Die Gärten von Kioto

Die Gärten von Kioto

von: Kate Walbert

PeP eBooks, 2003

ISBN: 9783894807559

Sprache: Deutsch

246 Seiten, Download: 464 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die Gärten von Kioto



5 (S. 113-114)

Professor X kam in Washington an und machte sich auf den Weg zu dem Regierungsgebäude, wo die Beratungen über die Bombe und ihr Ziel schon seit Monaten im Gange waren. Einige Stimmen, so heißt es, sprachen sich dafür aus, den Japanern – dem Kaiser und den Generälen, die über die Kapitulation zu entscheiden hatten – einfach eine bestimmte Zeit zu nennen, zu der sie sich nach Westen wenden und auf das Japanische Meer hinausschauen sollten, über dem die Amerikaner dann die Bombe abwerfen würden, um den Japanern vor Augen zu führen, welch schreckliches Schicksal sie ihnen bereiten konnten. Ich habe es immer interessant gefunden, ihre Flagge vor diesem Hintergrund zu betrachten. Sie erscheint fast prophetisch: eine runde, rote Sonne vor reinem weißem Himmel. Denk dir hunderte und aberhunderte von Japanern, die am Strand aufgereiht stehen, die Hand gegen das gleißende Licht erhoben wie Touristen, die einen besonders prächtigen Sonnenuntergang bestaunen.

Zur vereinbarten Zeit trat Professor X vor die Generäle. Er trug Anzug und Krawatte; seine Strümpfe waren bis übers Knie hochgezogen, seine Schuhe frisch gewichst, von einem russischen Flüchtling an der Union Station. Er hatte ein Taschentuch eingesteckt und holte es zu oft hervor, um sich die Hände damit abzuwischen. Bei Anlässen wie diesem machte sich seine Nervosität in seinen Händen bemerkbar, und er war dankbar, dass er für seine Ausführungen wenigstens keinen Diaprojektor verwendete, der sein Zittern auch noch illuminiert hätte.

Er trug seinen vorbereiteten Text vor, und die Generäle machten sich Notizen. Jedenfalls taten sie so, als machten sie sich Notizen. Die Nerven des Professors hatten ihn im Stich gelassen; er stammelte. Die Generäle versuchten ihm die Befangenheit zu nehmen, fragten ihn, ob er sich lieber setzen würde, ob er gern ein Glas Wasser hätte. Sie gaben sich alle Mühe, nett zu sein, ihre Entscheidung stand ohnehin fest. Die Topografie gab den Ausschlag, die Tatsache, dass Kioto in einem Ring von Bergen lag, eine vollkommene Schale, ein vollkommenes Tal. Welcher Ort eignete sich besser, die neue Waffe zu testen? Welcher Ort eignete sich besser, ihre Auswirkungen zu begrenzen? Kioto war seit Monaten auserwählt, das natürliche Ziel, erwartungsvoll fast: zwei ineinander gelegte Hände, die sich dem Himmel öffnen.

Der Professor hatte den Faden verloren. Er sprach von einem be stimmten Teich in einem bestimmten Garten Kiotos, einem Teich, den er gut kannte, den er so manches Mal spätnachmittags besucht hatte. Er sprach davon, dass der Teich vor mehr als tausend Jahren ausgehoben worden war, in der Form des Schriftzeichens, das für Herz oder Seele steht, und dass der Kaiser, der den Garten hatte anlegen lassen, seinen Tee in dem Tempel neben dem Garten einnahm. Vom Tempel aus gelangte er in die Gemächer seiner Konkubinen, die er stets um Mitternacht aufsuchte, denn der Mondglanz, der auf seine Seele, sein Herz fiel, erhielt ihm seine Männlichkeit, glaubte er, und bekäme eine der Frauen ihn tagsüber zu Gesicht, im hellen Sonnenlicht, so würden sie in ihm einen alten Mann erblicken und sich angewidert von ihm abwenden, obwohl er ein Kaiser war und sie seine Konkubinen.

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