Verlorene Heimat

Verlorene Heimat

von: Felix Mitterer

Haymon, 2014

ISBN: 9783709971130

Sprache: Deutsch

78 Seiten, Download: 864 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Verlorene Heimat



PFARRER: Josl! Josl!

Der Pfarrer hält deprimiert inne, nimmt dann seine Utensilien, geht zum Widum zurück. Egger hebt Schmied-Josef hoch.

EGGER: Pfarrer!

Der Pfarrer dreht sich um.

EGGER: Hilf ma!

PFARRER: Was?

EGGER: Er is so schwer! Hilf man umitragen in die Totenkapelln!

PFARRER: Kein kirchliches Begräbnis für Sektierer! Die geweihte Erde ist den Gläubigen vorbehalten! (Deutet zur Lugenbank, wo ein Anschlag hängt.) Da drüben is der Anschlag!

Pfarrer geht in das Widum.

EGGER: So is des!

WÄSCHERIN: Ja, was glabst! Da taten sich unsere Verstorbenen schön bedanken, wenn sie neben dem Ketzergsindel liegen müaßten!

Licht langsam aus, der heutige Zillertaler steht von der Lugenbank auf und tritt wieder vor das Publikum. Die anderen verlassen den Platz. Spot auf den heutigen Zillertaler.

HEUTIGER ZILLERTALER: (liest) Die Zillertaler Protestanten, unter Druck von allen Seiten, finden auch ein paar wenige Leute, die zu helfen bereit sind und scharfe Verordnungen zu mildern suchen. So den Schwazer Kreishauptmann Dr. Anton von Gasteiger, der die Forderung, den Protestanten die Kinder wegzunehmen, als unmenschlich zurückweist, die Reiseeinschränkungen für Wanderhändler aufhebt und auch das Verlangen, den evangelischen Touristen die Einreise zu verweigern, als blanken Unsinn bezeichnet. Er setzt beim Gubernium auch durch, daß die Verordnung über das Verbot des Grundkaufes als ungesetzlich wieder aufgehoben wird, weil nur bei anerkannten Protestanten die Möglichkeit der Grunderwerbsverweigerung bestehe, nicht aber bei den Zillertalern, denen man den Offiziellen Übertritt verweigere, somit sie als Katholiken zu behandeln seien. Auch der Kulturreferent der Tiroler Landesregierung, der Gubernialrat und katholische Priester Franz von Sondermann, sucht die harte Behandlung der Zillertaler Protestanten zu mildern, nachdem er sich in Gesprächen mit ihnen davon überzeugt hat, daß sie keine Sektierer und Aufrührer sind. Sondermann verhilft ihnen außerdem zu einer Audienz bei Kaiser Franz I., der im Sommer 1832 in Innsbruck weilt. Johann Fleidl, Bartholomäus Heim und Christian Brugger übergeben dem Kaiser eine Bittschrift, in der sie um Abstellung des Gewissenszwanges und um das Aufheben des Eheverbotes ersuchen, sowie um die Bewilligung, einmal im Jahr einen Pastor kommen zu lassen.

Das Gespräch mit dem Kaiser: Kaiser: Ja, wer stört euch denn in eurem Glauben? – Fleidl: Die Geistlichkeit. – Kaiser: Was glaubt ihr denn? – Fleidl: Wir glauben das Wort der Heiligen Schrift nach den Grundsätzen der Augsburger Konfession. – Kaiser: Nicht wahr, ihr glaubt an Christus wie ich? – Fleidl: Ja, wir glauben an Christus als unseren Herrn und Heiland und alleinigen Seligmacher, aber das wollen sie eben im Zillertal nicht leiden, daß wir es sagen. – Kaiser: Es ist den Katholiken nicht erlaubt, euch zu beschweren und zu schimpfen, wie ihr sie auch nicht schimpfen dürft. Früher hat man in Salzburg drüben die Lutherischen nicht gelitten, aber jetzt ist’s nicht mehr so wie damals, ich zwinge niemand in seinem Glauben. Aber wie seid ihr denn dazu gekommen? – Fleidl: Die Heilige Schrift ist bei uns so lange schon, daß man nicht weiß, wie lange. Es sind bei uns Bibeln, die mehr als 200 Jahre alt sind. Mein Großvater ist 98 Jahre alt geworden und erst vor drei Jahren gestorben und hat die Schrift seit seiner Kindheit gelesen, und so mein Vater, und so ich, und so viele, daß von den Eltern die Lehre ihnen eingeprägt ist. – Kaiser: Ja, da ist vielleicht etwas von den Salzburgern geblieben. Seid ihr salzburgisch gewesen? – Feidl: Ja, wir haben zum Salzburger Ländchen gehört bis vor 16 Jahren. – Kaiser: Ihr wollt also nicht bei der katholischen Kirche bleiben? – Feidl: Wir können es nicht wegen unseres Gewissens, wir müßten sonst heucheln. – Kaiser: Nein, das will ich nicht haben, ich will sehen, was sich für euch tun läßt. – Als die Zillertaler ihre Bitte nochmals dringend empfahlen und dem Kaiser versicherten, daß sie brave Leute seien, daß er sie doch nicht vergessen solle und es nicht glauben, wenn man Böses über sie sage, erwiderte der Kaiser: Ich will euch nicht vergessen und nichts Schlimmes von euch glauben.

Spot aus, der heutige Zillertaler geht an seinen Platz zurück. Während er noch gelesen hat, haben die Spieler lautlos für das 3. Bild Aufstellung genommen.

3. BILD


Abend. Nach dem letzten Wort des heutigen Zillertalers fängt eine Zillertaler Hochzeitmusik-Gruppe eine schnelle Tanzmelodie zu spielen an. Mondlicht und Licht von Fackeln, die Leute jetzt anzünden. Am Balkon des Stiegler-Hauses der Vorsteher, seine Frau und die zwei Buben. Auch in den Fenstern rechts davon mehrere Zuschauer. Der Pfarrer schaut aus einem Fenster im ersten Stock des Widums, die Häuserin schaut aus einem anderen Fenster. Einige Jugendliche auf der Gerichtsmauer. Auch der 1. und 2. Gerichtsdiener schauen zu. Von der Eggerfamilie ist niemand unter den Zuschauern. Eine große Menge Volks hat auf dem Platz einen Halbkreis gebildet. Im Halbkreis stehen sich zwei Burschen gegenüber, halten an langen Stricken zwei Widder, haben den Strick aber jetzt ganz kurz gefaßt, damit die Widder noch nicht aufeinander losgehen können. Links der lutherische Widder und die lutherischen Zuschauer (in der Minderheit), rechts der katholische Widder und die katholischen Zuschauer (in der Mehrheit).

1. WIDDERFÜHRER: Des is der katholische!

2. WIDDERFÜHRER: Des is der lutherische!

1. BAUER: Zwoa Gulden auf den katholischen!

2. BAUER: Vier Gulden auf den protestantischen!

Die beiden geben ihre Einsätze in den Hut eines Burschen, ein Bauer schreibt auf.

3. BAUER: Fünf Gulden auf den katholischen!

1. KNECHT: Zehn Kreuzer auf den protestantischen!

Die Leute lachen wegen des kleinen Betrages.

4. BAUER: Oan Gulden auf den katholischen!

5. BAUER: Oan Gulden auf den protestantischen!

2. KNECHT: A Fuffzgerl auf den katholischen!

VORSTEHER: (vom Balkon) Zehn Gulden auf den katholischen!

Die Katholischen rufen »Bravo«, der Vorsteher wirft den Geldschein vom Balkon, der Bursche mit dem Hut fängt ihn auf.

VORSTEHER: Auf gehts!

Die beiden Widderführer lassen ihre Widder los, halten sie aber weiterhin am langen Strick, damit sie nicht davonlaufen können. Die Widder gehen aufeinander los.

3. BAUER: (katholisch) Stoß ihm außi ’s Hirn beim Orschloch!

1. KNECHT: (protestantisch) Gibs ihm, dem katholischen Stoanschädl!

Allgemeines Geschrei und Anfeuern. Die Musik spielt während des ganzen Kampfes weiter, hört erst auf, wenn Fleidl kommt. Da man nicht wissen kann, wie sich die Widder verhalten, müssen die Spieler je nach Situation reagieren. 1. Wollen beide Widder nicht recht kämpfen, werden sie angefeuert und ihre Kampfesunlust wird beklagt. 2. Will der katholische Widder nicht kämpfen, spotten die Protestanten. (»No, siehgst es! Genauso feig wie die ganzen katholischen Knierutscher!« etc.) 3. Will der lutherische Widder nicht kämpfen, spotten die Katholiken. (»Jaja, so san sie, die Lutherischen! Feige Hund! Des hamma ja schon im Neunerjahr gsehn! Da wolltets a nit kämpfen gegen den Napoleon!« etc.) 4. Gewinnt der katholische Widder, so jubeln die Katholiken. (»Sieg! Sieg! – Es lebe die Heilige Römische Kirche! – Da, jetzt sehts es, es kniewoachen Lutherischen!« etc.) 5. Gewinnt der protestantische Widder, so jubeln die Protestanten. (»Bravo! Bravo! Da habts es, es katholischen Hosenscheißer!« etc.)

Wenn die Widder nicht kämpfen wollen, kommt gleich, sonst wenn der Kampf entschieden ist, ein Heu-Leiterwagen von links, von der Hauptstraße her gefahren, gezogen von zwei Pferden. Christian Brugger sitzt vorne mit den Zügeln in der Hand. Hinten sitzen Fleidl und Heim. Alle drei sind feiertäglich angezogen, weil sie beim Kaiser waren. Heim ist am schönsten gekleidet, weil er als Bauer am meisten von den dreien besitzt. Brugger hält den Wagen an.

5. BAUER: (schreit) Der Fleidl! Sie san da!

Die Musik hört auf zu spielen, alle Leute wenden sich dem Wagen zu, die Widderführer ziehen ihre Widder an sich.

2. KNECHT: (protestantisch) Was is? Erzählts!

1. KNECHT: (protestantisch) Seids wirklich bei ihm gwesen?

FLEIDL: (steht auf) Nachbarn, Glaubensbrüader, des is a freudiger Tag heut! Mir warn beim Kaiser und er hat unsere Bitten anghört!

2. BAUER: (protestantisch) Was hat er gsagt! Erzähl schon!

FLEIDL: Er...

Kategorien

Service

Info/Kontakt