Schlimme Finger - Eine Kriminalgeschichte der Künste von Villon bis Beltracchi

Schlimme Finger - Eine Kriminalgeschichte der Künste von Villon bis Beltracchi

von: Rolf-Bernhard Essig, Gudrun Schury

Verlag C.H.Beck, 2015

ISBN: 9783406673733

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 5132 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Schlimme Finger - Eine Kriminalgeschichte der Künste von Villon bis Beltracchi



Das Prinzip Cardillac oder:
Warum das Thema «Verbrechen und Kunst» seit Neros Zeiten fasziniert. Ein Vorwort


 

 

Ihre Finger brauchten sie alle dazu: ob sie mit ihnen schossen oder stahlen, fälschten oder zuschlugen. Die Dichter, Maler und Komponisten, die wir Ihnen vorstellen, bedienten sich nicht nur ihrer Künstlerfinger auf schlimme Weise, sondern sie waren selbst schlimme Finger, manche sogar mehr als das: Kriminelle, Gangster, Ganoven, Banditen, Schwerverbrecher.

Unser Buch hätte auch Das Prinzip Cardillac heißen können, denn in dieser Figur aus E. T. A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi sind Kunst und Verbrechen exemplarisch vereint. Noch viel skrupelloser als eins seiner Vorbilder, Benvenuto Cellini, handelt der Goldschmied Cardillac. Beherrscht von der obsessiven Beziehung zur eigenen Schöpfung, tötet er die Käufer seiner Geschmeide, um wieder in deren Besitz zu gelangen.

Der Kriminelle, dem das letzte Kapitel unseres Buches gewidmet ist, kennt die Erzählung. Auf die Frage: «Stimmt es, dass Sie Ihre eigenen Bilder irgendwann sogar zurückkauften?», antwortete der Maler und Fälscher Wolfgang Beltracchi: «Es gibt eine Geschichte von E. T. A. Hoffmann, die im Paris des 17. Jahrhunderts spielt, über einen Juwelier, der ganz tollen Schmuck macht. Jedes Mal, wenn er ein Schmuckstück verkauft hat, werden die Damen ermordet und verschwindet der Schmuck. Ich habe natürlich die Besitzer der Bilder nicht ermordet, aber ich kann das verstehen. Ich wollte meine Bilder wiederhaben und sie eigentlich auch nie verkaufen.» Ist also Verbrechen im Künstlertum notwendig angelegt, eben weil der Künstler so eng mit seinem Kunstwerk verbunden ist? Das kann jedenfalls nur für den Schöpfer eines singulären Bildwerkes gelten, das nach dem Verkauf vielleicht für immer in einem Safe verschwindet. Literaten und Komponisten dagegen teilen jeden Buchstaben, jede Note, die sie schreiben, mit ihrem Publikum. Literatur muss gelesen, Musik gehört werden, um als Kunst zu existieren. Also werden Schriftsteller und Musiker wenig davon haben, die Käufer ihrer Kunst zu ermorden. Eher schon erfinden sie welche.

Es gibt aber durchaus Verbrechen, die dem Künstler generell näher liegen als einer Verwaltungsangestellten oder einem Schornsteinfeger: Warum sich mit 600 Euro für eine Originalzeichnung zufriedengeben, wenn man doch für eine Salvador-Dalí-Fälschung das Zwanzigfache bekommen kann? Warum mühselig Gedichte zusammenstopseln, wenn man das Plagiat altfranzösischer Lyrik als eigenes Werk ausgeben kann? Warum nächtelang eine Filmmusik komponieren, wenn man sich bei Igor Strawinsky und Arvo Pärt bedienen kann? Warum für Gewinne aus Bilderverkäufen oder Plattenverträgen Abgaben bezahlen, wenn man das Geld in Steueroasen parken kann? Auch geraten Künstler wohl leichter als Busfahrer oder Bäckereifachverkäuferinnen in ein Milieu aus Drogen, Alkohol und Beschaffungskriminalität. Oft suchen sie ja sogar speziell die Erfahrung von Entgrenzung. Für manche Kunstschaffende gehörten und gehören illegale Rauschmittel zum Selbstverständnis, ja unabdingbaren Stimulans ihrer Produktion. Ob Opium-Esser, Absinth-Trinker oder Kokain-Schnupfer, die Liste berühmter Konsumenten ist lang. Trauriges Beispiel für einen unter Drogen- und Alkoholeinfluss zum Täter gewordenen Schriftsteller ist William S. Burroughs. Weil er für sich und seine ebenfalls drogenabhängige Frau Joan Vollmer Geld brauchte, lud er einen Käufer nach Hause ein, um ihm ein paar Waffen zu zeigen. Außerdem anwesend: seine Frau, sein Sohn William junior, zwei Studenten. Alle sind bereits abgefüllt mit Tequila, Whiskey, Gin, als Burroughs die Idee mit dem Wilhelm-Tell-Spiel hat. Joan stellt sich ein Whiskeyglas auf den Kopf, William schießt darauf. Kurz danach stirbt sie im Krankenhaus an der Schussverletzung.

Auch abseits von Totschlag und Drogen bewegen sich Künstler nicht selten am Rand der Legalität. Manche Inszenierer von Happenings müssen notwendig Gesetze übertreten, wenn sie ihre Botschaft unters Volk bringen wollen: «Kunst und Verbrechen», so schrieb ein New Yorker Chefredakteur 2004, «scheinen derzeit ein gutes Paar abzugeben, und mir persönlich gefällt der Einfluss, den sie aufeinander ausüben. […] Es ist unmöglich, all den Streichen und Vergehen nachzugehen, die täglich auf den Straßen, in Galerien und Kunstakademien begangen werden, aber es ist wichtig, ihren kollektiven, zornigen Geist anzuerkennen. Künstler haben Entführungen durchgeführt, haben Bombenattrappen gebastelt oder Bombendrohungen ausgesprochen, Dokumente gefälscht und sich für jemand anderen ausgegeben, öffentliches Eigentum besetzt oder zerstört und im Namen der Kunst so gut wie alles vandalisiert, zweckentfremdet oder entwendet. Uns gefällt das, weil es komisch ist, weil uns situationistische Interventionen im Alltag zum Lachen und zum Nachdenken bringen.»

Handelt es sich bei solchen Aktionen um Erregung öffentlichen Ärgernisses, etwa durch eine Nackt-Performance, um Verstoß gegen das Versammlungsverbot durch einen inszenierten Flashmob oder um Eigentumsdelikte wie das Bemalen besetzter Häuser, mag man lange diskutieren, wo die Kunst aufhört und das Verbrechen beginnt. Die Grenze eindeutig überschritten hat der wegen seiner radikalen Bilder, aber auch wegen seiner Farb-, Blut- und Ausscheidungsorgien bekannte Aktionskünstler Otto Muehl, der in seiner Kunstkommune Minderjährige manipulierte, demütigte, traumatisierte, sexuell missbrauchte und mit Drogen versah, was ihm 1991 eine Verurteilung zu sieben Jahren Haft einbrachte. Auch bei manchen Musikern sind Exzesse, Gewalt und Zerstörung oder der Aufruf zu ihnen unverzichtbarer Teil ihrer Performance, so schon bei Alice Cooper, den Sex Pistols oder Marilyn Manson – wobei die provokanten Äußerungen meist der Bühnensphäre vorbehalten bleiben.

Ganz allgemein ist jeder kreative Kopf, der sich über Normen hinwegsetzt, potenzieller Adressat für Anzeigen wegen Pornografie, Religionsverhöhnung, Beleidigung, Störung des öffentlichen Friedens. Gerade bildende Künstler haben immer wieder den Gesetzesbruch als Teil ihrer künstlerischen Arbeit zelebriert – manchmal ununterscheidbar vom politischen Protest. Die Aufmerksamkeit für ein verbotenes Graffito oder eine Schweineblutschüttung auf offener Straße ist natürlich höher, als wenn man ein Blumenstillleben in eine Galerie hängt. Polizei, Presse und bürgerliche Empörung werden zu Protagonisten der künstlerischen Aktion. Ein hervorragendes Beispiel dafür lieferte 1976 der Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen): Im Rahmen einer Aktion mit dem Titel Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst stahl er Carl Spitzwegs Gemälde Der arme Poet aus der Berliner Neuen Nationalgalerie, transportierte es im Auto nach Kreuzberg, wo er es in der Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie an die Wand hängte, um schließlich dem Museumsdirektor den Aufenthaltsort des Bildes mitzuteilen. Die gesamte Aktion wurde filmisch und fotografisch festgehalten, die Presseberichte waren Teil von ihr. Warum gerade der Arme Poet einen Ausflug in die Türkenwohnung unternahm? «Weil es absolut nicht mein Lieblingsbild war. Und ich wollte es ja auch nicht behalten. […] Natürlich ein sehr romantisches Bild – und eines der Lieblingsbilder von Hitler. 1976 habe ich mich in Kreuzberg aufgehalten, und es war einfach grauenhaft, ein verrottetes, vergammeltes Ghetto, in dem die Türken leben mussten, weil sie nirgendwo anders gern gesehen waren. […] Dagegen wollte ich irgendeine Irritation setzen – wie beispielsweise den Spitzweg auszuleihen.» Kunstraub als Gesellschaftskritik: ein Delikt, das an der Grenze von Kriminalität und Kreativität angesiedelt ist.

Vergehen wie Mord, Desertion oder Urkundenfälschung sind dagegen nicht künstlerspezifisch; sie kommen quer durch alle Gesellschaftsschichten vor, denn sie haben nichts mit dem Berufsstand des Dichters, Malers oder Musikers zu tun. Es gibt reiche und arme Gesetzesbrecher, welche mit großbürgerlichem Hintergrund und welche, die schon als Kinder zu den Underdogs zählten. Etliche fingen als Jugendliche an, krumme Dinger zu drehen, andere waren bei ihren Verbrechen bereits gestandene Männer. So wie allgemein in der Kriminalgeschichte übertrifft auch bei den Künstlern der Anteil männlicher Verbrecher denjenigen der weiblichen bei weitem. Das Missverhältnis ist hier freilich besonders groß, weil es über Jahrhunderte für Frauen kaum möglich war, künstlerisch zu arbeiten, und wenn es doch gelang, wollten sie die seltene Chance natürlich nicht gefährden. Einige Künstler wurden nur einmal straffällig, andere stahlen serienmäßig. Auch die Schwere der Verbrechen hat nichts Spezifisches; sie reicht vom Diebstahl einiger Taschentücher bis zum brutalen Doppelmord. Im Anhang unseres Buches macht das Register der behandelten Straftaten deutlich, dass der Künstler am Vorkommen verbotener Handlungen von A wie Amtsanmaßung bis Z wie Zuhälterei genauso beteiligt ist wie der Rest der Bevölkerung.

Und trotzdem reizt die Frage: Was ist so anders, wenn ein Künstler...

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