Gefühle - Die Sprache des Selbst

Gefühle - Die Sprache des Selbst

von: Thomas Bergner

Schattauer GmbH, Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2013

ISBN: 9783794568284

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 1247 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Gefühle - Die Sprache des Selbst



2 Gefühlstatsachen

Gefühle tun, was sie wollen, nicht, was wir wollen.

2.1 Eigenschaften

Gefühle sind ein Teil unseres Besitzes

Gefühle spüren wir nicht nur, wir haben sie auch. Sie gehören nicht nur zu uns, sie gehören uns als ein Teil unseres nicht-physischen Besitzes. Kein anderes Wesen hat sie, nur wir. Tiere fühlen zwar, aber ihnen bleibt die Ebene des Gefühls verschlossen. Weil wir sie haben, können wir sie einsetzen, mit ihnen operieren, Effekte erzielen. Wenn wir sie „nur“ spürten, könnten wir nicht viel mit ihnen anfangen. Erst sie zu besitzen, macht sie zu unseren wahrscheinlich wichtigsten Handlungswerkzeugen.

Die Mischung macht’s

Es gibt etwa 400 Gefühle, welche wir wahrnehmen können. Erst einmal können wir sagen: Das sind nicht viele, die deutsche Sprache hat laut Duden etwa 500.000 Wörter. Das stimmt, aber wenn wir hinschauen, dann bestehen die vielen Wörter aus erheblich weniger Silben und diese letztlich aus 26 Buchstaben: 26 führen zu Hunderttausenden. Wenn wir dann weiter hinschauen, wird uns bewusst, dass diese 26 Buchstaben nicht nur zu unüberschaubar vielen Wörtern führen, sondern dass deren Abfolge darüber bestimmt, was tatsächlich gesagt wird. Es macht nun einmal einen Unterschied, ob wir fragen: Otto spielt auf dem Klavier? oder ob wir die genau gleichen fünf Wörter anders anordnen und sagen: Auf dem Klavier spielt Otto?

Stellen wir uns nun vor, wir hätten immerhin Hunderte Wörter und würden daraus eine Sprache bilden. Dann führte die Reihenfolge Unsicherheit – Vorsicht – Interesse – Zuwendung – Begeisterung – Liebe zu einer ganz bestimmten, in sich logischen Aussage. Aber die Reihenfolge Zuwendung – Begeisterung – Liebe – Interesse – Vorsicht – Unsicherheit wäre eine vollkommen andere Aussage über einen sehr anderen Ablauf. Die Anzahl der Bestandteile einer Sprache entscheidet also nicht über die Aussage, auch nicht über die Aussagekraft. Wenn Angst mit Zuversicht gepaart auftritt, ist das sehr anders, als wenn Hoffnungslosigkeit hinzutritt. Hoffnungslosigkeit wiederum fühlt sich in Verbindung mit Traurigkeit vollkommen anders an als mit Angst. Und die Kombination von Misstrauen und Neugier entspricht einem ganz anderen Fühlen als die von Misstrauen und Traurigkeit.

Bei Gefühlen gilt also: Die Abfolge von Gefühlen entscheidet ebenso über deren Aussage und Wirkung wie die Kombinationen von zeitlich nahezu parallel auftretenden Gefühlen.

Gefühle sind unveränderbar

Kein Gefühl lässt sich wandeln, also inhaltlich verändern. Gefühle können verstärkt, gedämpft oder unterdrückt werden. Sie können durch andere abgelöst werden, aber das Gefühl als solches ist unveränderbar, es ändert sich nicht; wenn wir etwas anderes fühlen, dann, weil wir zulassen, dass das bisherige Gefühl gehen darf und das neue kommen kann.

Die zwei Ebenen von Gefühlen

Alles in allem können wir dem Gefühl oder der Mischung von Gefühlen eine Wertigkeit und eine Intensität zuordnen. Die Intensität rangiert von unbemerkt über schwach bis stark. Eine Zuordnung geschieht am besten auf einer kontinuierlichen Skala von 0 (es fehlt oder ich kann es nicht wahrnehmen) bis 100 (es dominiert alles). Eine solche Einordnung ist uns meistens erst dann möglich, wenn wir den aktuellen Zustand mit unserer eigenen Vorgeschichte und den daraus gewonnenen Erfahrungen abgleichen. War ich wirklich noch nie wütender? Hatte ich bisher wirklich noch nie das Gefühl der Hinterhältigkeit in mir gespürt?

Die Steigerung einer Gefühlsintensität kann zur Änderung des Gefühlsinhalts werden – und sogar zu einem Wechsel der Kategorie des zugehörigen Gefühls. Wenn aus Mitgefühl Mitleid wird, wird nicht nur die Intensität höher, sondern es kommt zu einem Wechsel von Liebe hin zu Verachtung. Gefühle kommen in verschiedenen Heftigkeiten vor und werden dann auch anders benannt. Das Gefühl der Abneigung beispielsweise wird in geringer Form als Distanz empfunden, in üblicher Form eben als Abneigung, gesteigert als Hass und in starker Form als Verachtung. Hass ist schwächer als Verachtung, weil Hass noch bedeutet, einen Bezug zum Gehassten aufrechtzuerhalten. Gefühle haben auch eine Wertigkeit von positiv bis negativ, die wir ihnen beimessen. Die von uns positiv bewerteten Gefühle sind in der Minderzahl.

Materie folgt dem Gefühl, nicht umgekehrt

Niemals ist das Produkt der erste Schritt, noch nicht einmal das, was wir tun: Vor allem stehen ein oder mehrere Gefühle und ein oder mehrere Gedanken. Zunächst wird also etwas in unserer Seele erschaffen, danach physisch. Das gilt für alles, kein Buch, kein Kochrezept, keine Autobahn, keine Mondfahrt ohne die Seelenbewegung am Anfang. Das physische Produkt ist immer das Letzte, es bildet den Abschluss. Wahrscheinlich gilt dies sogar für unseren Körper. Jedem bleibt überlassen, zu überlegen, in welcher Seele wir zunächst erschaffen wurden.

Der Ursprung von allem sind Gefühle.

Jedes Gefühl ist eindeutig

Wenn uns ein Gefühl unklar erscheint, ist allenfalls unsere Wahrnehmung nicht eindeutig. Es geht dann um Überlagerungen, Zusammenhänge und Abwehr.

Konstruktive und destruktive Gefühlsmomente

Es gibt Gefühle in zwei Varianten: einer destruktiven und einer konstruktiven. Das heißt, sehr ähnliche Gefühle können sowohl zerstörend wirken als auch aufbauend. Nur: Es sind nicht die gleichen Gefühle – wir sind aufgrund unserer mangelnden Übung oftmals zu nachlässig, die richtigen Wörter zu wählen.

Ein Beispiel ist der Neid. Er klingt erst einmal destruktiv, dem anderen nichts lassend. Das ist bei Neid aber nicht der Fall. Neid motiviert uns oft – wir wollen auch das haben, was ein anderer hat. Neid setzt also neue Ziele. Neid nimmt dem anderen nichts. Wenn das befremdlich wirkt, mag es daran liegen, dass Neid mit Missgunst verwechselt wird. Missgunst ist die zweite Variante dieses Gefühls: Sie beschreibt einen Menschen, der das will, was ein anderer hat und zugleich nicht möchte, dass der andere es hat. Missgunst überschreitet somit die Grenze des anderen, was sich auf den Missgünstigen selbst zumindest auf Dauer belastend auswirkt. Jede andauernde Belastung dämpft unsere Motivation.

Gefühle mit dem Ich

Am Grundgefühl der Freude lässt sich zeigen, wie unser Ich in die Welt unseres Selbst eingreifen kann: Stellen wir uns vor, es ist Samstagabend und wir haben ein Los einer Lotterie gekauft: „Nur“ sieben Zahlen in der richtigen Reihenfolge trennen uns vom Millionengewinn. Wir glauben nicht an unser Glück. Zunächst. Die Ziehung beginnt. Unvorstellbar, aber die ersten vier Zahlen stimmen überein. Die fünfte Zahl kommt, auch diese stimmt. Unser leicht gelangweiltes Gefühl wandelt sich in Spannung, die immer weiter steigt: Die sechste Zahl stimmt auch, mit einer Chance von 1:10 werden wir richtig viel gewinnen. Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt und das Unfassbare geschieht: Alle sieben Zahlen finden wir auf unserem Spielzettel in richtiger Reihenfolge.

Was geht dabei eigentlich in uns vor? Im Moment toben wir vor Freude, unbändiges Gefühl, ein Taumel der Begeisterung.

Schauen wir uns nun das Ganze von einer anderen Perspektive an: Wir sitzen vor einem Flachbildschirm, ein 42 Zoll großes Farbbild zeigt sieben Maschinen, die mit jeweils zehn Kugeln beschickt und mit jeweils einer Ziffer von 0 bis 9 beschriftet sind. Die Kugeln im ersten Apparat werden gemischt und wir verfolgen von Gerät zu Gerät, ob die eine gezogene Zahl sich auf einem kleinen Zettel, den wir vor einigen Tagen gegen Geld bekommen haben, wiederfindet. Alle Zahlen sind so gezogen worden, wie sie auf dem Zettel stehen. Trocken, oder? Wo bleibt unsere Freude?

Wir selbst bilden unsere Freude oder nicht – es braucht unsere Fantasie oder Vorstellung über die Bedeutung, den von uns kreierten Inhalt dessen, was abläuft.

Jedes Gefühl ist ohne Ausnahme selbst gemacht – und unser Ich hat eine entscheidende Rolle dabei. Gefühle können also vorrangig vom Ich aus gebildet werden. Aber das Gegenteil ist viel häufiger.

Gefühle mit dem Selbst

Wir brechen zu einem Abenteuerurlaub nach Neuguinea auf. Früh morgens gehen wir in den Urwald. Es ist heiß und feucht, sehr feucht. Ungewohnte Geräusche, unseren Weg müssen wir uns mit dem Buschmesser freischlagen. Plötzlich kommt starke Angst auf, wir machen auf dem Absatz kehrt und rennen weg. Vom Baum hängt eine giftige, kleine Schlange, die wir nicht gesehen haben, die unser Außerbewusstes irgendwie spürt. Unser limbisches System, eine unserer Steuerungseinheiten, hat für uns das Angstgefühl ausgelöst und eine...

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