Über Zäune und Mauern - Berichte von der Globalisierungsfront

Über Zäune und Mauern - Berichte von der Globalisierungsfront

von: Naomi Klein

Campus Verlag, 2003

ISBN: 9783593372167

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 795 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Über Zäune und Mauern - Berichte von der Globalisierungsfront



Seattle Das Coming-out der Bewegung (S. 33-34)

Dezember 1999
»Wer sind diese Leute?« Das ist die Frage, die in dieser Woche überall in den Vereinigten Staaten gestellt wird, bei den Hörersprechstunden im Radio, in den Leitartikeln der Zeitungen und vor allem in den Korridoren beim Treffen der WTO in Seattle.

Noch vor sehr kurzer Zeit waren Verhandlungen über internationale Handelsverträge eine vornehme Veranstaltung nur für Experten. Es standen keine Demonstranten vor der Tür und schon gar nicht Demonstranten, die als riesige Meeresschildkröten verkleidet waren. Diese Woche jedoch ist die WTO-Konferenz alles andere als vornehm: In Seattle ist der Notstand ausgerufen worden, die Straßen sehen aus wie ein Kriegsschauplatz und die Verhandlungen sind zusammengebrochen.

Es sind eine Menge Theorien über die geheimnisvolle Identität der 50 000 Aktivisten von Seattle im Umlauf. Einige behaupten, sie seien Möchtegern-Radikale mit einer nostalgischen Sehnsucht nach den sechziger Jahren. Oder Anarchisten, die es nur auf Zerstörung abgesehen hätten. Oder Maschinenstürmer, die gegen die Globalisierungswelle ankämpften, die sie bereits überschwemmt habe. Michael Moore, der Generaldirektor der WTO, beschreibt seine Gegner als egoistische Protektionisten, die den Armen auf der Welt schaden wollten.

Es ist verständlich, dass über die politischen Ziele der Demonstranten eine gewisse Verwirrung herrscht. Es handelt sich um die erste politische Bewegung, die in den chaotischen Pfaden des Internets geboren ist. In ihren Rängen gibt es keine Hierarchie, die den großen Gesamtplan erklären könnte, keine allgemein anerkannten Führer, die einfache Erklärungen liefern, und keiner weiß, was als Nächstes passieren wird.

Eines ist jedoch sicher: Die Demonstranten in Seattle sind nicht globalisierungsfeindlich, sie sind genauso sicher vom Globalisierungsvirus infiziert wie die Handelsjuristen in der offiziellen Konferenz. Wenn diese neue Bewegung überhaupt »feindlich« ist, dann ist sie konzernfeindlich. Sie findet es nicht logisch, dass alles, was gut für das Geschäft ist – weniger Vorschriften, mehr Mobilität, mehr Marktzugang – per Trickle- Down-Effekt irgendwann einmal auch der Allgemeinheit etwas nützen soll.

Die Wurzeln der Bewegung liegen in Protestkampagnen, die diese Logik in Frage stellen, indem sie das erbärmliche Verhalten einer Hand voll multinationaler Konzerne in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Umweltschutz anprangern. Viele junge Leute, die sich in dieser Woche auf den Straßen von Seattle tummeln, haben sich ihre ersten Sporen als Aktivisten in den Kampagnen gegen die Hungerlöhne und miserablen Arbeitsbedingungen in den Sweatshops von Nike, gegen die Menschenrechtsverletzungen von Royal Dutch/Shell im Nigerdelta oder gegen die gentechnische Manipulation der Welternährungsversorgung durch Monsanto verdient. In den letzten drei Jahren sind diese drei Konzerne zu Symbolen für die Mängel der globalisierten Wirtschaft geworden. Sie sind letztlich die logo-geschmückten Portale, die die Aktivisten auf die vornehme Welt der WTO aufmerksam machten.

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