Warum Gott doch würfelt - Über »schizophrene Atome« und andere Merkwürdigkeiten aus der Quantenwelt

Warum Gott doch würfelt - Über »schizophrene Atome« und andere Merkwürdigkeiten aus der Quantenwelt

von: Marcus Chown

dtv, 2014

ISBN: 9783423423700

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 1566 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Warum Gott doch würfelt - Über »schizophrene Atome« und andere Merkwürdigkeiten aus der Quantenwelt



ZWEITER TEIL
Große Dinge


7
Der Niedergang von Raum und Zeit


Wie wir entdeckten, dass der feste Fels, auf dem das All gebaut ist, das Licht ist und dass Raum und Zeit nur Treibsand sind

Wenn man zwei Stunden lang mit einem netten Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.

Albert Einstein

Je schneller Sie sich fortbewegen, desto schmaler sind Sie.

Albert Einstein

Es ist der sonderbarste Hundertmeterlauf, den man je gesehen hat. Während die Sprinter von den Startblöcken losschießen und in die Gänge kommen, haben die Zuschauer auf der Haupttribüne den Eindruck, dass die Athleten immer schmaler werden. Wie sie jetzt an der johlenden Menschenmenge vorbeiziehen, erscheinen sie flach wie Pfannkuchen. Aber das ist bei weitem nicht das sonderbarste. Die Arme und Beine der Läufer heben und senken sich in Superzeitlupentempo, als bewegten sie sich nicht in der Luft, sondern in Sirup. Schon beginnen die Zuschauer zum Zeichen des Protests rhythmisch zu klatschen. Manche zerreißen sogar ihre Eintrittskarten und werfen die Schnipsel in die Luft. Bei diesem jämmerlichen Tempo könnte es Stunden dauern, bis die Läufer die Ziellinie erreichten. Empört und enttäuscht erheben sich die Zuschauer von ihren Sitzen und tigern zu den Ausgängen des Stadions.

Die geschilderte Szene scheint einem surrealistischen Film zu entstammen. In Wahrheit ist nur ein einziges Detail surreal: die Geschwindigkeit der Läufer. Aber wenn unsere Hundertmetersprinter zehnmillionenmal schneller laufen könnten, würde jedermann sie genau so wahrnehmen, wie ich es eben geschildert habe. Rasen Objekte mit ultrahoher Geschwindigkeit vorüber, schrumpft der Raum, und der Zeitfluss verlangsamt sich. Das ist die unvermeidliche Folge eines ganz bestimmten Sachverhalts: der Unmöglichkeit, dass jemals irgendetwas einen Lichtstrahl einholen kann.

In unkritischer Überlegung könnte man zu dem Schluss kommen, einzig etwas, das sich mit unendlich hoher Geschwindigkeit fortbewegt, sei nicht einzuholen – ist doch »unendlich« per definitionem die größte denkbare Zahl überhaupt. Welche Zahl auch immer man sich denken mag, unendlich ist größer. Wenn also irgendetwas sich unendlich schnell fortbewegen könnte, würde fraglos nichts es einholen können. Es würde die kosmische Höchstgeschwindigkeit schlechthin darstellen.

Das Licht bewegt sich ungeheuer schnell fort, mit 300 000 km/s im Vakuum, aber das ist noch himmelweit entfernt von »unendlich schnell«. Dennoch ist da nichts, was einen Lichtstrahl einholen könnte, so schnell es sich auch fortbewegt. Aus Gründen, die niemand ganz versteht, spielt in unserem Universum die Lichtgeschwindigkeit die Rolle der unendlich hohen Geschwindigkeit. Sie stellt die kosmische Höchstgeschwindigkeit schlechthin dar. Als Erster erkannte Albert Einstein diesen eigenartigen Sachverhalt. Der Fama nach fragte er sich als Sechzehnjähriger: Wie sähe ein Lichtstrahl aus, wenn man ihn einholen könnte?

Dass Einstein so fragen konnte und dabei auf eine Antwort hoffen durfte, verdankte er einer Entdeckung des schottischen Physikers James Clerk Maxwell. Der hatte im Jahr 1868 alle damals bekannten Erscheinungen der Elektrizität und des Magnetismus – von der Funktionsweise des Elektromotors bis zum Verhalten von Magneten – in einer Hand voll eleganter mathematischer Gleichungen zusammengefasst. Der unerwartete Mehrwert der »Maxwellschen Gleichungen« bestand darin, dass sie die Existenz einer »Welle« vorhersagten, von der man bis dahin nichts geahnt hatte – einer Welle von Elektrizität und Magnetismus.

Maxwells Welle, die sich im Raum ausbreitet wie eine Wasserwelle auf der Oberfläche eines Teichs, weist eine frappierende Eigenschaft auf: Sie pflanzt sich mit einer Geschwindigkeit von 300 000 km/s fort – also mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit. War das nicht zu viel an Übereinstimmung, um noch ein Zufall sein zu können? Maxwell vermutete – richtig –, dass die Welle von Elektrizität und Magnetismus nichts anderes als eine Lichtwelle sein könne.

Außer vielleicht Michael Faraday, dem Pionier auf dem Gebiet der Elektrizität, hatte damals niemand auch nur die leiseste Ahnung von einem Zusammenhang zwischen dem Licht einerseits und der Elektrizität und dem Magnetismus andererseits. Aber da, in den Maxwellschen Gleichungen, stand es unauslöschlich geschrieben: Das Licht ist eine »elektromagnetische Welle«.

Magnetismus ist ein unsichtbares »Kraftfeld«, das sich von einem Magneten aus in den Umraum erstreckt. Das »Magnetfeld« eines Stabmagneten etwa zieht in der Nähe befindliche Metallgegenstände wie zum Beispiel Büroklammern an. Auch in der Natur kommen »elektrische Felder« vor, die sich von elektrisch aufgeladenen Körpern in den Umraum erstrecken. Wenn Sie beispielsweise einen Kamm aus Plastik an Ihrem Nylonpullover reiben, können Sie mit ihm dank dem elektrischen Feld, das er dabei aufbaut, kleine Papierschnipsel aufheben.

Licht ist den Maxwellschen Gleichungen zufolge eine Welle, die diese Kraftfelder durchzieht, ganz ähnlich wie eine Wasserwelle über eine Wasserfläche zieht. Bei der Wasserwelle ist das veränderliche Element das Niveau der Wasseroberfläche, das steigt und fällt, steigt und fällt … Beim Licht ist es die Stärke des magnetischen und des elektrischen Kraftfelds, die zu- und abnimmt, zu- und abnimmt … (Genau genommen nimmt das eine Feld zu, während das andere abnimmt und umgekehrt, aber das ist im gegenwärtigen Zusammenhang nicht wichtig.)

Warum gehen wir bei der elektromagnetischen Welle so weit ins Detail? Weil es nötig ist, wenn wir Einsteins Frage verstehen wollen: Wie sähe ein Lichtstrahl aus, wenn man ihn einholen könnte? Nehmen wir an, Sie fahren mit Ihrem Wagen auf der Autobahn und sind eben dabei, einen anderen Wagen, der Tempo 100 fährt, zu überholen. Wie sieht das andere Auto für Sie aus, wenn Sie mit ihm gleichauf sind? Ganz klar, es scheint zu stehen. Bei offenem Seitenfenster können Sie unter Umständen sogar über den Motorenlärm hinweg etwas zu dem anderen Fahrer hinüberrufen. Nicht anders wäre es, wenn Sie mit einem Lichtstrahl gleichauf ziehen könnten: Es müsste Ihnen vorkommen, als stünde er – er würde wie eine zu Eis erstarrte Folge von Wellenbergen und Wellentälern auf einem Teich aussehen.

Indes – und das ist der entscheidende Punkt, auf den der sechzehnjährige Einstein aufmerksam wurde –, die Maxwellschen Gleichungen enthalten eine wichtige Aussage über das Phänomen der erstarrten elektromagnetischen Welle, einer Welle, bei der die elektrischen und magnetischen Felder nicht zu- und abnehmen, sondern fort und fort bewegungslos verharren: Dergleichen kann es nicht geben! Eine stehende elektromagnetische Welle ist ein Ding der Unmöglichkeit!

Einstein hatte mit seiner altklugen Frage ein Paradoxon oder eine Folgewidrigkeit in den physikalischen Naturgesetzen berührt. Könnte man mit einem Lichtstrahl gleichauf ziehen, müsste man eine stehende elektromagnetische Welle wahrnehmen, und die ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und weil etwas Unmögliches zu sehen eben unmöglich ist, ist es unmöglich, mit einem Lichtstrahl gleichauf zu ziehen. Mit anderen Worten, die nicht überbietbare Geschwindigkeit, die Geschwindigkeit, die in unserem Universum die Rolle der unendlich hohen Geschwindigkeit spielt, ist – die Lichtgeschwindigkeit.

Grund- und Ecksteine der Relativitätstheorie


Die Uneinholbarkeit des Lichts lässt sich noch in anderer Perspektive betrachten. Nehmen wir an, die kosmische Höchstgeschwindigkeit ist in Wirklichkeit unendlich hoch (auch wenn wir natürlich wissen, dass sie es nicht ist). Und nehmen wir weiter an, es gibt eine unendlich schnelle Rakete, die von einem Kampfflugzeug aus abgefeuert wird. Ist die Geschwindigkeit der Rakete relativ zu einem Beobachter auf dem Boden »unendlich« + »Geschwindigkeit des Fliegers«? Wenn dem so ist, dann ist die Geschwindigkeit der Rakete relativ zum Boden höher als unendlich. Das ist aber unmöglich, denn »unendlich« ist die größte denkbare Zahl. Es gibt nur eine sinnvolle Antwort, und die lautet: Die Rakete ist immer noch unendlich schnell. Mit anderen Worten, ihre Geschwindigkeit hängt nicht von der Geschwindigkeit ihrer Abschussvorrichtung – des Kampfflugzeugs – ab.

Daraus folgt für die Verhältnisse im realen Universum, wo die Rolle der unendlich hohen Geschwindigkeit mit der Lichtgeschwindigkeit besetzt ist, dass auch die Geschwindigkeit des Lichts nicht durch die Geschwindigkeit von dessen Quelle mit bedingt ist. Die Lichtgeschwindigkeit bleibt immer die gleiche – 300 000 km/s –, einerlei, wie schnell die Lichtquelle sich bewegt.

Die Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Geschwindigkeit der Lichtquelle ist einer der zwei Grund- und Ecksteine der »speziellen Relativitätstheorie«, jenes neuen, revolutionären Konzepts von Raum und Zeit, das Einstein dann in seinem »annus mirabilis« 1905 entwickelte. Der zweite, nicht minder wichtige ist das »Relativitätsprinzip«.

Im siebzehnten Jahrhundert stellte der große italienische Physiker Galileo Galilei fest, dass die physikalischen Gesetze durch relative Bewegung nicht beeinflusst werden – mit anderen Worten, sie bleiben sich gleich, ganz egal, wie schnell man sich relativ zu irgendetwas oder irgendjemand anderem bewegt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem Spielfeld und werfen einem zehn Meter entfernt von Ihnen stehenden Freund einen Ball zu. Und nun stellen Sie sich vor, Sie...

Kategorien

Service

Info/Kontakt