Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Grün vor Neid

Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Grün vor Neid

von: Gabriella Engelmann

Arena Verlag, 2012

ISBN: 9783401801629

Sprache: Deutsch

264 Seiten, Download: 1853 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Grün vor Neid



1

»Liebling, wo steckst du?«

Ich hob den Kopf von meinem Kissen und lauschte. Hatte ich eben tatsächlich Dads Stimme gehört? Eigentlich konnte das nicht sein, er wollte doch erst übermorgen zurückkommen.

Als gefragter Reisejournalist war er ständig, andauernd und für meinen Geschmack immer viel zu lange unterwegs.

»Niemand zu Hause? Bella? Sarah? Ich bin wieder da!«

Ich warf die Decke beiseite und sprintete Richtung Flur.

Sekunden später wirbelte mein Vater mich durch die Luft und ich landete nach ein paar Runden keuchend und prustend auf dem Boden. Dad rieb sich betont leidend das Kreuz, verzerrte das Gesicht und gab mir schließlich einen Kuss auf die Nasenspitze.

»Jaja, ich weiß, du bist ein alter Mann«, sagte ich und knuffte ihn in die Seite. »Soll ich dir ein Bad einlassen, damit du deine morschen Knochen durchwärmen kannst?« Ich grinste über beide Ohren, denn wenn wir hier eines ganz bestimmt nicht hatten, war es eine Badewanne.

Weil sie lieber duschte. Weil lange, ausgiebige Schaumbäder die Haut austrockneten und das Bindegewebe schwächten. Und weil ihr Wunsch und ihr Wille in diesem Haus Gesetz waren.

Schließlich war es ja auch ihr Zuhause.

»Tee wäre super«, antwortete Dad und hob seinen schweren Koffer vom Boden.

Diesmal war er sechs Wochen unterwegs gewesen und ich hatte das zweifelhafte Vergnügen gehabt, in dieser Zeit ganz allein mit ihr zu sein.

»Grün oder Roibusch?«

»Wie wär’s mit Grünbusch?«

»Haha«, murmelte ich und stellte den Wasserkocher an, während mein Vater im Schlafzimmer vor sich hin summte.

Mein Herz tat einen kleinen Sprung, weil mich sein Summen an meine Kindheit erinnerte.

Ich nahm Dads Lieblingsbecher aus der Anrichte, deren Tür mir wie immer beinahe entgegenfiel. Warum konnte sie sich nicht endlich mal darum kümmern, anstatt den lieben langen Tag vor dem Spiegel zu hocken und die Mitesser auf ihrer Himmelfahrtsnase zu zählen?

»Wo ist Bella eigentlich?«, fragte Dad, der wie aufs Stichwort im Türrahmen auftauchte.

Er sah gut aus. Braun gebrannt, mit kleinen weißen Lachfältchen um die Augen. Er schien auch ein wenig abgenommen zu haben, sein T-Shirt spannte nicht mehr ganz so über dem Bauch wie vor seinem Abflug nach Namibia. Das würde Bella gefallen!

»Einkaufen«, antwortete ich und fügte im Geiste ein »Was sonst?!« hinzu.

Dad antwortete: »Aha«, und ließ sich auf den Küchenstuhl plumpsen.

»Und wie geht’s dir, meine Süße?«, fragte er und spielte mit seinem Feuerzeug herum. Hoffentlich hatte er auf der Reise nicht wieder angefangen zu rauchen!

»Ganz okay. Es ist nichts Besonderes passiert, sonst hätte ich dir schon gemailt oder angerufen.«

Nein, nichts Besonderes. Von meinen Mordgelüsten gegenüber Bella, meinen schlechten Noten in Physik, einem üblen Skateboardunfall und meinen verwirrenden Gefühlen gegenüber Paolo einmal abgesehen.

»Lief es denn ganz gut mit… Bella?« Dad war sich meiner miesen Situation offenbar bewusst. Schade nur, dass er nichts tat, um etwas daran zu ändern.

Deshalb würde ich später wie fast jeden Abend meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: die verbleibenden Tage bis zum meinem achtzehnten Geburtstag auf dem Kalender abstreichen. Momentaner Stand: siebenundsechzig. Gefühlt eine Ewigkeit.

»Wie lange kannst du diesmal bleiben?«, fragte ich.

Lange genug, um mir diese Kuh endlich vom Hals zu schaffen?

Dad rutschte unruhig hin und her und spielte mit der Schnur seines Teebeutels.

Schon klar. Er würde sich so schnell wie möglich wieder vom Acker machen, so wie er es immer tat, seit wir bei Bella eingezogen waren.

»Nur kurz«, nuschelte Dad in seinen hellen Ein-bisschen-mehr-als-Dreitagebart, den ich persönlich richtig toll fand, der bei Bella aber sicherlich ungnädiges Stirnrunzeln hervorrufen würde.

»Philipp, na das ist ja eine Überraschung! Ich dachte, du wolltest erst übermorgen kommen!«

Auftritt Bella Schönhuber, meine Stiefmutter.

Dad steckte reflexartig das Feuerzeug in seine Hosentasche – er schien also wirklich wieder zu rauchen! – und stand auf, um sie zu begrüßen.

»Hallo, Schatz, schön, dich zu sehen«, log er und seine Lippen streiften kurz ihre Wange.

Mir sträubten sich sämtliche Nackenhaare, wie immer, wenn sich die beiden einander auf weniger als zehn Zentimeter näherten.

»Hallo«, antwortete Bella und zuckte zurück.

Eine winzige, schnelle Bewegung, die einem weniger aufmerksamen Beobachter vielleicht entgangen wäre. Doch nicht mir.

Zwischen den beiden lief gar nichts mehr, so viel war klar. Ich hatte nur noch nicht durchschaut, weshalb Dad und ich noch nicht unsere Sachen gepackt und ausgezogen waren. Weg von Bella, raus aus diesem spießigen Stadtteil, in dem man nur trübsinnig oder hirntot werden konnte. Wahrscheinlich hatten die beiden eine gemeinsame Leiche im Keller dieses miefigen Reihenmittelhauses versteckt.

Ob Paolo nachher noch anrufen würde?

Mein Leben konnte wirklich etwas mehr Glamour vertragen, so viel war sicher. Und Dad würde nicht lange genug bleiben, um dafür zu sorgen, das stand ebenfalls fest.

»Sarah, träumst du?«, drang Bellas hohe, dünne Stimme an mein Ohr. Upps! Hatte ich?

»Ich habe dich eben gefragt, ob du bei Douglas warst und mir die Creme besorgt hast, um die ich dich gebeten habe.«

Tri-Aktiline. Das Hammermittel gegen Hammerfalten…

»Liegt im Bad. Auf der Konsole«, knurrte ich. »Dad, ich muss noch was für die Schule machen. Kommst du nachher rein, Gute Nacht sagen?«

Mein Vater nickte und hatte wieder diesen Dackelblick drauf. Gottergeben und so süß, dass ich ihm einfach nicht böse sein konnte.

Paolo konnte das auch gut.

Vielleicht konnte Bella ja auch so gucken und nur ich war zu blind, um es zu sehen.

Die Welt war wirklich kompliziert!

Sarah’s Secret Diary

Dad wieder da, freue mich total. Freue mich allerdings weniger darüber, dass er ab Montag schon wieder weg ist. Diesmal fährt er nach Island, um irgendwelche spuckenden Geysire zu besuchen. Einziger Lichtblick: morgen Date mit Paolo.

Wollen erst irgendwo in der Schanze was essen und dann zu einem Poetryslam ins Uebel & Gefährlich.

Soll ich mich endlich trauen, eines meiner Gedichte vorzulesen?

Paolo sagt, ich soll.

Er meint, ich soll endlich mal mein Innerstes nach außen kehren, das würde helfen. Weil ich dann meine Wut auf Bella endlich rausschreien kann und mir das guttun würde.

Aber eigentlich will ich über die Liebe schreiben, nicht über Wut.

Sarah’s Love Poem (ebenfalls top-secret!)

You put your hand in my hand

I look through my eyes into your heart

You let me shiver, whenever I look at you

You make my heart beat, my lips sing

All I want is to hold your hand

Kiss your lips

Listen to the beat of your heart

Close to mine

Tell me: are you the one?

»Du machst so spät noch was für die Schule?«

Zum Glück riss Dads Frage mich aus meiner ultrapeinlichen Gefühlsduselei, über die ich sogar vergessen hatte, etwas zu Abend zu essen. Jetzt knurrte mir der Magen, aber ich hatte keine Lust, nach unten zu gehen und womöglich Bella in der Küche über den Weg zu laufen.

Besser, ich redete noch eine Runde mit Dad über Island – waren die nicht pleite? -, als darüber zu grübeln, ob Paolo wirklich the one war. Oder mir fünf Nutella-Brote hintereinander reinzuziehen.

»Nö, nicht direkt«, antwortete ich und klappte mein Heft zu.

»Du nimmst immer noch das olle Heft da? Schreibt man heutzutage nicht Blogs?«

»Ach Papa! Ich muss doch nicht jeden Mist mitmachen, nur weil’s gerade angesagt ist. Außerdem finde ich, dass es Dinge gibt, die niemanden etwas angehen!«

»Okay, schon verstanden«, grinste Dad und strich mir übers Haar. Dann schaute er auf das Regalbrett über meinem Schreibtisch und das Foto meiner Mom.

»Du siehst ihr von Tag zu Tag ähnlicher, weißt du das?«, seufzte er und nahm das Bild in seine Hand. »Das lange schwarze Haar, das kleine Muttermal am Kinn, die gebogenen Wimpern, deine grünen Augen. Sogar deine Lippen . . .«

Ich schluckte. »Sie fehlt dir immer noch, oder?«, fragte ich leise und stellte das Foto zurück. Ich wollte nicht, dass er zu weinen begann.

Dad nickte.

Mein Herz zog sich zusammen. Ich wünschte, ich hätte meine Mutter kennengelernt, doch sie starb direkt nach meiner Geburt an Herz-Kreislauf-Versagen. Alles, was mir von ihr geblieben war, waren Fotografien und eine Kette mit einem herzförmigen Granatanhänger, die ich Tag und Nacht trug.

»Wollen wir am Samstag etwas zusammen unternehmen?«

»Klar!«, antwortete ich. »Ich muss es doch ausnutzen, wenn du mal da bist. Ich lass mir was einfallen, okay? Schlaf gut, Paps. Schön, dass du wieder da bist!«

Dad gab mir einen Kuss auf die Stirn und zog dann die Tür hinter sich zu.

Kaum war er weg, krachte etwas gegen mein Fenster. Ich zuckte zusammen. Hatte sich etwa ein Vogel verflogen? Hoffentlich nicht! Vorsichtig zog ich die Gardine zur Seite und lugte nach draußen.

Der vermeintliche Vogel war Paolo, der in unserem Garten stand...

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