Schreib das auf, Kisch! - Ein Kriegstagebuch

Schreib das auf, Kisch! - Ein Kriegstagebuch

von: Egon Erwin Kisch

Aufbau Verlag, 2014

ISBN: 9783841206589

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 4182 KB

 
Format:  EPUB

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Schreib das auf, Kisch! - Ein Kriegstagebuch



Der Bleistift zitterte und das Herz zitterte, als dieses Manuskript entstand, das du jetzt lesen wirst.

Du bist klüger, als der Soldat war, der all das in sein Notizbuch kritzelte – sechzehn Jahre sind vergangen, Krieg und Frieden sind vergangen mit Lehren, mit Kämpfen um die Mächte und Personen, die wir damals nicht sahen, weil wir in den Schützengraben befohlen waren und auf den Schützengraben gegenüber zu lugen hatten.

Der Herausgeber K. ist mit dem Protokollführer K. nicht mehr identisch.

Die heute erfolgreichen Kriegsbücher sind ohne Zweifel weiser. Sie stellen die Tatsachen von damals auf Grund der Erfahrungen von heute dar, auf Grund der Verhältnisse und Absichten von heute.

Vor dem Resultat sah der Krieg im Grunde überall gleich aus, in den Argonnen wie vor Saloniki, in Serbien wie in den Karpaten, vor Przemysl wie vor Verdun, 1914 wie 1918, auf der sauberen ersten Seite des Notizbuchs wie auf der blutbefleckten letzten. Kriegstagebuch wie Kriegstagebuch.

In das meinige stenographierte ich ununterbrochen. Es war nicht für den Druck gedacht, hat aber dann doch, noch während des Krieges, vergebliche Versuche unternommen, aus dem Schützengraben zu dringen, um sich hörbar zu machen. Schließlich erschien ein Teil davon, und auch das ist schon viele Jahre her, bei K. André in Prag unter dem Titel »Soldat im Prager Korps«. Zur Einleitung wurde damals gesagt:

Wenn einer beim Ausheben der Deckung auf einen verdutzten Maulwurf stieß, so lachte er: »Schreib das auf, Kisch!« Zwei stritten halb im Scherz: »Wenn du noch mal mein Handtuch benützen wirst, so schmier ich dir eine Ohrfeige, dass man dir gleich die Erkennungsmarke abnehmen kann!« Und damit diese Warnung auch ordentlich gebucht sei, rief mir mindestens einer der Streitenden zu: »Napiš to, Kischi!«

Wenn ein Kamerad gefallen war, den alle rühmten, dann sagten sie mir: »Er war ein feiner Bursch. Schreib das auf, Kisch!«

Hatte man Rum gefasst, ging einer auf die Latrine: »Napiš to, Kischi!«

So forderte man (ironisch und ernst) den Journalisten auf, der auch als Soldat stets die Blätter seines Notizbuches bekritzelte, und der Soldat bekritzelte immerfort die Blätter seines Notizbuches, weil man ihn (ironisch und ernst) aufforderte.

Und schließlich wurde das »Schreib das auf, Kisch!« ein geflügeltes Wort, angewendet auch, wenn ich nicht in der Nähe war.

Nicht in Schlagworten habe ich meine Eindrücke niedergeschrieben, sondern genau in der gleichen Form, wie sie hier im Druck vorliegen. Meist mitten im Abenteuer, niemals aber später denn vierundzwanzig Stunden nach dem Erlebnis. Während die anderen wuschen, gruben, kochten oder schliefen. Als ich dann verwundet ins Hinterland kam und meine inzwischen aus dem Stenogramm der Notizbücher übertragenen Eindrücke durchsah, versuchte ich anfangs, hier und da einen Satz zu verändern, der mir unwichtig oder falsch erschien, manchmal ein Wort einzufügen, manchmal einen Gedanken fortzulassen. Aber immer wieder musste ich diese Korrektur beseitigen, denn sie erwies sich im weiteren Verlaufe als unlogisch und unrichtig: was mir heute falsch erscheint, war damals richtig. Und ich musste eben das Damals gelten lassen und änderte nichts mehr.

So wird freilich der Leser dieses Protokollbuches erkennen, wie ich mich in Charakteristiken und in Voraussagen im Felde häufig getäuscht habe. Wenn man über die Tage Buch führt, dann verzeichnet man nicht bloß die geglückten Spekulationen, und wenn man die Aufzeichnungen in Druck legt, so darf man sich nicht klüger machen, als man war. So ließ ich auch die Fehler und Wiederholungen stehen. Manche Tage waren eintönig. Und doch habe ich ihren Verlauf genau verzeichnet, denn dieses Buch schreibt vor allem den gewöhnlichen Tag des gewöhnlichen Soldaten im Kriege.

Das Buch ist den Soldaten des Prager Korps gewidmet: den Freunden, die man dort unten rasch gewann und die man rasch verlor. Oft allzu rasch.

FREITAG, DEN 31. JULI 1914.


Als zehnjähriger Junge habe ich ein Tagebuch zu führen begonnen. Wenn ich heute, da ich zwanzig Jahre älter bin und andere Möglichkeiten besitze, mich zu äußern, wieder die Führung eines Tagebuches aufnehme, so bestimmen mich dazu mehrere Gründe: das Gefühl, eine historische Zeit zu erleben, die Unmöglichkeit, die wichtigsten meiner Erlebnisse derzeit publizistisch preiszugeben, die persönlichen Ereignisse, die, im Zusammenhang mit der politischen Lage, in den letzten Tagen mich getroffen haben und die in mir die Erwartung wecken, dass ihnen weitere folgen werden.

Allerdings sind die Erlebnisse dieser letzten Tage größtenteils nur von schmerzhaft erotischer Natur, wodurch die Einleitung meiner Kriegsnotizen sozusagen den Memoiren eines Casanova von trauriger Gestalt ähneln wird.

Ich bin auf Grund der alarmierenden Nachrichten aus Binz auf Rügen am Dienstag, dem 28. dieses Monats, nach Berlin abgereist. Am Mittwoch bekam ich einen Expressbrief meines Bruders, dass ich sofort zum Regiment abzugehen habe. Ich holte mir im k. k. Konsulat meine Beglaubigung für die Freifahrt und eine Wegzehrung von einer Mark und fünfundfünfzig Pfennigen. Meine Freundin Trude sagte mir zum Abschied, sie habe mir noch etwas zu beichten, sie möchte nicht, dass zwischen uns eine Lüge sei, wenn ich in den Krieg ziehe. Sie wollte lange nicht mit der Sprache heraus, dann gestand sie mir, sie habe einmal einen Eingriff an sich vornehmen lassen.

Um 11 Uhr 13 Minuten abends fuhr ich vom Anhalter Bahnhof nach Prag. Auf dem Bahnsteig Tausende von Menschen, die Deutschen sangen die Wacht am Rhein. Nach vielen Irrwegen, Stockungen und Verschiebungen kam der Zug endlich am Donnerstag um 11 Uhr vormittags in Prag an. Schon in Bodenbach hatte ich die gelben Plakate gelesen, darauf stand, dass sich jeder zum 8. Korps gehörige Reservist bei seinem Truppenkörper zu melden habe. Bis jetzt hatte ich geglaubt, dass man auf die Einberufung warten müsse; auch im Berliner Konsulat war mir das gesagt worden. Nun brachten mir die Plakate doppelte Post: ich werde also jedenfalls in den Krieg ziehen, möglicherweise aber noch bestraft werden, weil ich nicht schon am Sonntag bei meinem Truppenkörper eingetroffen war, dem k. u. k. Infanterieregiment Nr. 11 in Pisek, bei welchem ich Reservekorporal bin.

Vom Bahnhof fuhr ich sofort nach Hause und packte meine Sachen. So viel, dass sie ein winziges Handtäschchen füllten, das ich nur auf Ausflüge mitzunehmen pflege. Eine Zahnbürste, Kamm, Seife, vier Taschentücher, drei Hemden, zwei Unterhosen. Meine Mutter wollte mir noch eine dritte Unterhose und ein Nachthemd einpacken, aber ich lehnte ab: »Du glaubst wohl, dass ich in den Dreißigjährigen Krieg ziehe?«

Dann fuhr ich in die Vorstadt Smichow zu Klara. Ich hatte sie schon sechs Monate nicht mehr gesehen, aber statt freudig aufzuspringen, als ich eintrat, wurde sie kreidebleich. »Warum bist du so erschrocken?«, fragte ich sie. Sie war kaum imstande, mir eine Antwort zu geben, so musste ich von neuem fragen: »Warst du mir nicht treu?« Sie zeigte mir, ohne mich anzusehen, einen Ring, den sie an der linken Hand trug. »Du bist also verlobt?« Sie nickte. Nach einer Weile erst begann sie zu sprechen: ich hätte ihr so selten geschrieben, ihr in meinen spärlichen Briefen immer nur zugeredet, dass sie tanzen, sich unterhalten, Ausflüge machen solle, so dass sie längst den Eindruck gewonnen habe, ich möge sie nicht mehr. Das war nun wahr und nicht wahr. Ich hatte ihr allerdings absichtlich so wenig geschrieben, damit sie sich nicht an mich gebunden fühle, damit sie ihre Freiheit habe, wenn ich mich in Berlin unterhalte. Aber insgeheim hatte ich doch geglaubt, sie würde mir auch treu bleiben, wenn sie andere Leute kennenlernen und an verschiedenen Vergnügungen teilnehmen werde.

Um 6 Uhr 20 Minuten abends ging mein Zug nach Pisek. Zu Hause aß ich zu Mittag und sprach mit meinen Brüdern, die nicht einrücken, da sie zu jenen Korps gehören, die nicht mobilisiert sind. Wir machten Witze, um Besorgnisse der Mutter zu zerstreuen, und dann fuhr ich zur Bahn. Dort drängten sich Hunderte von Reservisten um die Kasse, in ihrer Mitte ein hübsches Mädel.

Ich bot mich an, ihr die Fahrkarte zu lösen, was sie gern annahm. Wir kamen ins Gespräch, und während wir im Eisenbahnzug zusammengepfercht nebeneinandersaßen, erzählte sie, dass sie nach Pisek fahre, wo morgen ihre Kriegstrauung mit einem ins Feld abgehenden Reserveoffizier stattfinde. Sie hegte nur die Befürchtung, dass ihr Bräutigam sie nicht auf dem Bahnhof erwarten werde, da man auf dem Postamt die Absendung ihres Telegramms abgelehnt hatte und die Züge unregelmäßig verkehren. Ihre Befürchtung steigerte sich, als sie von den Mitpassagieren erfuhr, dass in Pisek die Züge in zwei Stationen halten, in »Pisek Haltestelle« und in »Pisek Stadt«, und dass es ganz ausgeschlossen sei, dort im Hotel ein Zimmer zu bekommen, weil die Stadt voll von Offizieren und jedes Zimmer mit sieben bis acht Personen belegt sei. Nun war sie verzweifelt, so spätabends dort einzutreffen und vielleicht allein in der Stadt die ganze Nacht umherirren zu müssen, da sie doch das Haus Pisek 217 nicht finden und – fände sie es auch – ein fremdes Haus nicht alarmieren könne. Die Passagiere rieten ihr, in P?ibram die Fahrt zu unterbrechen, zu übernachten und um 6 Uhr morgens weiterzufahren. Ich nahm diese Anregung auch für mich auf und erklärte, es ebenso machen zu wollen, um nicht die Nacht in den Straßen Piseks zuzubringen. In P?ibram sprang ich dann mit ihr aus dem Waggon. Wir gingen in das nächste Hotel und aßen Abendbrot. Sie gewann Vertrauen zu mir, erzählte mir von ihrer langjährigen Beziehung zu ihrem...

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