Endstation Donau - Ein Wien-Krimi

Endstation Donau - Ein Wien-Krimi

von: Edith Kneifl

Haymon, 2014

ISBN: 9783709935866

Sprache: Deutsch

264 Seiten, Download: 5357 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Endstation Donau - Ein Wien-Krimi



2. Tulcea, Rumänien


Es war zu spät, um umzukehren. Ich bereute längst, mich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Was für ein reizloser, schmuddeliger Hafen, dachte ich beim Anblick der heruntergekommenen Lagerhäuser und verrosteten Kräne, die in den strahlend blauen Himmel ragten.

Ich saß mit meinem Freund Orlando in einem Gast­garten in der rumänischen Stadt Tulcea. Unser Tisch stand nahe am Donauufer, eine alte Linde spendete dürftigen Schatten. Es war Mitte September und hatte um die dreißig Grad.

„Tulcea ist sozusagen das Nadelöhr zum Donaudelta“, sagte ich zu Orlando. „Du wirst sehen, das Delta wird dir gefallen.“

Seit wir in Bukarest den Flieger verlassen hatten, schmollte er. Es war sein erster Besuch in einem ehemals sozialistischen Land.

Ich hatte ihm von der grandiosen Landschaft und der beeindruckenden Weite Rumäniens vorgeschwärmt. Er interessierte sich jedoch nur für Graf Dracula. Seit er kapiert hatte, dass Transsylvanien von der Donau weit entfernt ist und sich ein Abstecher dorthin nicht ausgehen würde, ließ er mich seine Enttäuschung spüren.

Ich war an seine Launen gewöhnt. Orlando war eben eine Zicke. Dennoch versuchte ich ihn aufzuheitern, indem ich den tollen Kaviar erwähnte, den wir hier kriegen würden. Mein Freund gebärdete sich gern als Gourmet, obwohl Pizza Margherita seine Lieblingsspeise war.

„Kaviar?“

„Ja, den unbefruchteten Rogen von Stören.“

„Hier gibt’s bald keinen Kaviar mehr. Hab gerade erst gelesen, dass die Störe vom Aussterben bedroht sind. Durch den Bau der Wasserkraftwerke und Staudämme haben sie ihre Laichgründe verloren. Außerdem werden sie wegen ihrer Eier schlicht und einfach abgeschlachtet …“

„Quatsch! Der Stör ist der Fisch der Donau! Er wird sogar ‚der König der Donau‘ genannt.“

„Du bist wieder mal nicht am Laufenden, Kafka. In dem Artikel stand, dass durch die hemmungslose Wildfischerei und den illegalen Kaviarhandel die Störe beinahe ausgerottet wurden. Obwohl die bulgarischen und rumänischen Behörden ein vierjähriges Fangverbot für Störe in der Donau und im Schwarzen Meer verhängt haben, werden diese armen Fische wegen ihrer heißbegehrten Eier zu tausenden umgebracht.“

„Störe gab es schon vor zweihundertfünfzig Millionen Jahren und wird es immer geben. Mag sein, dass einige Arten wegen der Überfischung bedroht sind, aber sicher nicht alle.“

„Ich habe noch nie einen Stör gesehen.“

„Kein Wunder. Sie schwimmen ja auch am Grund des Flusses. Angeblich sind sie genauso alt wie Dinosaurier. Haben aber im Gegensatz zu denen überlebt.“

„Sie sehen den Dinos wirklich ähnlich.“ Orlando zeigte mir ein Foto, das er im Internet gefunden hatte.

„Du weißt, dass die Roaming-Gebühren irrsinnig hoch sind? An deiner Stelle würde ich nicht ständig im Internet surfen.“

„Ich schalte es gleich aus.“

Missmutig starrten wir beide auf den langen, alten Kahn, der direkt vor dem Lokal angelegt hatte.

Die „MS Kaiserin Sisi“ war nicht gerade das neueste Schiff der rumänischen Kreuzfahrt-Flotte. Obwohl es vor ein paar Jahren generalsaniert worden war, mangelte es ihm an Schick und vor allem an Komfort. Die Kabinen, selbst die Doppelkabinen auf Deck 1, waren sehr klein. In den Toiletten und Duschen konnte man sich kaum umdrehen. Die Klimaanlage funktionierte nur hin und wieder und bei über dreißig Grad Außentemperatur gab sie vollends den Geist auf.

Als ich Orlando erzählt hatte, dass das Schiff, auf dem wir die nächsten fünf Wochen verbringen würden, nach seiner geliebten österreichischen Kaiserin benannt war, konnte er sich vor Begeisterung kaum einkriegen.

Orlando hatte einen Sisi-Tick. Als wir uns kennenlernten, machte er des Nachts in langen Sisi-Roben die Straßen Wiens unsicher. All meine Überredungskünste waren vonnöten gewesen, ja ich hatte ihn sogar regelrecht erpressen müssen, hatte gedroht, ihm die Freundschaft zu kündigen, wenn er diese idiotische Verkleidung nicht ablegte. Ich habe kein Problem damit, dass er Transvestit ist, aber dieser Sisi-Wahn überstieg meine Toleranzgrenze.

„Kreuzfahrt – dass ich nicht lache! Sieh dir dieses Prachtstück an. Alles verrostet und schnell überstrichen“, meckerte er.

„Das sieht dein Malerauge sofort.“

Orlando war ein begabter Maler, aber leider ein faules Aas. Vom Verkauf seiner Bilder konnte er ebenso wenig leben wie ich von den zeitgeschichtlichen Projekten über Roma und Sinti, an denen ich hin und wieder mitarbeitete.

„Spotte ruhig. Du wirst noch beten, dass wir heil nachhause kommen.“

„Was soll uns auf einem Schiff passieren? Noch dazu auf einem Fluss? Wenn es untergehen sollte, schwimmt man halt an Land.“

„Da spuckt mal wieder jemand große Töne. Gestern hast du fast geflennt, als es ein paar harmlose Turbulenzen gegeben hat.“

„Ich habe Flugangst. Das ist ganz was anderes.“

„Und ich habe Angst vorm Wasser. Ertrinken ist bestimmt ein sehr qualvoller Tod.“

„Quatsch, im Gegenteil, ich stelle mir vor, dass das eine sehr angenehme Todesart sein könnte.“

„Du bist morbid, Kafka!“

„Und du bist ein Angsthase.“

„Jeder hat eben seine Ängste.“

Ich hatte keine Lust auf eine Fortführung dieses idiotischen Gesprächs und zündete mir eine Zigarette an.

Orlando setzte an, mich zum hundertsten Mal zu ermahnen, dass mich die Zigaretten noch eines Tages ins Grab bringen würden. Mit einem heftigen „Halt den Mund“ gebot ich ihm zu schweigen. Als ich seinen verletzten Blick bemerkte, bereute ich es sogleich, ihn derart angefahren zu haben.

„Glaubst du nicht auch, dass diese rumänische Airline TAROM bis heute die alten, längst schrottreifen, sowjetischen Tupolews einsetzt?“

„Wir sind mit einer stinknormalen McDonnell Douglas geflogen, meine Liebe.“

„Sind die nicht ebenfalls steinalt?“

„Mag sein. Wir sind heil angekommen und nur das zählt, oder?“

Vor nunmehr etwa zehn Tagen rief mich überraschender Weise mein Onkel Sandor an. Letztes Frühjahr hatte ich mit Orlandos Hilfe den zweiten Mörder meiner Eltern in den USA überführt. Daraufhin hatte ich meinen Patenonkel, den Bruder meiner Mutter, per Internet gesucht. Wir Roma haben überall auf der Welt Verwandte. Schließlich hat einer meiner Cousins Sandor wirklich in einer Bar in Marseille entdeckt. Die Bar gehörte seiner aktuellen Lebensgefährtin, und er geigte dort an den Wochenenden auf.

In Wien hatte er den Ruf gehabt, ein Teufelsgeiger zu sein. Seine Fans hatten ihn für fast so begnadet gehalten wie Paganini. Ich war damals sehr stolz auf meinen berühmten Onkel.

Nachdem ich die Telefonnummer der Bar herausgefunden hatte, telefonierten wir ein paar Mal miteinander. Es hatte ihn schwer beeindruckt, dass ich den Mörder seiner geliebten Schwester zur Strecke gebracht hatte. Nach ein paar Wochen war der Kontakt aber wieder eingeschlafen. Sandor war kein großer Telefonierer. Deshalb freute ich mich letztens auch sehr über seinen Anruf.

Er fragte mich, ob ich nicht Lust auf eine kostenlose Kreuzfahrt hätte. Und meinen kleinen, tapferen Freund sollte ich gleich mitbringen.

Ich bin studierte Historikerin, verdiene mir jedoch meinen Lebensunterhalt seit Jahren als Barkeeperin. Da ich gerade ohne Job war und Orlando sowieso seine Arbeitsplätze wechselte wie seine Unterwäsche, fragte ich, welche Gegenleistung ich dafür bringen müsste.

„Die Bar übernehmen“, sagte Sandor. „Du wärst Chef de Bar.

Als er mir vorrechnete, wie viel ich auf drei Donaukreuzfahrten in fünf Wochen verdienen würde, sagte ich, ohne Orlando zu fragen, für uns beide zu.

Ich hätte mir denken können, dass diese Geschichte einen Haken hatte.

Sandor hatte, was den angeblich so tollen Lohn betraf, das durchschnittliche Trinkgeld miteingerechnet und auch verschwiegen, dass wir einen 16-Stunden-Tag haben würden. Gestern bei meinem Vorstellungsgespräch mit dem rumänischen Kapitän begriff ich zudem, dass auf dem Schiff ein permanenter Personalwechsel herrschte. Kein gutes Zeichen, das wusste ich aus Erfahrung.

Der Kapitän war nicht unsympathisch und sah auch nicht übel aus. War groß, breitschultrig und hatte dunkelblondes, dichtes Haar. Aber seine hohe Stimme, die so gar nicht zu seinem kräftigen Körper passte, missfiel mir ebenso wie die ersten Worte, die er an mich richtete. „Ah, du bist die kleine Zigeunerin.“

„Mein Name ist Katharina Kafka. Magistra Kafka.“

Normalerweise erwähne ich meinen akademischen Titel nie. Es ärgerte mich nur, dass er mich duzte. Ich bin vierzig Jahre alt und einen Meter fünfundsiebzig groß – von wegen kleine Zigeunerin!

„Einen studierten Chef de Bar hatten wir meines Wissens noch nie.“ Falls er beeindruckt war, ließ er es sich nicht anmerken.

„Wenigstens wird sie rechnen können“, sagte er zum Ersten Offizier, der uns keinerlei Beachtung geschenkt hatte und auch jetzt nicht vom Bildschirm seines Laptops aufblickte.

„Das ist korrekt“, hörte ich ihn nach ein paar Sekunden leise sagen.

„Uniformen habt ihr euch besorgt?“ Der Kapitän musterte Orlando, der ein schickes, rosafarbenes Etuikleid trug, abschätzig von Kopf bis Fuß.

Ich hatte uns in Wien blaue Uniformen gekauft. Orlando hatte beteuert, dass er so eine Scheußlichkeit nicht...

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