Letzter Applaus - Ein Altaussee-Krimi

Letzter Applaus - Ein Altaussee-Krimi

von: Herbert Dutzler

Haymon, 2015

ISBN: 9783709936429

Sprache: Deutsch

392 Seiten, Download: 14556 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Letzter Applaus - Ein Altaussee-Krimi



1


Auf diesen Einsatz hätte Gasperlmaier gern verzichtet. Zum einen, weil der ganze Wirbel ausgerechnet am Tag vor dem Beginn des Narzissenfestes stattfinden musste. Und zum anderen, weil er völlig gegen seine eigene Überzeugung handeln musste.

Es war wegen dem Trachtenparadies. Nicht, dass er an und für sich etwas gegen Trachten gehabt hätte, ganz im Gegenteil. Er trug seine Lederhose seit Jahrzehnten mit Stolz und Selbstverständlichkeit, wie auch seine Frau ihrer Arbeit als frisch gebackene Direk­torin der Altausseer Volksschule gewöhnlich im Dirndl nachging. Und jedes zweite Geschäft in Bad Aussee war ohnehin ein Trachtengeschäft, eine Lederhosenmacherei oder eine Stoffdruckerei. Daran lag es also nicht. Es lag nur an dem besonderen Trachtengeschäft, das heute eröffnet werden sollte. Das Trachtenparadies war nämlich kein alteingesessenes Geschäft, sondern eine Filiale einer Textilkette, die sich bereits über fast ganz Österreich und Bayern verbreitet hatte und Billigtrachten völlig unklarer Herkunft verkaufte. Gemunkelt wurde sogar, dass die angebotene Ware in Indien und Bangladesch gefertigt wurde. Aus billigem Ziegenleder sollten die Lederhosen sein, hörte man. Gasperlmaier hatte nichts, rein gar nichts, gegen die Inder an sich, und gegen die Ziegen schon gar nicht, aber dass im Ausseerland Lederhosen und Dirndl verkauft würden, die irgendeine bitterarme Näherin in einer Bruchbude am Brahmaputra zusammengestichelt hatte, das ließ ihn erschauern.

Und so hatte es natürlich, nachdem ruchbar geworden war, dass das Trachtenparadies eine Filiale in Bad Aussee eröffnen wollte, wütende Proteste aller Art gegeben. Ein Boykottaufruf in der Alpenpost war noch das Harmloseste gewesen. Etwas deutlicher war der Stammtisch geworden, sogar sein ehemaliger Postenkommandant, der Kahlß Friedrich. Der hatte hinter seinem Bier etwas von »Anzünden« und »Scheiben einschlagen« gemurmelt. Und darauf hingewiesen, dass er jetzt schließlich Zivilist sei und keine Uniform mehr trage, und als Pensionist könne er es sich jederzeit leisten, zivilen Ungehorsam in Betracht zu ziehen.

Warum er denn plötzlich so radikal sei, hatte Gasperlmaier gefragt. Er habe doch sonst nichts anderes im Sinn gehabt als seine Ruhe. »Eben!«, hatte der Friedrich gerufen und mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen. »Verstehst du denn nicht, dass es mit der Ruhe dann vorbei ist, wenn sich sogar hier die Großkonzerne mit ihrem Plastikgewand einnisten? Dann ist nämlich Feuer am Dach, wenn unsere Trachtenschneider in den Konkurs müssen!« So weit hatte Gasperlmaier selbst noch gar nicht gedacht. »Und wenn alles zugrunde geht, sperren auch noch die letzten Wirtshäuser zu!«, hatte der Friedrich gewettert. Damit hatte er Gasperlmaier völlig auf seine Seite gezogen. Er nickte ergeben.

Kurzum, für den Termin der Eröffnung des neuen Geschäfts in der Ischler Straße war gleichzeitig eine Protestkundgebung ebendort anberaumt worden. Die Straße hatte wegen des Menschenauflaufs vor dem Geschäftslokal bereits gesperrt werden müssen, und Gasperlmaier begab sich, zusammen mit der ­Manuela Reitmair, seiner Kollegin vom Posten in Altaussee, zum Ort des Geschehens, wo sie bereits von zwei Kollegen vom Bad Ausseer Polizeiposten erwarten wurden. »Dank schön, für die Verstärkung.« Der Grill Peter, einer der Kollegen, schüttelte ihnen die Hand. »Bis jetzt ist alles ruhig geblieben!« Gasperlmaier sondierte die Situation. Auf der einen Seite die Auslagenscheiben des Trachtenparadieses, mit großen Plakaten, die die heutige Neueröffnung in neonfarbenen Buchstaben auf schwarzem Grund ankündigten. Prosecco sollte es geben. Und Gutscheine sollten verschenkt und großzügige Rabatte gewährt werden. Gasperlmaier seufzte.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich bereits eine beträchtliche Anzahl Einheimischer versammelt, fast alle, wie er feststellte, in der Tracht und mit finsteren Gesichtern. Aber auch ein paar auffällig dünne Mädchen in Jeans und knappen Oberteilen fielen ihm auf. Gasperlmaier erschrak. Hatte man nicht in den letzten Monaten immer wieder von jungen Mädchen gehört, die sich mit entblößten Ober­körpern und Schriftzügen auf den Brüsten wütend protestierend den Ordnungskräften entgegengestellt hatten? Das fehlte hier gerade noch, dass sie halbnackte junge Frauen bändigen mussten. Gasperlmaier wandte sich ab. Vielleicht hatte ihm doch seine Phantasie einen Streich gespielt, und die Mädchen wollten bloß ein billiges Polyesterdirndl ergattern.

»Wenig los, da drinnen!« Die Manuela beschattete die Augen mit ihrer Hand und versuchte, durch die Auslagenscheibe zu spähen. »Da werden sie keine zweite Flasche Prosecco aufmachen müssen.« Plötzlich öffnete sich die Ladentür, und ein junger, dunkelhaariger Mann mit kantigen Gesichtszügen trat auf den Gehsteig. Er trug, wie Gasperlmaier feststellte, selbst das billige Trachtenimitat aus seinem Geschäft. In einer echten Ledernen, so dachte Gasperlmaier bei sich, hätte er vielleicht sogar ganz schneidig ausgesehen.

»Die Leute da sind geschäftsschädigend!« Der Mann deutete auf die Menge auf dem gegenüberliegenden Gehsteig. Ein kurzer Blick zeigte Gasperlmaier, dass sie sich noch einmal erheblich vergrößert hatte. Auch auf der Straße standen nun Menschen, sodass das Geschäft mehr oder weniger eingekesselt war, mit vier Beamten zwischen dem Eingang und der Menge. »Sorgen Sie dafür, dass die Straße frei wird und die Kunden ungehindert zu mir ins Geschäft kommen können?« Der Mann lächelte Gasperlmaier entgegen und schien, zumindest einstweilen noch, ziemlich gelassen. »Stern!« Er streckte Gasperlmaier die Hand hin. In einem Reflex ergriff der sie, um sie kräftig zu schütteln. Dumpfes Gemurmel und vereinzelte Buhrufe von der anderen Straßenseite waren die Folge. »Aha!«, schrie einer aus der Menge. »Die Polizei verbrüdert sich schon mit den Gaunern!« Das Geraune in der Menge schwoll an, doch der Kollege Grill schritt den Leuten mit erhobenen Armen entgegen. »Tut’s das doch nicht überbewerten, Leute! Wir verbrüdern uns mit gar niemandem! Wir haben nur dafür zu sorgen, dass hier das Gesetz eingehalten wird! Und euch bitt ich, von jeder Gewalt Abstand zu nehmen! Wenn wer in das Geschäft will, oder wieder heraus, dann dürft ihr mir keine Schwierigkeiten machen!« Gasperlmaier konnte nicht mehr tun, als zustimmend zu nicken. Die Buhrufe wurden weniger und verstummten schließlich. Dennoch war die Stimmung, so fand er, explosiv.

Der Herr Stern stand immer noch neben ihm und schien die Aufregung ohne jede Gefühlsregung hinzunehmen. »Das ist am Anfang oft einmal so«, sagte er. »Die Leute gewöhnen sich schon daran. Und den Touristen ist es eh wurscht, wo sie ihre Trachten kaufen.« Gasperlmaier schnaubte, hielt aber den Mund. Dafür ertönte ein Ruf aus der Menge: »Das ist doch keine Tracht, was ihr da verkauft, das sind doch bestenfalls Faschingskostüme! Eine Schande ist das!« Bravo-Rufe und Applaus unterstützten den jungen Mann mit Hut und Gamsbart, der kämpferisch die Faust hochreckte. Genau das hätte auch Gasperlmaier gesagt – wenn es ihm denn eingefallen wäre. Gerade in Stresssituationen fehlten ihm oft die richtigen Worte.

»Bravo! Zeigen wir’s denen!« Gasperlmaier fuhr herum. Die Stimme kam ihm bekannt vor. In der zweiten Reihe hinter den dünnen Jeans-Mädchen stand seine Tochter Katharina, die Faust emporgereckt. Ihn traf fast der Schlag. Was, wenn sich die Katharina hier vor den Leuten entblößen würde? Womöglich von einem Pressefotografen mit einem schwarzen Slogan auf der Brust abgelichtet werden würde? Auf der Titelseite der Schillingzeitung? Gasperlmaiers Magen zog sich zusammen, gleichzeitig befahl er sich, nicht hysterisch zu werden. Schließlich war die Katharina morgen im Finale bei der Wahl der Narzissenkönigin, und warum hätte sie die ganze Auswahlprozedur auf sich nehmen sollen, wenn sie hier heute alles aufs Spiel setzen wollte? Dennoch, sie hatte in letzter Zeit einen aus seiner Sicht etwas überzogenen Gerechtigkeitssinn entwickelt. Ständig wurde zu Hause über Tierrechte, über den übermäßigen Fleischkonsum ihrer Familie, und nicht zuletzt über den fairen Handel mit Textilien diskutiert. Gasperlmaier hätte es lieber gesehen, wenn sie für ihre bevorstehende Matura gelernt hätte. Er hatte schon eine regelrechte Aversion gegen die Wörter »Bio« und »Fair Trade« entwickelt. Jeder zweite Satz der Katharina fing, selbstverständlich in möglichst vorwurfsvollem Ton, damit an. So, als ob er persönlich hauptverantwortlich wäre für die Ausbeutung der Dritten Welt und die Schandtaten der Nahrungs­mittelindustrie.

Neben der Katharina stand eine dunkelhaarige, hagere Frau, die Gasperlmaier nicht kannte. Wegen ihrer Größe fiel sie ihm auf, sie überragte die Katharina um fast eine ganze Kopfeslänge. Ihre dunklen Augen schienen ihn zu fixieren, und um ihren Mund machte sich ein etwas hämischer Zug breit. Er wandte sich ab, stellte fest, dass er zu schwitzen begann, und nahm seine Dienstmütze ab. Der Kreis der Demonstranten um das Geschäftsportal schien enger zu werden. Plötzlich stürzten die dünnen Mädchen, die Gasperlmaier ohnehin schon die längste Zeit verdächtig vorgekommen waren, schreiend aus der Menge hervor, zogen Spraydosen aus ihren Handtaschen und versuchten, zwischen ihnen hindurch zu den Auslagenscheiben zu gelangen. Gasperlmaier erwischte eine von ihnen und fasste sie um die Mitte. Aus den Augenwinkeln...

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