Wiley Schnellkurs Organische Chemie III - Synthese

Wiley Schnellkurs Organische Chemie III - Synthese

von: David R. Klein

Wiley-VCH, 2015

ISBN: 9783527691326

Sprache: Deutsch

349 Seiten, Download: 5777 KB

 
Format:  EPUB

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Wiley Schnellkurs Organische Chemie III - Synthese



1
Elektrophile Substitution am Aromaten (SEAr)


In diesem Kapitel

  • lernen Sie verschiedene Möglichkeiten kennen, neue Substituenten an einen Aromaten zu koppeln
  • erfahren Sie, wie sich das Grundlagenwissen über elektronische und sterische Effekte in der Synthese nutzen lässt
  • wird Ihnen gezeigt, welche Spielregeln man beachten sollte, wenn man selbst Synthesewege aufstellen will

Beginnen wir dieses Kapitel mit einer vertrauten Reaktion: der Addition von elementarem Brom (Br2) an eine Doppelbindung:

Hierbei wird ein Elektrophil durch ein Nucleophil angegriffen. Als Elektrophil dient das Brom‐Molekül (Br2), als Nucleophil fungiert die Doppelbindung. Um zu verstehen, wie eine Doppelbindung die Rolle eines Nucleophils einnehmen kann, sollten Sie sich noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, dass eine Doppelbindung aus einem σ– und einem π–Anteil besteht. Letzterer kommt durch die Überlappung zweier benachbarter, parallel zueinander stehender p‐Orbitale zustande, die jeweils ein (ungepaartes) Elektron aufweisen:

Damit stellt eine Doppelbindung (oder genauer gesagt: deren π–Anteil) eine Region mit hoher Elektronendichte dar. Auch wenn hier kein Atom eine negative Ladung trägt, kann die Doppelbindung als Nucleophil fungieren und somit ein Elektrophil angreifen. Natürlich stellt sich dann die Frage: Wieso ist Br2 ein Elektrophil? Zwischen den beiden Brom‐Atomen liegt schließlich eine kovalente Bindung vor, also gibt es zwischen den beiden Brom‐Atomen keinen Ladungsdichte‐Unterschied. (Induktive Effekte spielen hier keine Rolle, denn beiden Atome besitzen die gleiche Elektronegativität.) Und doch gibt es einen einfachen Grund dafür, dass elementares Brom als Nucleophil fungieren kann. Zunächst müssen wir überlegen, was wohl passieren wird, wenn sich ein Br2‐Molekül einer Doppelbindung annähert. Dafür stellen wir uns die Elektronenwolke vor, die das Br2‐Molekül umgibt:

Nähert sich das Br2‐Molekül der Doppelbindung, kommt es zur elektrostatischen Abstoßung zwischen dem π–Anteil der Doppelbindung und der Elektronendichte des Brom‐Moleküls. Dadurch wird beim Br2 ein Dipolmoment induziert. (Es handelt sich hier nur um eine vorübergehende Wechselwirkung, die nur zustandekommt, wenn sich das Brom‐Molekül in der Nähe des Alkens befindet.)

Also kann ein elektronenreiches Alken ein relativ elektronenarmes Brom‐Atom angreifen. Das führt zur Additionsreaktion mit dem vertrauten Mechanismus:

Sehen wir uns nun an, was passiert, wenn wir die gleiche Reaktion durchführen wollen, dabei aber als Nucleophil Benzen dienen soll:

Erhitzt man allerdings einfach nur Benzen in Gegenwart von Br2, kommt es nicht zur Reaktion:

Allzu überraschend sollte das nicht sein, schließlich handelt es sich bei Benzen um einen Aromaten, d. h., gerade aufgrund seiner Aromatizität ist Benzen besonders stabil. Wird Br2 an Benzen addiert, geht der aromatische Charakter verloren. Genau deswegen läuft diese Additionsreaktion auch nicht ab: Das Produkt wäre energetisch ungünstiger, also verliefe diese Reaktion energetisch gesehen »bergauf«. Aber kann man diese Reaktion vielleicht »erzwingen«? – Das führt uns zu einem sehr einfachen, aber immens wichtigen Konzept der Organischen Chemie.

Tipp

Eine der Triebkräfte jeder Reaktion zwischen einem Nucleophil und einem Elektrophil ist die Elektronendichte‐Differenz der beiden Komponenten. Das Nucleophil ist elektronenreich, das Elektrophil ist elektronenarm. Folglich ziehen die beiden einander an (so wie das gegensätzliche Ladungen auch tun).

Wenn also die gewünschte Reaktion nicht abläuft, können wir versuchen, sie doch noch zu erzwingen, indem wir die Anziehung zwischen Elektrophil und Nucleophil steigern. Dafür stehen uns zwei Möglichkeiten offen:

  • Wir können das Nucleophil noch elektronenreicher machen (und damit noch nucleophiler).
  • Wir können das Elektrophil noch elektronenärmer machen (und damit dessen Elektrophilie steigern).

In diesem Kapitel werden wir nacheinander beide Möglichkeiten betrachten. Fangen wir damit an, das Elektrophil in seiner Leistungsfähigkeit zu steigern. Wie können wir Br2 zu einem besseren Elektrophil machen? – Bitte rufen Sie sich dafür ins Gedächtnis zurück, warum Br2 überhaupt ein Elektrophil ist. Vor wenigen Zeilen haben Sie gesehen, dass ein Dipolmoment induziert wird, wenn das Br2 einer Doppelbindung nahe genug kommt. Das führt zu einer positiven Partialladung an dem Brom‐Atom, das der Doppelbindung näher ist. Natürlich wäre ein echtes Br+ ein noch besseres Elektrophil als Br2 – dann müsste nicht darauf zu warten, dass das Molekül erst polarisiert wird. Aber woher bekommen wir so ein Br+? – Hier kommen die Lewis‐Säuren ins Spiel.

Halogenierung und die Bedeutung der Lewis‐Säuren


Betrachten Sie die Verbindung AlBr3: Zentralteilchen ist hier ein Alumininium‐Atom. Aluminium steht in der 3. Hauptgruppe (IIIA), also besitzt ein solches Atom »von sich aus« drei Valenzelektronen. (Tipp: Es ist äußerst hilfreich, das Periodensystem auswendig zu können, wenn man sich ausgiebiger mit Chemie befasst.) Jedes dieser drei Elektronen wird für eine kovalente Bindung genutzt, also ist das Aluminium‐Atom in AlBr3 dreibindig:

Ihnen ist gewiss schon aufgefallen, dass das Aluminium‐Atom hier nicht die Oktettregel erfüllt. Wenn Sie die Elektronen am Aluminium‐Atom zählen, kommen Sie auf insgesamt sechs. Das bedeutet, dass es an diesem Atom ein vakantes (leeres) Orbital gibt. Dieses vakante Orbital kann entsprechend Elektronen aufnehmen – tatsächlich »strebt« es das sogar an, denn so kann Aluminium die Oktettregel doch noch erfüllen:

Daher bezeichnet man Verbindungen wie AlBr3 als Lewis‐Säure: Sie übernehmen Elektronendichte von ihrem Reaktionspartner, fungieren also als Elektronenakzeptoren. Eine weitere in der Synthese sehr gebräuchliche Lewis‐Säure ist FeBr3:

Schauen wir uns nun an, was geschieht, wenn Br2 mit einer Lewis‐Säure behandelt wird. Die Lewis‐Säure kann Elektronendichte von Br2 übernehmen:

Der resultierende Komplex kann dann als Quelle für Br+ fungieren:

Vermutlich ist die Vorstellung, im Reaktionsgemisch würde ein echtes, freies Br+ herumschwimmen, nicht ganz korrekt. Vielmehr kann der im ersten Schritt entstehende Komplex ein Br+ auf ein angreifendes Nucleophil übertragen:

Wichtig ist hier, dass dieser Komplex sozusagen als Lieferant für Br+ dienen kann – und genau so etwas wird benötigt, um eine Reaktion zwischen Benzen und elementarem Brom zu erzwingen. Versuchen wir uns gleich erneut daran! Behandelt man Benzen in Gegenwart einer Lewis‐Säure wie AlBr3 mit Brom, lässt sich tatsächlich das Ablaufen einer Reaktion beobachten – aber eben NICHT die Reaktion, die wir eigentlich erwartet hatten. Schauen Sie sich das entstehende Produkt genau an:

Es erfolgt KEINE Addition, sondern vielmehr eine Substitution. Eines der aromatischen Wasserstoff‐Atome wird durch ein Brom‐Atom ersetzt. Da der Ring mit einem Elektrophil (Br+) wechselwirkt, spricht man von einer elektrophilen aromatischen Substitution (kurz: SEAr).

Wie diese Reaktion ablaufen kann, lässt sich mit dem zugehörigen Mechanismus gut nachvollziehen. Es ist unerlässlich, diesen Mechanismus zu verstehen, denn Sie werden schon bald bemerken, dass allen SEAr ein ganz ähnlicher Mechanismus zugrunde liegt. Der erste Schritt besteht darin, dass der aromatische Ring als Nucleophil den oben erwähnten Komplex angreift, wobei ein Br+ auf den aromatischen Ring übertragen wird:

Dabei entsteht eine nicht‐aromatische Zwischenstufe. Beachten Sie aber bitte, dass die Aromatizität nur vorübergehend verlorengeht: Im zweiten (und damit schon letzten Schritt) des Reaktionsmechanismus wird sie wiederhergestellt. Zunächst aber schauen wir uns den ersten Schritt noch etwas genauer an: Die Zwischenstufe, die durch elektrophile Übertragung von Br+ auf den aromatischen Ring entsteht, lässt sich durch drei wichtige Resonanzstrukturen/mesomere Grenzformeln beschreiben:

Warnung

Bitte rufen Sie sich noch einmal ins Gedächtnis zurück, welche Bedeutung diese Grenzformeln eigentlich haben: Resonanz bedeutet NICHT, ein Molekül wechsele willkürlich zwischen verschiedenen Zuständen hin und her. Die Bindungsverhältnisse sind nur ein wenig komplizierter, und deswegen lässt sich nicht »die eine richtige« Struktur angeben, in der sämtliche Eigenschaften der Zwischenstufe berücksichtigt wären. Wir müssen also mehrere Strukturformeln (eben die mesomeren Grenzformeln) aufstellen, und deren Verschmelzung vor unserem geistigen Auge gestattet uns dann, die Eigenschaften und das Verhalten derartiger Zwischenstufen deutlich besser zu erfassen. Natürlich wurden bereits Versuche unternommen, für derlei Zwischenstufen doch eine einzige, alles beschreibende Formel aufzustellen:

Derartige Abbildungen finden sich auch in vielen Lehrbüchern. Allerdings versuche ich derartige Formeln weitgehend zu vermeiden, weil sie zu der irrigen Annahme verleiten könnten, die positive Ladung sei gleichmäßig über fünf der sechs Ringglieder verteilt, und das ist nicht der Fall. Die positive Ladung konzentriert sich vor allem auf drei Ring‐Atome – schauen Sie sich die drei mesomeren Grenzformeln von oben noch einmal an, dann erkennen Sie das sehr deutlich.

Diese...

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