Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei - Der 'Wert von Kindern' als Bindeglied auf der Akteursebene

Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei - Der 'Wert von Kindern' als Bindeglied auf der Akteursebene

von: Daniela Klaus

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909790

Sprache: Deutsch

249 Seiten, Download: 1417 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei - Der 'Wert von Kindern' als Bindeglied auf der Akteursebene



4 Zentrale Fertilitätstheorien im Überblick (S. 79-80)

Der Erforschung der Fertilität sind nicht nur unzählige empirische Arbeiten gewidmet, sondern auch aus theoretischer Perspektive lässt sich hierzu eine höchst rege Forschungstätigkeit ausmachen. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit der Reproduktion des Menschen. Eine der ältesten Arbeiten stellt das 1798 von Malthus formulierte Bevölkerungsgesetz dar. In seinem ‚Essay on the Principle of Population, as it affects the Future Improvement of Society‘ formuliert er einen positiven Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung einerseits und dem Bevölkerungsumfang andererseits.

Dass die „Bevölkerung sich unwandelbar vermehrt, wenn die Subsistenzmittel zunehmen" (Malthus 1977: 484) ist historisch jedoch widerlegt. Strittig an der theoretischen Argumentation Malthus’ ist v. a. die unterstellte Prämisse eines uneingeschränkten Erhaltungstriebs der menschlichen Gattung. Sozio-biologische Zugänge zur Fertilität greifen diese Idee später in einer ähnlichen Weise wieder auf (für eine Übersicht vgl. u. a. Kopp 1992), finden allerdings keine weit reichende Beachtung. Die einflussreichsten theoretischen Erklärungsversuche stammen aus der Mikroökonomie, der Soziologie sowie der Psychologie, die je unterschiedliche Erklärungsfaktoren und Wirkungsmechanismen heranziehen und akzentuieren.

Darüber hinaus variieren die Ansätze danach, ob sie die Fertilität über einen Rückgriff auf die Individualebene thematisieren oder ausschließlich auf der Ebene der makrostrukturellen Phänomene verbleiben. Die folgende Übersicht stellt keineswegs eine vollständige Sammlung aller theoretischen Konzepte zum Thema Fertilität dar.26 Sie beschränkt sich einerseits auf die Ansätze, die hohe Popularität erlangt haben und infolgedessen auch vielfach diskutiert und zum Teil empirischen Tests unterzogen wurden. Andererseits konzentriert sich die Präsentation auf die Ideen, die in das im darauf folgenden Kapitel vorgelegte Erklärungsmodell einfließen. Es werden jeweils zunächst die Grundzüge der Ansätze vorgestellt, um daran anknüpfend eine kritische Betrachtung vornehmlich aus theoretischer Perspektive zu leisten.

Kriterium hierbei stellt das Grundmodell der soziologischen Erklärung entsprechend der Theorietradition des methodologischen Individualismus (Coleman 1990) dar. Demnach muss mit Blick auf eine angemessene Erklärung überindividueller Phänomene wie dem Geburtenniveau, zunächst auf die Akteursebene zurückgegangen werden, gleichwohl unter der Berücksichtigung, dass die Akteure im Allgemeinen nicht losgelöst von ihrer sozialen Umwelt tätig werden. Makroorientierte Konzepte, wie die im Kapitel 2 vorgestellte These des demographischen Übergangs, verfolgen eine Erklärung über Phänomene wie Industrialisierung oder Wertewandel, ohne jedoch explizit individuelle Akteure in die Argumentation einzubinden. Unergründet bleiben hierbei die vermittelnden Mechanismen, die erst dann aufgedeckt werden können, wenn der Mensch als Entscheidungs- und Handlungsträger in den Mittelpunkt der Erklärung gerückt wird, denn schließlich ist er es, der Kinder in die Welt setzt oder sich gegen sie entscheidet.

4.1 Soziologische Erklärungsansätze

Im Mittelpunkt soziologischer Erklärungen steht der verhaltenswirksame Einfluss sozialer Rollen und Normen – Determinanten, die nicht nur in der ökonomischen Theorie unberücksichtigt bleiben, sondern auch scheinbar auf einem anderen Prinzip als dem der rationalen Nutzenmaximierung beruhen. Zumindest in den normen- und rollentheoretischen Ansätzen geht es nicht um eine explizite Wahl zwischen verschiedenen generativen Handlungsalternativen, sondern um die Orientierung und Ausführung kollektiver Werte bzw. Erwartungen bezüglich der zu realisierenden Kinderzahl.

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