltest du mir einen blasen?«

Das saß. Taylor wandte prompt den Blick ab und suchte fieberhaft nach einer Retourkutsche. Morello konnte sich das Lachen nicht verbeißen. Frank Torma grinste, und seine Augen funkelten.

»Was gibt’s da zu lachen?«, sagte Taylor.

Augenblicklich verstummte Morello. Danny wandte den anderen wieder den Rücken zu, doch sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, so groß wie die Schwimmhalle, die Schule, das Universum. Er war besser als alle anderen. Er war der Beste. Er war der Stärkste.

Was mache ich hier?

Am Montag war Valentinstag gewesen, sein erster Tag am Cunts College. Seine Mutter hatte sich freigenommen und ihn bis vor das Tor des Schulgeländes gefahren. Und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn nach dem Training von der neuen Schwimmhalle abzuholen. »Aber nur heute«, hatte sie gesagt. »Morgen fährst du mit Bus und Bahn.«

Die Fahrt dauerte Stunden, so kam es ihm vor. Sie fuhren die Längsachse der Stadt entlang, bogen dann Richtung Osten ab, steckten im Stau, näherten sich langsam ihrem Ziel, es wurde grüner ringsum, die Häuser wurden größer und standen weiter auseinander. Er schmollte die ganze Fahrt über, das Gesicht ans Beifahrerfenster gedrückt. Er wollte in keine neue Schule. Sie wird dich zu einem besseren Schwimmer machen. Er wollte in kein neues Schwimmbad. Es wird dich zu einem besseren Schwimmer machen. Er wollte keinen neuen Trainer. Er wird dich zu einem besseren Schwimmer machen. Seine Mutter hielt vor dem Tor, das nicht so aussah, als gehöre es zu einer Schule, sondern eher zu einem herrschaftlichen Wohnsitz aus einem Film, einem Wohnsitz mit tausend Zimmern, mit Butlern, Dienstmädchen und Gespenstern. Die Umfassungsmauern waren aus massivem Blaustein, das schmiedeeiserne Tor glänzte schwarz, das vergoldete Schulwappen darüber zeigte einen drohend aufgerichteten, gekrönten Löwen, dessen Tatzen auf einem Kruzifix ruhten, eine lodernde Fackel und eine lateinische Inschrift. Die Auffahrt jenseits des Tores führte im Bogen zu einem zweiflügeligen grauen Gemäuer mit einer riesigen Kuppel. Es sah mehr wie ein Tempel aus, fand Danny. Das Gelände dehnte sich endlos, ein Zaun war nicht zu sehen, so wenig wie Läden, Lager- oder Wohnhäuser in der weiteren Umgebung.

Dann sah er die Jungen. Jungen im...

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