Kapitalismus neu gedacht - Was die besten Unternehmen so viel besser macht

Kapitalismus neu gedacht - Was die besten Unternehmen so viel besser macht

von: Dieter Heinrich

Walhalla und Praetoria Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783802908736

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 1182 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Kapitalismus neu gedacht - Was die besten Unternehmen so viel besser macht



Service statt Produkt


Damit ändert sich die klassische Vorstellung von Produkt und Dienstleistung. Es sind nicht länger scharf voneinander getrennte Begriffe. Die Grenzen zwischen physischem Objekt und immateriellem Service verschwinden. Sie verschmelzen mehr und mehr zu einem Angebot. Klassische Produkthersteller erweitern sich zu Dienstleistern. Bisherige reine Dienstleister steigern ihr Programm durch fassbare Güter. Vorangetrieben wird diese Entwicklung von Konsumenten, die unternehmerische Leistungen in einem weit größeren Kontext nachfragen als bisher. Es geht ihnen nicht mehr nur um einen neuen Kühlschrank oder Küchenherd, sondern um eine „Alles-aus-einer-Hand“-Versorgung, die über die Anlieferung und den elektrischen Anschluss hinaus bis zu Kochgeschirr, Rezepten, Zutaten, Lebensmittel usw. reicht – sprich alles bietet, was das Herz begehrt.

In der Praxis gibt es solche Anbieter bereits, allerdings bleiben sie zunächst ein Randphänomen und besetzen Nischen, wie sie Chris Anderson in seinem Buch „The Long Tail“ beschreibt – oder verharren im Hybrid-Modus, wie viele der Start-ups, die das Gottlieb Duttweiler Institut in einer Studie über die Servicekultur im Netzzeitalter vorstellt. Sie öffnen zwar das Tor zu einer neuen Form des Kapitalismus, ohne jedoch den Weg zu beschreiten, der dahinter liegt. Sie hätten, kritisiert Zuboff, noch nicht wirklich verstanden, worum es in Zukunft geht.

Mit ihrer Kritik hat die Ökonomin Recht. Radikal anders gedacht und überdurchschnittlich profitbringend werden solche Modelle erst, wenn ein Unternehmen keine Anlagen oder Maschinen mehr anbietet und liefert, sondern nur die Nutzung dieser Produkte. Ein Heizungsbauer verkauft dann keine Heizungen mehr, sondern in einem definierten Umfang Wohlbehagen. Der Produzent von Kompressoren liefert nach Bedarf Energie und Antriebskraft statt Aggregate. Schon vor Jahrzehnten forderten Marshall McLuhan (1964) und Theodore Levitt (1980), sich aus der Zwangsjacke des Produktdenkens zu befreien und zu begreifen, dass es im Wachstums- und Profitgeschäft nicht um Autos, Pillen, Computer oder Bausparverträge geht, sondern um die großen Ideen, die dahinter stehen. „Mit welchem Geschäft haben Sie es eigentlich zu tun? Was ist Ihr wirklicher Markt?“, waren ihre Fragen.

Levitt erklärte am Fall der Eisenbahn, was passiert, wenn diese Fragen weder gestellt noch richtig beantwortet werden. Die Eisenbahngesellschaften hatten es anderen Unternehmen gestattet, in ihr traditionelles Metier des Personen- und Gütertransports einzudringen: „Der Grund für diesen Kardinalfehler war einfach, dass sie die Grenzen ihres Industrie- und Geschäftszweigs zu eng gesteckt und ihre Branche falsch definiert hatten: Sie dachten eisenbahnorientiert, nicht transportorientiert, ihre Politik war produkt- und nicht kundenbezogen.“

McLuhans Ansatz ergab sich aus dem Gedanken, dass alle Techniken Ausweitungen unserer Körperorgane und unseres Nervensystems darstellen, die dazu dienen, Unabhängigkeit, Macht, Geschwindigkeit und vieles mehr zu vergrößern. „Psychisch gesehen“, schrieb er, „verstärkt der Buchdruck als Ausweitung des Sehvermögens die Perspektive und den fixen Standpunkt.“ Und beim Auto sei es genauso: „Seine Zukunft liegt nicht in der Ära des Transports. Sondern man muss dabei die totale Umwälzung des Straßenbaus, der Städteplanung, des Hausbaus, der Freizeitgestaltung oder des Tourismus im Auge haben, genauso die Nivellierung des natürlichen Raumes und gesellschaftlicher Abstände. Mit einem Wort, der Rahmen ändert sich mit einer neuen Technik und nicht nur das Bild im Rahmen. Anstatt nachzudenken, wie wir über Fernsehen einkaufen werden, sollten wir uns darüber klar werden, dass das Fernsehnetz das Ende des Einkaufens überhaupt bedeutet und das Ende der Arbeit in der Form, wie wir es heute kennen, ebenfalls.“

Peter Gomez, einst BWL-Professor in St. Gallen, hat zur Unterstützung dieses Lernprozesses die sogenannte Root-Definition entwickelt. Wie der Name schon sagt, versucht sie, bis an die Wurzeln des Problems zu gehen und dem Problemlöser, dem Unternehmen, zu helfen, seine Produkte und Dienstleistungen aus einer viel größeren Nutzenperspektive zu verstehen. So wird aus Haarspray „ein System zur besseren Formgebung der Frisur, oder ein System, das weibliche Schönheitsideal zu erreichen“. In diesem Sinne schlägt Gerhard Schwarz vor, die Produktleistung so zu formulieren, dass Laufmaschinen dem Menschen helfen, immer schneller zu laufen, Flugmaschinen helfen, immer schneller zu fliegen, In-die-Ferne-Seh-Maschinen helfen, immer besser in die Ferne zu sehen. Maschinen machen demnach nichts anderes, als unsere körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu vergrößern. So gesehen besteht die eigentliche Funktion eines Unternehmens nicht darin, einfach nur Strom zu liefern, sondern unsere Wohnungen zu wärmen, damit wir uns darin wohler fühlen. Auch nicht darin, einfach nur Jeanshosen zu nähen, sondern den Menschen zu helfen, zeitgemäßer oder bequemer zu leben. Banken sollten sich weniger als Verleiher von Geld begreifen, denn vielmehr als Möglichmacher bestimmter materieller Wünsche. Die Assekuranz weniger als Hausrat- oder Haftpflichtversicherer, sondern als Unternehmen, das Risiko ausgleicht und Vermögen schützt.

Im Marketing, beim Thema Markentechnik, das heißt erst viel später, wenn der Kontakt zum Kunden näher rückt, wird die Meta-Perspektive, die qualitativ größere Werte zur Geltung bringt, manchmal angesprochen. Auch die Werbung operiert hier und da mit Wertfaktoren der Oberstufe. Nur eben nicht die Führungspolitik, wenn es um das Unternehmen als Ganzes geht, um seinen strategischen und konzeptionellen Diskurs. Die Institution selbst und die Leistungen, die sie am Markt offeriert, fallen bei diesem Exerzitium nicht als übergeordnete Einheit zusammen. Das Management behandelt sie, wenn überhaupt, wie zwei unabhängig voneinander fassbare Sachverhalte, die ohne Berührung nebeneinander herlaufen. Ihr Wertverhältnis bleibt ungeklärt oder verworren, weil man sie nicht verknüpft und zueinander in Beziehung setzt. Zwischen zwei substanziellen Wachstumselementen findet keine Vernetzung, keinerlei Verkehr, keine Vereinigung statt, die eine Meta-Domain gebären könnte. Die Kommunikation ist gestört oder gänzlich unterbrochen. Deshalb haben wir es nicht nur mit „information gaps“ zu tun, mit Finanz-, Technologie- und Marktlücken, sondern auch mit strategischen „meta gaps“.

Vordenker bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim widmen sich inzwischen dieser Lücke. Sie wollen, dass die Firma auch in hundert Jahren noch existiert. Sie hoffen nicht mehr allein auf das Auto. Ihr Ehrgeiz ist es, die individuelle Fortbewegung nicht länger vom Privat-Pkw her zu planen, dem infolge von Staus, CO2-Emissionen, verstopften Innenstädten und Ressourcenverbrauch wachsende Restriktionen drohen. Die Zukunft, glaubt man bei Daimler, liegt nicht mehr nur darin, Fahrzeuge zu bauen und zu verkaufen. Der „gute Stern auf allen Straßen“ soll Geld verdienen, indem er das Grundbedürfnis „Bewegungsfreiheit“ ohne eigenes Gefährt befriedigt. Eine neue Wertschöpfungskette tut sich auf: Der Autoverkäufer wird Dienstleister für Mobilität.

Das ist das neue Denken, das Shoshana Zuboff als „Support Economy“ bezeichnet: „Mir ist es egal, ob mir ein Auto gehört, welche Farbe oder wie viel Hubraum es hat. Ich will mich einzig und allein darauf verlassen können, dass ich mit einem Verkehrsmittel meiner Wahl zu einem Zeitpunkt meiner Wahl von A nach B gelange.“ Inzwischen hat der Konzern einen neuen Markt mitbegründet, der sich zunächst sehr zögerlich, jetzt aber umso rasanter entwickelt: Carsharing. Der Kunde mietet sich auf der Straße ganz in seiner Nähe ein Auto, fährt damit zu seinem Ziel und lässt es dort einfach stehen. Er muss nur wissen: Wo steht der Wagen, wie öffne und starte ich ihn? Mit über 3000 (Jahresbericht 2012/2013) Stationen hat sich in Deutschland inzwischen das größte Carsharing-Geschäft Europas entwickelt.

Dieses Beispiel zeigt, dass „Support Economy“ mehr bedeutet als nur Produkte mit begleitenden Zusatzleistungen. Das Herauslösen des Konsumenten aus Massenbewegungen, die von ihm für seinen Alltag gewünschte nahezu uneingeschränkte Verfügbarkeit von Mobilität macht deutlich, dass das Angebot in Zukunft noch weiter fortschreiten, ja erhöht werden muss: über individualisierte oder service-erweiterte Fahrzeugkonzepte hinaus bis zur Gestaltung modularer und personalisierter Mobilitätskonzepte jenseits des Automobils. Chancen bestehen ja nicht nur darin, Fahrzeugflotten und Infrastruktur bereitzustellen, sondern gleichzeitig Informationsdienste, die die gesamte Reiseplanung und das Umsteigen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern möglich machen: durch Real-Time-Verkehrsinformationen, Verkehrsleittechnik, Mobilitätskarten, Zugangstechnik, Ticketing – alles aus einer Hand. Traditionelle Automobilhersteller werden zu Mobilitätsdienstleistern, der öffentliche Verkehr entwickelt sich zum Mobilitätsanbieter.

Für praktisch alle Bereiche des Lebens lassen sich solche strategischen Überbauungen, übergeordnete und generalisierende Positionierungen als mögliche Domain finden, benennen...

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