Leaving Berlin - Spionagethriller

Leaving Berlin - Spionagethriller

von: Joseph Kanon

C. Bertelsmann, 2015

ISBN: 9783641166182

Sprache: Deutsch

448 Seiten, Download: 831 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Leaving Berlin - Spionagethriller



2





KULTURBUND

Der Empfang war auf vier Uhr anberaumt worden, die zeitige Stunde war, wie Martin erklärte, den Schwierigkeiten geschuldet, in der Dunkelheit nach Hause zu kommen. »Der Westen weigert sich, Kohlen an uns zu verkaufen, weshalb es notwendigerweise zu Engpässen kommt. – Und wir weigern uns, ihnen Nahrungsmittel zu verkaufen. – Weil sie sich weigern, uns Kohlen zu verkaufen.« Es war der alles erstickende Zirkelschluss, an den Alex sich von den Treffen in Brentwood erinnerte, bevor er beschloss, sie nicht mehr zu besuchen.

Doch selbst zu dieser Stunde war der Himmel bereits grau und voller Wolken, die Schnee versprachen. Ihr Weg führte sie durch beiseitegeräumten Schutt auf den Lichtschein zu, der durch die Fenster fiel. Der Kulturbund lag in der Jägerstraße, gleich neben der Friedrichstraße, und kam ihm auf einmal vertraut vor.

»Das ist ja der alte Klub von Berlin«, staunte Alex. Wo Fritz oft seine Nachmittage zugebracht hatte, mit einem Nickerchen nach einem Brandy.

»Das weiß ich nicht«, sagte Martin ein wenig pikiert. »Jetzt ist es der Kulturbund.« Das Einzige, was es für ihn je war.

»Die Nazis änderten den Namen. In ›Herrenklub‹, glaube ich, aber es waren dieselben Leute. Landbesitzer. Altes Geld. Schon komisch, dass das jetzt der Kulturbund ist.«

»Komisch?«

»Kultur war das Letzte, was sie im Sinn hatten.« Eingenickt über Papieren in der Bibliothek. Oder beim Kartenspiel in einem der Separees. Gegenseitige Einladung zu Drinks an der Bar, wo Fritz möglicherweise sogar die Vereinbarungen für die Gefälligkeit getroffen hatte, seinen Freikauf aus Oranienburg.

»Dann hat es doch was Gutes, oder? Ist besser jetzt.«

»Die Kellner trugen Frack, wie ich mich erinnere«, sagte Alex.

»Ja«, erwiderte Martin betreten.

»Noch immer?«, hakte Alex amüsiert nach. »Aha. Sozialistische Fräcke.«

Martin wandte sich ab, unsicher, was er antworten sollte.

Drinnen empfingen sie Gläserklirren und Stimmen, die im marmornen Treppenhaus nach unten schwebten.

»Ich dachte, wir sind früh dran«, meinte Alex und gab seinen Mantel ab.

»Alle sind ganz wild darauf, Sie kennenzulernen«, sagte Martin und ging voraus. »Goethe.« Er zeigte auf das Porträt über dem Treppenabsatz.

Oben wurden sie von einer Gruppe Männer in Empfang genommen, die am Revers alle einen Anstecker mit dem SED-Handschlag hatten.

»Welche Ehre. Sie hatten eine angenehme Reise?«

Eine höfliche Frage jagte die andere, bis alle sich zu einer vereinigten, dem üblichen offiziellen Willkommen. Alex nickte und lächelte, automatische Antworten. Keiner wusste etwas.

Es gab zwei Speiseräume, der eine hatte eine Walnussvertäfelung, und der andere, in dem sich alle versammelt hatten, war mit burgunderrotem Seidenbrokat ausgeschlagen. Die langen Tische für die Mitglieder hatte man an die Wand geschoben und darauf das Buffet angerichtet. Er lächelte in sich hinein. Bei allem Bestreben, ihn kennenzulernen, füllten sie doch bereits ihre Teller, das eifrige Nassauern auf jedem Empfang. Jemand reichte ihm ein Glas süßen Sekt. Der Raum wirkte vernachlässigt, die Messinggitter waren stumpf und die Teppiche abgetragen, aber ansonsten war er so, wie er ihn in Erinnerung hatte, Plüschmöbel und schwere Vorhänge, wie ein Raum des Hauses der von Bernuths. War sie bereits hier?

»Nun, mein Freund. Ruth erzählte mir, sie habe dich gesehen.« Brecht, der ihn am Arm packte, als er ihm die Hand schüttelte, mit dem glimmenden Zigarrenstummel im Mund.

»Ja, ist sie hier?«

»Sie ist immer noch in Leipzig. Diese kleinen Reisen liebt sie. Ich sagte, schick einen Brief. Aber nein, Ruth … Dann bist du also hier. Alle kleinen Vögel kehren ins Nest zurück. Aber Feuchtwanger war traurig, dich gehen zu sehen, oder? Der ist immer traurig, aber er bleibt. Wie ist es denn jetzt dort?«

»Noch immer warm und sonnig.«

Brecht zuckte die Achseln. »Sonnig also. Aber jetzt sind alle hier. Sprechen wieder Deutsch.« Er zeigte mit weit ausholender Geste in den Raum, und wie zur Antwort schwollen die Stimmen an, brachen sich an ihnen, das angenehme Gebrabbel der eigenen Sprache. »Das hat Seele, man kann es spüren.«

»Wie ich höre, bekommst du ein Theater.« Schlafwandlerische Konversation. Hatten die britischen Soldaten was gesehen?

Wieder ein Achselzucken. »Auf der Straße kommen die Leute auf dich zu. Sie wissen, wer du bist. Wer kennt einen schon in Kalifornien? Es ist schmeichelhaft. Und die Arbeit, die uns jetzt wieder möglich ist. Keinen Quatsch mehr für irgendein Studio. Warte, bis du Helene gesehen hast. Umwerfend. Du bist auch im Adlon untergebracht, sagte Ruth? Es ist angenehm dort. Besser als in einem Haus, solange das so weitergeht.« Ein Finger zeigte zur Decke, auf die nicht zu sehende Flugzeugflotte. »Sie wollen uns keine Kohlen verkaufen, also ist es ein Problem.« Martins Erklärung, was alle wussten.

Alex warf einen Blick über Brechts Schulter. Der Raum füllte sich, Männer in alten Anzügen und Frauen, ungeschminkt, in Wollröcken und dünnen formlosen Strickjacken.

»Weißt du, wer auch hier ist? Zweig. Bald sind alle da. Außer dem heiligen Thomas vermutlich. Die bürgerlichen Annehmlichkeiten sind ihm doch sehr wichtig. Eine Biedermeierseele, unser Herr Mann. Biedermeierprosa ebenso«, sagte er mit einem kleinen amüsierten Augenzwinkern. »Ein dick gepolstertes Sofa mit Quasten. In seinem Fall ist die Schweiz womöglich der bessere Ort.«

»Warum sollte er woandershin gehen?«

»Er kann nicht dort bleiben. Es fängt schon wieder an. Ob er glaubt, dass der Nobelpreis ihn beschützt? Nicht, wenn sie … Nun, du kennst das. Wer wüsste es besser? Ich gratuliere dir übrigens. Ich wusste nicht – verzeih mir –, dass du so starke …« Er hielt inne und musterte Alex. »Ein tiefes Wasser. Die ganze Zeit – ich wusste nicht mal, dass du in der Partei bist.«

»Bin ich auch nicht. Andere Leute waren das schon. Aber das war ihre Sache. Die meisten sind ohnehin weggegangen. Nach 39.«

Brecht sah sich um, zögerte. »Ja, diese Zeiten. Dafür hat man hier nicht so viel Verständnis. Wie die Leute sich gefühlt haben. Für sie, weißt du, war es eine Art von Abtrünnigkeit. Nicht der Parteilinie zu folgen.«

»Und nett zu Hitler zu sein. Aber Stalin wusste natürlich die ganze Zeit über, was er tat.«

Ein warnendes Flattern im Blick, dann der Anflug eines Lächelns, das er sich nicht verkneifen konnte. »Für gewöhnlich tat er das«, sagte Brecht, ein ungezogener Junge. Er sah Alex an. »Sie werden dich auffordern, jetzt einzutreten. Erzähl ihnen einfach, du hast es nicht so mit Parteien. Mit Organisationen. Ein Schriftsteller arbeitet für sich allein.«

»Waren das auch deine Worte?«

»Das Zusammenleben mit Helene kostet mich schon genug Disziplin«, sagte er und fuchtelte dabei mit der Zigarre, dann senkte er die Stimme. »Dann bist du nicht verpflichtet … zu tun, was sie sagen. Bist ein wenig unabhängiger. Sie müssen mit dir zusammenarbeiten. Geben und nehmen. Und das werden sie auch. Das hier ist ein Neuanfang.« Er deutete mit dem Kopf nach Westen. »Da drüben machen sie so weiter wie bisher. Da ändert sich nichts. Nazis. Den Amerikanern ist das egal, solange es keine Kommunisten sind. Das ist wie beim Komitee. Aber hier gibt es eine Chance.« Glaubte daran wie Martin. »Aber zuerst kommt das Brot. Bringen sie deine Bücher neu heraus?«

Alex nickte. »Alle. Selbst Notizen im Exil. Beiträge.«

»Sorg dafür, dass sie zahlen. Leisten können sie es sich. Sie bekommen Zuschüsse. Kultur hat für die Russen einen hohen Stellenwert. Kohlen eher weniger«, sagte er mit einem weiteren ironischen Achselzucken. »Hast du Dymschiz bereits kennengelernt?«

»Noch nicht.«

»Ein Liebhaber deutscher Literatur – deklamiert Goethe auswendig. Da ist er, Sascha«, sagte er und ging auf einen schlanken Mann mit dunklen Haaren und Brille zu, die Augen dahinter leicht wässrig. »Darf ich Ihnen unseren Ehrengast vorstellen, Major Dymschiz?«

»Ich freue mich ja so«, sagte dieser und ergriff Alex’ Hand. Ein weiteres Gesicht auf dem Empfang, gelehrt, ein erwartungsvolles Lächeln. »Willkommen.«

»Wie ich höre, habe ich mein Hiersein Ihnen zu verdanken.«

»Ihr Talent führt Sie hierher«, sagte er mit großer Geste, sein Deutsch präzise, aber mit Akzent.

Alex nickte abwehrend. »Besten Dank jedenfalls. Und auch für diesen Empfang. So viele …«

»Mein Rat wäre, dass Sie sich am Schinken bedienen. Der ist immer als Erstes weg.« Ein höflicher Scherz, begleitet von einem Lächeln. »Künstler sind doch offenbar immer hungrig. Es gibt so vieles, was ich Sie fragen möchte. Die Szene in Der letzte Zaun, als der Rock am Stacheldraht hängen bleibt … Vielleicht treffen wir uns mal zum Mittagessen, wäre Ihnen das recht?«

»Natürlich«, sagte Alex. So einfach. Genau, wie Willy gehofft hatte. Als das noch alles war, was sie von ihm wollten.

Noch immer strömten Leute herein, mehr Männer als Frauen, keine mit ihren blonden Haaren. Sie würde auch nicht im Hintergrund bleiben, sie würde direkt auf ihn zugehen. Beinahe Familie. Wie sie wohl aussah? Fünfzehn Jahre.

»Das ist Ihr Verleger«, sagte Dymschiz. »Aaron Stein. Aaron wird sich beim Aufbau Verlag um Sie kümmern.«

»Es ist mir eine Ehre«, sagte Stein und verneigte sich, eine jüngere Version von Dymschiz, die gleiche Brille und...

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