Club der gebrochenen Herzen - Roman | Das perfekte Geschenk zum Muttertag

Club der gebrochenen Herzen - Roman | Das perfekte Geschenk zum Muttertag

von: Deborah Moggach

Insel Verlag, 2013

ISBN: 9783458731276

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 2760 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Club der gebrochenen Herzen - Roman | Das perfekte Geschenk zum Muttertag



ERSTES KAPITEL


Buffy


Alles kam wieder zurück. Buffy legte den Brief auf den Tisch und setzte sich schwerfällig. Bridies Lachen; ihr heiserer Raucherhusten. Sie könnte jetzt in ihrem fleckigen kimonoartigen Morgenrock um ihn herumwuseln. Er erinnerte sich an ihre geäderten Fesseln in den Pantoffeln; an die fröhliche Körperfülle, wie sie da stand und Speck brutzelte. Die Vergangenheit stieg ihm in die Nase; er konnte das Linoleum und die Katzen riechen, die benebelnden Düfte des Ascot-Badeöls über der Badewanne. Es war die Zeit der Eiderdaunendecken, des bullernden Gasofens und ihrer auf dem Kamingitter trocknenden Strümpfe.

Bridie führte eine Pension für Schauspieler in Edgbaston. Buffy hatte dort gewohnt, jahrein, jahraus, und war während eines Engagements am Birminghamer Repertoiretheater von einem geschmeidigen Heißsporn zu einem beleibten Falstaff mutiert. Bridie allerdings konnte das Alter nichts anhaben. Wie die meisten Dicken blieb sie dieselbe, Jahr für Jahr. Der Ansatz ihres hennagefärbten Haars war grau, sie hatte zwei neue Kniegelenke, aber sie glich weiterhin dem Mädchen, das er gekannt hatte, als er in Strumpfhose noch fesch aussah.

Einmal, er war betrunken, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht.

»Liebling, nicht nur, dass du schon verheiratet bist, ich habe hier meine eigene Familie, schönsten Dank.« Sie schenkte ihm noch einen Whisky ein. »Pensionsgäste machen viel weniger Mühe als Kinder, selbst wenn es Schauspieler sind. Und außerdem bezahlen sie mich.«

»Spricht aber doch einiges dafür. Der himmlische Frieden eines Ehebetts, tralala, nach all dem Tumult der Chaiselongue.«

»Himmlischer Frieden, so ein Quatsch. Wir würden uns über die Regenrinne in die Haare kriegen.«

»Wo du es gerade erwähnst: Du solltest dich tatsächlich darum –«

»Halt die Klappe, du Blödian.«

Sie hatte natürlich Recht. Sie waren glücklich, so wie es war. Wer wusste schon, was sie anstellte, wenn er nicht da war? Er erinnerte sich an das Kästchen aus Krokodilleder, in dem sie ihr Diaphragma aufbewahrte, das Geschenk eines Gentleman-Verehrers. Sie war eine heißblütige Frau und von Natur aus entgegenkommend, und Schauspieler auf Tournee waren ziemlich gut im Flachlegen. Was gab es auch anderes zu tun, wenn man den ausgestopften Dachs im Heimatmuseum gesehen hatte?

Und jetzt war Bridie tot. Buffy war nach Weinen zumute. Er war Schauspieler, er konnte es auf ein Stichwort hin abrufen. Und bei Gott!, er hatte reichlich weinen müssen. Aber Schmerz ist am heftigsten, wenn widersprüchliche Gefühle ihn trüben – Missfallen, Schuld, Groll. Bridie war eine der wenigen Frauen, denen gegenüber er keinerlei Schuld fühlte. Um ehrlich zu sein, seit sie nach Wales gezogen war, hatten sie den Kontakt verloren. Dass er in all den Jahren in ihren Gedanken geblieben war – daher wohl der Brief von einem Rechtsanwalt in Builth Wells, sie musste ihm eine Kleinigkeit in ihrem Testament vermacht haben –, dass er in Bridies Gedanken geblieben war, weckte zum ersten und letzten Mal Schuldgefühle in ihm. Auch Dankbarkeit. Wegen seines fortgeschrittenen Alters hatte er viele Freunde verloren, und seine Exfrau. Dass sie alle so sang- und klanglos abgetreten waren, hatte ihm klargemacht – wenn es noch eines Beweises bedurft hätte –, dass Sterben eine reine Ich-Angelegenheit war. Das Letzte, woran man dachte, waren scheinbar die Zurückbleibenden. Ein kleines Gedenken, egal, was, wäre willkommen. Sogar etwas so Scheußliches wie ein Toby-Krug.

Buffy hievte sich hoch und tappte in die Küche. Er hatte dummerweise das Fenster offen gelassen, und die Luft war voller Gipsstaub. Vor zwei Jahren hatte ein russischer Oligarch das Haus nebenan gekauft. Seitdem war es von Plastikbahnen umhüllt; dahinter bebte und rumpelte das Gebäude, während sein Inneres entkernt wurde, um ein Fitnessstudio einzubauen samt Swimmingpool und Kino, in dem der Magnat sich in Ruhe seine Pornos anschauen konnte.

Überall das Gleiche in der Nachbarschaft. Buffy wohnte in Blomfield Mansions, einem Wohnblock in der Edgware Road. Dahinter lag Little Venice; in die andere Richtung St John's Wood. Beide Bezirke beherbergten die Superreichen und Dauerabwesenden. Die überließen es ihren Nachbarn, all die Renovierungsarbeiten ihrer erworbenen Immobilien zu ertragen, während sie selbst auf ihren Yachten schaukelten oder Löcher in die Arktis bohrten oder sonst was trieben. Buffy führte seinen Hund durch ein Gewirr osteuropäischer Stimmen Gassi, vorbei an Gehämmer und Gedröhne und in zweiter Reihe geparkten Betonmischern, vorbei an Schildern mit dem Warnhinweis Schutzhelme tragen! Die alte Nachbarschaft war verschwunden, und selbst seine hiesige Stammkneipe, noch ziemlich unversehrt, bot nun irgendwelche Thai-Kost an, zusammengestellt in einem Industriegebiet des Park Royal und im Beutel aufgewärmt. Das Schottische Ei war endgültig ausgestorben. War auch höchste Zeit, würden manche sagen.

Buffy riss eine Packung Kekse auf. Seine Tochter Nyange kam zum Tee. Bestimmt zu spät. Sie hatte das von ihrer Mutter geerbt, einer ghanaischen Tänzerin, mit der Buffy eine kurze Affäre hatte, als er sich noch in Hosengröße 32 zwängen konnte. Immer wenn er es schon nicht mehr zu hoffen wagte, kam Nyange herangeschlendert und begründete ihr Verspäten mit MAZ, Mittelafrikanische Zeit. War ja wohl sein Problem, gab sie ihm mit ihrem kecken Ton dann zu verstehen, Pünktlichkeit sei ein ungutes Überbleibsel von kolonialer Unterdrückung und Ausplünderung. Dass es seine Stunde war, die sie gestohlen hatte, brachte Buffy nicht über die Lippen.

Nyange kam tatsächlich eine Stunde zu spät, doch diesmal hatte sie eine Entschuldigung.

»Ich finde keinen verfluchten Parkplatz!«, rauschte ihre Stimme durch die Sprechanlage. Dann hörte er, wie sie einen Mitarbeiter vom Ordnungsamt anbrüllte: »Hau ab! Ich komme ja schon!«

Zuguterletzt musste Buffy sich geschlagen geben und den Tee seiner Tochter ans Auto bringen. Da saßen sie, das Tablett auf seinem Knie, den Teller mit den Keksen auf dem Armaturenbrett. Es war nicht das erste Mal, dass er seinen Besuch draußen in einem eiskalten Honda Civic bewirten musste.

»Das Ganze tut mir leid«, sagte er. »Ich habe zu deinen Ehren sogar aufgeräumt und den Tisch gedeckt. Verfluchte Aasgeier, die vom Ordnungsamt.«

»London ist zum Kotzen«, sagte Nyange. »Letzte Woche wurde in meinem Wein- und Spirituosenladen ein Kind erschossen.«

Sie parkten auf einer gelben Doppellinie, eingequetscht zwischen einem Laster und einem riesigen Allrad-Geländewagen mit getönten Scheiben. Eines der Fenster schob sich auf, und eine Hand warf eine leere Badoit-Wasserflasche hinaus.

Buffy seufzte. »Da waren mal richtige Geschäfte. Metzger. Gemüsehändler.« Er zeigte zu einem Snappy-Snaps-Photostudio und einem Foxton Immobilienbüro (ha, erfreulich leer). »Ja, die gute Zeit. Nimm noch einen Hobnob.«

Das Ordnungsamt tauchte auf. Nyange fluchte. Sie legte einen Blitzstart hin – der Tee ergoss sich über seine Hosen – und fuhr um den Block, vorbei an Bauschuttmulden und in zweiter Reihe geparkten Lastwagen.

»Und doch«, sagte Buffy, »wenn man Londons überdrüssig ist, ist man des Lebens über –« Er hielt inne. Dr. Johnson war ihr wohl kein Begriff. Außerdem war er sich nicht mehr ganz sicher, ob es überhaupt stimmte. Warum sollte man Londons nicht überdrüssig sein? Alles hier hatte sich verschworen, ihm auf die Nerven zu gehen. Er hatte eine Vision, wie er in einem Bauerngarten saß, ein grauhaariger Patriarch mit Panamahut, und seine Enkelkinder ihm Kaulquappen in Marmeladengläsern brachten.

Nyange stoppte mit einem Rums an einer Bushaltestelle, der einzig verfügbaren Parklücke. Die Kekse rutschten vom Armaturenbrett.

»Einfach lächerlich!«, blaffte sie. Nyange war eine temperamentvolle junge Frau – nur, so jung auch nicht, mittleren Alters fast. Er hatte Kinder mittleren Alters. Dieser Gedanke schockierte ihn immer wieder aufs Neue. Heute sah sie überraschend sachlich aus. Bei ihrem letzten Treffen hatte sie das Haar noch zu unzähligen Zöpfen geflochten, in die winzige Perlen und Kügelchen eingearbeitet waren. Heute war es zu einem Bubikopf à la Louise Brooks geschnitten und glänzte lackartig. Vielleicht eine Perücke. Er widerstand dem Drang, ihr Haar zu berühren wie so ein ältlicher Perversling.

Andererseits war er ihr Vater. Das Dumme war nur, dass der Kontakt in der Vergangenheit etwas unregelmäßig gewesen war. Er erinnerte sich an ein gedämpftes Weihnachten mit Nyange und ihrer Mutter, zwei schicken Fast-Fremden, in einem mit Tüchern dekorierten Raum in Deptford. Sie hatten ihm widerwillig ein Fasanenschenkelchen gebraten – beide waren Vegetarierinnen –, und er hatte sich auf einer Schrotkugel einen Zahn abgebrochen.

»Und wie geht es dir so?«, fragte sie. »Eine Ewigkeit her, dass ich in der Gegend war.«

»Um ehrlich zu sein, eine gute Freundin ist gerade gestorben.«

»Tun die das nicht alle?«

»Jetzt mal langsam. Ich bin erst siebzig. Wir sind die neuen Vierzigjährigen.«

Hinter ihnen hupte ein Bus. Leute, die einsteigen wollten, schoben sich vorbei und starrten ins Auto. Nyange fuhr davon, bog um die Ecke und parkte in zweiter Reihe hinter einem Tesco-Lieferwagen – Beim Shoppen kann uns keiner toppen!

»Eine deiner alten Schauspielerinnen?«

»Eine Vermieterin für Bühnenleute«, sagte Buffy. »In den glorreichen Zeiten des Repertoiretheaters habe ich bei ihr gewohnt....

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