Schweigen, schummeln, lügen - Was ist erlaubt?

Schweigen, schummeln, lügen - Was ist erlaubt?

von: Andrea Haefely

Beobachter-Edition, 2014

ISBN: 9783855698318

Sprache: Deutsch

233 Seiten, Download: 9452 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Schweigen, schummeln, lügen - Was ist erlaubt?



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Lügen und seine Formen

Lüge ist nicht gleich Lüge. es gibt verschiedene Formen und Mischformen. es gibt institutionalisierte Lügen und krankhafte Lügen. grosse und noble, aber auch kleine und jümmerliche Lügen. Und selbst das Schweigen kann eine Form von Lüge sein.

Die Lüge: Abkehr von der Wahrheit

So, jetzt mal Butter bei die Fische: Wer lügt mehr, Frauen oder Männer? Und wer lügt weshalb? Hmm. Lügen, das ist sicher, tun wir alle sowieso.

«Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht.»

Oliver Hassencamp, deutscher Kabarettist

«Die Lüge ist nichts anderes als die bewusste Abwendung von der Wahrheit», definiert Peter Stiegnitz. Der österreichische Soziologe und Lügenforscher weiss, wovon er spricht. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Lüge und hat ihr eine eigene Lehre, die Mentiologie, gewidmet. Seine Faszination für die Lüge führt er selber auf ein Ereignis in seiner Kindheit zurück. Als er acht war, entging er durch eine Lüge der drohenden Deportation in ein Vernichtungslager: Auf die Frage, ob er Jude sei, habe er mit Nein geantwortet. Diese Notlüge habe ihm das Leben gerettet.

Die meisten von uns geraten glücklicherweise nie in eine Situation, in der sie ihre körperliche Unversehrtheit nur mittels einer Lüge retten können. Trotzdem lügen wir öfter, als wir (uns) eingestehen möchten. Das ist wenig erstaunlich, gibt es doch eine Fülle von Motivationen für und Arten von Lügen.

Menschen lügen aus Angst, aus Niedertracht, aus Feigheit, aus ökonomischen Gründen und um des Überlebens willen. Meist sind sich die Absender bewusst, dass sie lügen – manchmal auch nicht. Sie beugen die Wahrheit mit Höflichkeitslügen, Notlügen, Heuchelei und Scherzlügen. Manchmal übertreiben sie bloss oder untertreiben. Und manchmal benutzen sie die nonverbale Lüge in Gestik, Handlung und selbst in Objekten. Immer aber schieben sie mit einer Lüge die Verantwortung für ein Verhalten oder ein Gefühl ab.

Nicht alle Lügen werden von der Gesellschaft gleich stark verdammt respektive akzeptiert. Hauptkriterium für die gesellschaftliche Akzeptanz ist die Motivation des Lügners, der Lügnerin. Was dabei als legitim gilt und was nicht, ist eine moralisch-philosophische Frage und hat schon die alten Griechen beschäftigt (siehe Seite 34).

Im englischen Sprachraum unterscheidet man zwischen «white lies», also den weissen oder guten Lügen, und «black lies», den schlechten Lügen. Wer seiner sterbenden Mutter vorlügt, dass er – abgesehen von ihrem nahenden Tod natürlich – mit seinem Leben zufrieden sei, obwohl er gerade den Job verloren hat, kann mit dem Verständnis der meisten Mitmenschen rechnen. Er will ihr auf dem Sterbebett nicht auch noch die Sorge um ihn aufbürden. Lügt er die sterbende Mutter aber an, um sie zur Änderung ihres Testaments zu seinen Gunsten zu bewegen, wird ihm dafür kaum jemand Absolution erteilen.

Zum Wohl des Lügners

Egal, ob weiss oder schwarz, alle – erfolgreichen – Lügen dienen dem Lügner. Laut Stiegnitz gaben bei einer Umfrage 41 Prozent der Befragten an, zur Lüge zu greifen, um sich Ärger zu ersparen, 14 Prozent lügen, um sich das Leben leichter zu machen, 8 Prozent greifen zur Lüge, um geliebt zu werden, und 6 Prozent, um sich besser darzustellen. 31 Prozent der Befragten blieben eine Antwort schuldig. Selbst wer aus altruistischen Motiven, also zum Wohl eines anderen Menschen, lügt, zieht daraus Nutzen: Höchstwahrscheinlich wird der andere dankbar sein und sich einem möglicherweise sogar für die Zukunft verpflichtet fühlen. Und als Lügner steht man als «selbstloser» Helfer da – zumindest vor sich selber und dem Begünstigten der Lüge. Auch kein schlechtes Gefühl.

«Lieber tausend Lügen, die mir nützen, als eine Wahrheit, die mir schadet.»

Paul Mommertz, deutscher Schriftsteller und Bühnenautor

Doch wie häufig benutzen wir welche Spielart der Lüge? Wann schwindeln wir bloss ein bisschen, wann lügen wir dem anderen «fadegrad» ins Gesicht? Um dies zu erforschen, bat die US-Soziologin und Harvard-Absolventin Bella DePaulo 77 ihrer Studierenden und 70 Bürger der Stadt Lake Wobegon, während einer Woche ein Lügentagebuch zu führen. Dabei stellte sich heraus, dass rund 60 Prozent der Einträge knallharte Lügen waren, die Probanden also nicht einfach ein bisschen übertrieben oder schöngefärbt, sondern eine regelrechte Abkehr von der Wahrheit vollzogen hatten. Ein Prozent der Tagebuchführenden gab übrigens an, während des gesamten Zeitraums nie gelogen zu haben – was vermutlich gelogen war.

WARNUNG: LÜGEN KANN IHRER GESUNDHEIT SCHADEN!

Es ist nicht fair: Da schwindelt man einmal, nix Schlimmes, wirklich nur ein kleines bisschen. Trotzdem reagiert der Körper: Das Herz schlägt bis zum Hals, die Hände werden klamm, und dem einen oder anderen steigt zu allem Überfluss auch noch die Röte ins Gesicht. Lügt jemand häufig und steht dabei unter Druck – wie zum Beispiel ein Betrüger –, können sich die Körperreaktionen, die diese Stresssymptome hervorrufen, schädlich auf die Gesundheit auswirken. Erhöhter Puls und höherer Blutdruck bedeuten auch Mehrarbeit fürs Herz (siehe das Porträt von Karl Meier auf Seite 126). Selbst auf den Magen kann Lügen schlagen: Es verlangsamt die Magenbewegungen.

Dass Lügen der Gesundheit nicht gerade zuträglich ist, hat auch eine Studie der amerikanischen Psychologin Anita Kelly ergeben. In der Versuchsanlage mussten 110 Probanden über zehn Wochen hinweg Fragen beantworten, während sie an einen Lügendetektor angeschlossen waren. Dabei durfte die eine Hälfte der Probanden nicht lügen, die andere Hälfte schon. Ergebnis: Diejenigen, die bei der Wahrheit blieben, klagten deutlich seltener über Verspannungen, Stress, Kopf- und Halsschmerzen, Traurigkeit und Angst.

DePaulos Untersuchung ergab weiter, dass vor allem diejenigen Personen häufig lügen, denen der Eindruck, den sie auf andere machen, sehr wichtig ist. Ein ausgeprägtes Aussenbildmanagement kann also – oder muss unweigerlich? – dazu führen, dass jemand häufiger lügt. Ebenfalls mehr als andere logen die Extrovertierten in der Testgruppe. Nun liesse sich argumentieren, dass extrovertierte Menschen ja auch mehr Kontakt zu anderen pflegen und sich dadurch die Gelegenheiten zur Lüge vermehren. De Paulo betrachtete aber nicht nur die absoluten Werte, sondern auch die relativen, also das Verhältnis zwischen der Möglichkeit zur Lüge und den tatsächlichen Lügen. Und auch da stellte sich heraus: Extrovertierte Menschen nehmen es mit der Wahrheit weniger genau als introvertierte.

Frauen lügen anders und Männer mehr

Platon glaubte es, Aristoteles auch und Nietzsche erst recht: Frauen sind das verlogene Geschlecht. Wissenschaftlich fundiert waren und sind derlei chauvinistische Sichtweisen natürlich nicht. Geschlechtstypische Unterschiede im Lügenverhalten gibt es aber trotzdem, will man verschiedenen Studien zu diesem Thema Glauben schenken. Die meisten kommen zum Schluss, dass Männer in der Tendenz sogar eher etwas häufiger lügen als Frauen. Und: Die Angehörigen des jeweiligen Geschlechts tun es meist aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedenen Gebieten.

«Männer, die behaupten, sie seien die uneingeschränkten Herren im Haus, lügen auch bei anderer Gelegenheit.»

Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller und Bühnenautor

Die Top drei der Lügenthemen bei Männern sind nach Stiegnitz: das Auto, der Job, die Freizeit. Frauen hingegen lügen am häufigsten beim Gewicht, beim Alter und über ihr Shoppingverhalten. Auf Rang vier der Lügenthemenskala steht bei beiden die Treue. Frauen neigen dabei aber eher als Männer zur Selbstlüge, insbesondere wenn es um die Untreue ihres Partners geht. Was nicht sein soll, wird vor sich selber «weggelogen». So gaben bei Stiegnitz’ Untersuchung gerade mal ein Viertel der Ehefrauen, die nachweislich betrogen wurden, die Untreue ihrer Männer zu.

Frauen, so Bella DePaulo, lügen zudem deutlich öfter als Männer zugunsten von Dritten. Ihre Lügen zielen häufig auf Beistand und Unterstützung ab. Sie versuchen, mit Lügen und Flunkereien Aggression und Streit zu verhindern. Männer hingegen lügen vornehmlich zu ihren eigenen Gunsten: Oft ist Angst vor der Entlarvung echter oder vermeintlicher Schwächen die Triebfeder ihrer Lügen.

Ein weiterer Unterschied besteht offenbar darin, dass Frauen mehr Aufwand betreiben, wenn sie ihnen nahestehende Personen belügen....

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