Inselfeuer - Kriminalroman

Inselfeuer - Kriminalroman

von: Maren Schwarz

Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN: 9783839247440

Sprache: Deutsch

248 Seiten, Download: 2660 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Inselfeuer - Kriminalroman



2. Kapitel


»Wer einmal auf Rügen war, kommt immer wieder.« Es war lange her, dass Henning Lüders diesen Satz gesagt hatte. Damals hatte Leona Pirell ihn dafür belächelt und in Gedanken einen sentimentalen Narren gescholten. Doch inzwischen war viel geschehen, und sie musste ihm recht geben. Überhaupt gab es kaum einen Tag, an dem sie nicht an ihn dachte. Wie aufs Stichwort stand ihr jene Szene vor Augen, in der ihr sein Anwalt eröffnet hatte, dass Henning sie in seinem Testament zu seiner Alleinerbin bestimmt hatte. Leona hatte sich entscheiden müssen: Sollte sie das Erbe annehmen? Die Antwort auf diese Frage hatte sie einige schlaflose Nächte gekostet. Am Ende hatte sie ihre Entscheidung von der Stelle abhängig gemacht, die ihr in der Greifswalder Rechtsmedizin in Aussicht gestellt worden war. Leona hatte sich schon vor dem Erbe dafür beworben, nachdem festgestanden hatte, dass das Institut in Chemnitz, wo sie bislang arbeitete, zum Jahresende geschlossen wurde. Als sie mit Henning über ihre Pläne gesprochen hatte, war er davon angetan gewesen. So angetan, dass er ihr spontan vorgeschlagen hatte, bei ihm zu wohnen. Obwohl Leona sein Angebot zu schätzen gewusst hatte, hatte sie nichts überstürzen wollen.

Immerhin waren es von Lobbe, wo Hennings Haus stand, bis nach Greifswald fast 90 Kilometer. Einmal hin und zurück bedeuteten dreieinhalb bis vier Stunden Fahrzeit. Und das auch nur, wenn es keinen Stau gab. Sollte sie sich das wirklich antun? Doch dann war Henning überraschend gestorben und Leona hatte sich zum Bleiben entschlossen. Vielleicht fand sie in seinem Haus die nötige Ruhe und Distanz für einen Neuanfang.

Obwohl seit dem Tod ihres Lebensgefährten Rüdiger mehrere Jahre ins Land gezogen waren, hatte sie noch immer nicht mit der Vergangenheit abschließen können. Henning hatte zu den wenigen Menschen gehört, denen sie bedingungslos vertraute. Mit ihm hatte sie über Dinge sprechen können, über die sie mit keinem anderen Menschen redete. Leona kannte niemanden sonst, der so gut zuzuhören und Trost zu spenden verstand. Jetzt gab es niemanden mehr, der sie väterlich in den Arm nahm. Auf jene unnachahmliche Art, mit der es Henning gelungen war, ihr alle Zweifel und Ängste zu nehmen. Bei ihm hatte sie sich geborgen gefühlt. Umso größer war die Leere, die sie nach seinem Tod umfing. Statt sich damit auseinanderzusetzen, hatte Leona sich in die Arbeit gestürzt. Es war ihre Art mit Trauer umzugehen. Als Rüdiger an einem Gehirntumor gestorben war, war es auch die Arbeit gewesen, die sie davor bewahrt hatte, den Verstand zu verlieren. Außerdem bot die Insel die idealen Voraussetzungen, um ihr Hobby, das Wandern, wieder aufzunehmen. Fast jedes freie Wochenende schnürte Leona ihre Wanderstiefel und streifte durch die Zicker Alpen. Ab und zu nahm sie Rex mit auf ihre Streifzüge. Der Dackel, den Henning einst von seinem Patenonkel übernommen hatte, lebte seit dessen Tod bei Wilhelm Boström, einem Freund der Familie.

Leona liebte es, sich den Seewind um die Nase wehen zu lassen, und sie war fasziniert von der Weite der Landschaft. Besonders gut gefiel ihr die fantastische Aussicht. Der Lotsenberg in Thiessow mit seinem Turm bot einen beeindruckenden Blick über die Halbinsel Mönchgut und die Boddengewässer, bis hin zu den Inseln Ruden und Oie. Jedes Mal, wenn sie den 36 Meter hohen Aussichtspunkt erklommen hatte, war ihr, als würde sämtlicher Druck von ihrer Seele genommen. Manchmal starrte Leona stundenlang aufs Meer hinaus. So lange, bis sie mit sich und der Welt wieder in Einklang war.

Trotz aller guten Vorsätze zehrte die ständige Pendelei an ihren Kräften. Um dem entgegenzuwirken, beschloss sie sich in Greifswald nach einer Bleibe umzusehen. Auf Anraten ihres Chefs suchte Leona einen Immobilienmakler auf. Es kostete ihn zwar Zeit und Mühe, bis er etwas Passendes fand, doch der Aufwand lohnte sich. Das von ihm vermittelte Zimmer lag in der Brüggstraße, gegenüber der Marienkirche. Von dort aus waren es zu Fuß knapp zehn Minuten bis zur Rechtsmedizin.

Am vergangenen Freitag hatte Leona ihr neues Domizil bezogen und das Wochenende in der Hansestadt verbracht. Jedes Mal, wenn sie von ihrem Fenster aus auf die ziegelroten Dächer der Altstadt sah, musste sie an den Ausblick denken, der sich ihr von der Aussichtsplattform des im Volksmund als langer Nikolaus bekannten Doms dargeboten hatte: an all die Ulmen und Kastanien, die die Greifswalder Altstadt wie ein breites grünes Band umschlossen. Und an die beeindruckende Sicht, die sich ihr von dort oben über den Bodden bis nach Rügen und Usedom erschlossen hatte. Leona hatte über die vielen, in den engen Straßen dicht aneinandergedrängten Giebelhäuser aus der Hansezeit gestaunt. Und über all das Fachwerk und die bunten Barockfassaden, die nach der Wende aufs Feinste saniert worden waren. Genauso wie das Haus in der Langen Straße 57, in dem Caspar David Friedrich einst als Sohn eines Seifensieders und Lichtgießers das Licht der Welt erblickte.

Als Leona am Montagmorgen das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, wehte ein stürmischer Wind, der sie trotz ihrer dick gefütterten Jacke frösteln ließ. Das Institut für Rechtsmedizin befand sich auf dem Gelände des Ernst-Moritz-Arndt-Klinikums. Während Leona in die Friedrich-Loeffler-Straße einbog, atmete sie die salzige Luft in tiefen Zügen ein. Am liebsten hätte sie sich einen Vorrat davon angelegt, um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können. All die Jahre, die sie als Rechtsmedizinerin arbeitete, hatten sie nicht immun gegen den Geruch werden lassen, der sie empfing, wenn sie den Autopsiesaal betrat. Vielleicht sollte sie es wie in den Fernsehkrimis machen und sich Pfefferminzpaste unter die Nase schmieren. Schade, dass dieses sogenannte Wundermittel in der Realität gar nicht funktionierte. In Wahrheit gab es keinen wirksamen Schutz. Aber so war das in ihrem Job. Zimperlich durfte man da nicht sein.

Inzwischen war Leona auf dem Klinikgelände angekommen. Sie überquerte den Innenhof, um zur Kopfseite des wuchtigen Backsteingebäudes zu gelangen, in dem das Institut für Pathologie untergebracht war. Bevor sie es betrat, ließ sie ihren Blick über die Fassade mit ihren unterhalb der Fenster angebrachten Ornamenten wandern. Dem im Stil der italienischen Frührenaissance errichteten Gebäude war anzusehen, dass es vor nicht allzu langer Zeit komplett renoviert worden war. Schwungvoll öffnete Leona die massive Eingangstür. Nachdem sie das Vestibül, das mit einem Schachbrettmuster aus schwarzen und weißen Fliesen ausgelegt war, durchquert hatte, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Büro. Es befand sich im Kellergeschoss und lag am Ende eines weiß gefliesten Ganges. Eigentlich verdiente der fensterlose Raum die Bezeichnung »Büro« nicht. Ein Schreibtisch und zwei Stühle bildeten das gesamte Mobiliar. Auf dem Fußboden neben dem Heizkörper stapelten sich mehrere Kartons mit Zeitschriften und Büchern. Obwohl Leona den Raum schon vor längerer Zeit bezogen hatte, war sie noch nicht dazu gekommen, sie in das Regal einzusortieren, das hinter ihrem Schreibtisch in die Wand eingelassen worden war. Vielleicht würde sie im Lauf der Woche Zeit finden. Ein lautes Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Auf ihr »Herein« stürmte Peer Boström ins Zimmer. Er arbeitete bei der Polizei in Bergen und war ihr über die Jahre zu einem guten Freund geworden. Der frühen Zeit und seiner ernsten Miene nach zu urteilen, musste es um etwas Dienstliches gehen.

Peers Haare waren vom Wind zerzaust, und er sah mitgenommen aus. Einen halben Meter vor Leona stoppte er und stieß erleichtert die Luft aus. »Da bist du ja«, sagte er statt einer Begrüßung. »Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht.« Er neigte den Kopf und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Wo bist du gewesen? Ich konnte dich nicht erreichen. Du warst weder zu Hause noch auf Arbeit.« Seine Stimme klang besorgt. Gleichzeitig schwang ein leiser Tadel mit.

Leona sah ihn erstaunt an. »Wieso? Was ist los?«

»Was los ist?« Peer kratzte sich am Kinn. Er wirkte irritiert. »Hast du es denn noch nicht gehört?«

»Was?«

»Na, dass es heute Nacht bei uns in Lobbe gebrannt hat. Das ganze Dorf stand Kopf, kann ich dir sagen. Zuerst dachte ich …«

»Es hat gebrannt?«, unterbrach Leona ihn alarmiert. »Davon hab ich nichts mitbekommen. Bei wem?«

»Bei deinen Nachbarn, den Zwills«, antwortete Peer. Er musterte sie nachdenklich. »Es wundert mich, dass du nichts davon wusstest.«

»Woher sollte ich? Ich war übers Wochenende in Greifswald.« Plötzlich hielt Leona verlegen inne. Schließlich konnte Peer nicht wissen, dass sie sich einen Zweitwohnsitz zugelegt hatte. »Es tut mir leid«, begann sie reumütig, »ich hätte dir sagen sollen, dass ich mir ein Zimmer genommen habe.«

»Du hast was?«, schnaubte Peer aufgebracht. »Ich meine, wieso …?«

»Weil das ständige Hin und Her auf Dauer ganz schön schlaucht.« Wie um ihre Worte zu bekräftigen, fuhr Leona sich mit einer erschöpften Geste über die Augen. »Ich habe schon seit einiger Zeit mit diesem Gedanken gespielt.«

»Du hättest mir Bescheid sagen können.«

»Wollte ich ja, aber dann …«

»Lass gut sein«, wiegelte Peer ab. »Es geht mich im Grunde genommen nichts an, wo und mit wem du deine Zeit verbringst. Es ist nur, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Immerhin ist bei dem Feuer ein Mensch ums Leben gekommen.«

»Was sagst du da?« Aus Leonas Gesicht war sämtliche Farbe gewichen. »Wer?« Sie ließ sich hinter ihrem von Akten übersäten Schreibtisch nieder und bedeutete Peer, es ihr gleichzutun. Nachdem er seinen...

Kategorien

Service

Info/Kontakt