Madame Stern

Madame Stern

von: Peter Rosei

Residenz Verlag, 2015

ISBN: 9783701745166

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 1113 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Madame Stern



VORSPIEL


1. Wie es dazu kam, dass Johann Josef Maiernigg, Vater des nachmalig berühmten Ministers, in die Elektrobranche, in den Handel mit Elektro- und Haushaltsgeräten, einstieg, müssen wir hier offenlassen. Die Ägide liegt zu lange zurück, und fest steht nur eines: Der Mann hatte sich nicht von Anfang an in dieser Branche betätigt, im Gegenteil, viele Jahre war er als Handelsvertreter für eine in Villach ansässige Süßwarenfabrik unterwegs gewesen.

Johann Josef Maiernigg war Dilettant, was sein späteres Wirkungsgebiet anging.

Wie gut erinnerte sich der Sohn, Kurt, denn auch später noch, als er längst ein Mann von Namen und Einfluss war, der Erzählungen des Vaters: »Was glaubst, wie brav ich neben der Budel hab’ warten müssen, in diesen Klitschen, bis der Herr Greißler seine Kundschaft erst einmal abgefertigt hat? Was da nicht getratscht und Leute ausgerichtet wurde! Ich war ja ein Mensch zweiter Klasse, ich wollte nichts kaufen, sondern etwas loswerden.«

In den Erzählungen des Vaters spielten endlose Autofahrten bei Glatteis eine wichtige Rolle, Auseinandersetzungen um die Provision nahmen breiten Raum ein – »Der Außendienstler ist der Busenfeind des Innendienstlers!« –, trostloses Warten auf Bummelzüge in verlassenen Haltestellen, aber auch flott eingefädelte Nebengeschäfte mit Werbekugelschreibern und Abreißkalendern zum Jahreswechsel kamen vor. Vater Maiernigg gefiel sich darin, sich als Verlierer hinzustellen, aber nur zu dem Zweck, um seinen Endsieg über die Verhältnisse dann noch strahlender und großartiger erscheinen zu lassen.

Das Leben wurde leichter, als er sich entschloss, in Klagenfurt, Provinzhauptstadt und Verwaltungsmittelpunkt, einen Laden für Haushaltsbedarf zu eröffnen.

Er fing mit Nudelwalkern an, mit Sieben, Besteck und Faschiermaschinen, mit Gläsern zum Einrexen von Obst und Gemüse, mit Schneebesen. Bald aber wurden elektrische Geräte, die damals im Aufkommen waren, zum Schwerpunkt: Mixer, Staubsauger und Waschmaschinen bildeten die Vorhut jenes Siegeszuges, der dann mit dem Fernseher, unabdingbar für jeden anständigen Haushalt, seinen vorläufigen Höhepunkt finden sollte.

Naturgemäß sah Johann Josef Maiernigg sich bald ständig wachsender Konkurrenz ausgesetzt, war er doch nicht der Einzige, der begriff, was noch kommen sollte. Er war aber der Einzige, der entschlossen und angemessen auf die Lage reagierte.

Bald konnte man landauf, landab an jeder Hausmauer, auf jedem einsam dastehenden Heustadel seine marktschreierischen, mit klobigen Lettern bedruckten Plakate lesen: MAIERNIGG, DER PREISSCHRECK.

Das Programm wurde zum Begriff: radikale Verbilligung des Angebots, laufend Sonderaktionen, dazu Ratenkauf, wo nur wenig Bares vorhanden war. »Der kluge Mann weiß, wofür er Schulden macht!« Die Geschäfte zogen rasch an, die Lager füllten und leerten sich, füllten und leerten sich, nach dem Gesetz einer Dünung, dem Gesetz von Ebbe und Flut.

Kurt, der Sohn, wurde erst in jene Spätzeit hineingeboren, als sich ein Ende des väterlichen Triumphzuges schon abzuzeichnen begann: Anbieter aus Deutschland und Italien hatten den Billigsektor für sich entdeckt und fingen an, ihr Angebot preisgünstiger auch in den entlegensten Markt noch hineinzudrücken. Die aufkommende Motorisierung begünstigte die Errichtung von Einkaufszentren. Bald wurden gewaltige Hallen ins Umland der Städte gestellt, die Ware wurde nicht länger an die Konsumenten herangekarrt, umgekehrt kamen sie selbst. Es war genau die Ära, als für viele Familien die Wochenendfahrten in irgendwelche Einkaufswelten zur Pflicht wurden, vergleichbar nur der früheren Gewohnheit, zur Kirche zu gehen. Dort ließen sie ihr Geld.

Johann Josef Maiernigg war der Entwicklung insofern um die berühmte Nasenlänge voraus, als er begann, sein Kapital in Immobilien umzuschichten. Der Hunger der in den Markt drängenden Kettenläden nach geeigneten Grundstücken war groß. Dörfer und Städte wuchsen. Es kam nur darauf an, geeignete Grundstücke schon vorher in die Hand zu bekommen. Bald darauf konnte man sie mit sattem Gewinn wieder weiterverkaufen.

Maiernigg wandte sich solcherart, könnte man sagen, von den Dingen, die real und greifbar sind, immer mehr ab. Er orientierte sich zum Handel mit Aussichten hin, zum Geschäft mit Versprechen und Hoffnungen, mit der bloßen Möglichkeit auf Erfolg.

»Sieht nicht übel aus«, sagte er nebenher zum Sohn. Von klein auf nahm er den, wenn es sich nur irgendwie einrichten ließ, auf seine Besichtigungsfahrten mit. Der Alte im herkömmlichen Trachtenanzug, den er sein Leben lang nicht ablegen sollte, mit gesticktem Wams und grobem Schuhwerk, der Kleine fein und städtisch herausgeputzt neben ihm: Der Vater wies durch die Frontscheibe des großen Wagens, den er sich zugelegt hatte, etwa auf eine verrottende Wiese hin, irgendwo am Stadtrand, in der Bahnhofsgegend, bei den Müllhalden, hinter denen, gleichsam als letzte Begrenzung, die Ruinen von vor Zeiten bankrott gegangenen Fabriken und Gewerbebetrieben vor sich hinwesten.

»War einmal ein toller Laden«, bemerkte er, auf die schief und zerbrochen in den Himmel ragenden Dächer deutend, zu den löchrig dastehenden Mauern.

Vor der guten, alten Zeit, in der noch mit den Händen gearbeitet wurde, empfand der Alte den herzlichsten Respekt, der ihn aber nicht daran hinderte, entschlossen an ihrer Demolierung und Umwertung mitzuwirken.

»Die meisten sind doch nur Trottel, Falotten und Idioten«, erklärte er beiläufig dem Kind, »Gescheite gibt’s halt nur wenige auf der Welt.«

Er konnte rücksichtslos sein, der alte Maiernigg. Wenn er auch, seiner festen Überzeugung nach jedenfalls, doch ein guter Mensch war, zumindest ein ehrlicher Kaufmann.

»Pass auf! Sei vorsichtig! Wenn die ganze Bagage im Grund auch keinen Pfifferling wert ist.«

Abseits der Geschäfte war der Alte mürrisch und verdrossen. Hatte keine Freunde, kaum Umgang. Das meiste behielt er für sich.

Lichtblick in der Welt des kleinen Kurt war folgerichtig die Mama, eine noch junge Frau, eine der Tippsen aus der Firma, die Maiernigg, man muss es so sagen, sich kurzerhand ausgesucht hatte. Nein, er hielt sie nicht knapp, seine Gattin, er beschenkte sie reichlich, putzte sie heraus. Er sah ihr allerhand nach, wenn sie Dummheiten machte, wie er es nannte, also Geld verschwendete oder den Sohn, das gemeinsame Kind, verzärtelte. Er schüttelte dann bloß den Kopf, wandte sich fort und wieder seinen Geschäften zu.

Der kleine Kurt war ein aufgewecktes Kind.

»Wie merkt man denn, dass eine Chance eine Chance ist?«

»Indem man zugreift.«

Die Erläuterungen des Alten waren kurz und bündig. Gelegentlich fragte er nach und lachte über die Antworten des Kindes. Seine Lehren ausführlich zu erörtern oder gar ihnen zu widersprechen, war unausdenkbar. Wie gebannt saß der Junge da, froh darüber, überhaupt dabei sein zu dürfen. Natürlich, er wollte sich die Zuneigung des Vaters erhalten und sichern. Er schwieg also und passte auf. Es wäre daher nicht ganz falsch zu behaupten, dass der Alte dem Sohn auf seine Art einen Grundkurs in angewandter Lebensweisheit zukommen ließ, was er eben für derlei Weisheiten hielt.

Von Zeitungsfetzen und zerbrochenem Glas gesprenkelte Felder an Bahndämmen entlang, versumpfte Wiesen an Flüssen oder Bächen, von Lärm und Dreck überstaubte Areale an Autobahnen, heruntergewohnte Stadtviertel, dort lagen die Hoffnungsgebiete des alten Maiernigg, dort machte er sein Geschäft.

Tat sich in der Seele des Jungen ein Zwiespalt auf? Widerstrebte da etwas? Hatte der Alte vielleicht doch nicht immer recht? Äußerlich war von solchen Einwänden oder Bedenken nichts zu bemerken.

Je älter er wurde, desto verstockter und stiller, ja ganz und gar unzugänglich und unbelehrbar wurde der Alte. Zum Glück schlug ihm sein Erfolg jedenfalls nicht aus. In der Firma gefürchtet, wenn auch respektiert und angehimmelt, war er im Grund genommen vollkommen allein. Seine Frau ließ er nur im Bett noch gelegentlich an sich heran, im Übrigen kam sie bloß noch randweise oder anekdotisch in seinem Leben vor. Meist war sie ihm Ärgernis, mit ihrem Geplapper, ihrem Fimmel nach Mode, Zerstreuung und Gesellschaft. – »Wozu gibt’s überhaupt Weiber auf dieser Welt?« – Da lachte er. Zwar soff er nicht, wie gelegentlich und bösartigerweise behauptet wurde. Die angelebte Sparsamkeit, sein Geiz, wurde dadurch nur schlimmer. Neider gab es genug, Feinde zuhauf: So konnte er sich laufend bestätigen, was ohnehin Überzeugung bei ihm war.

Was Kurt anging, machte er wohl eine Ausnahme, eine große sogar: Er sah den Jungen gern. Beim gemeinsamen Abendessen, wenn es denn einmal dazu kam, der Alte war jetzt viel unterwegs, im ganzen Land, nach Wien hinaus, nach Italien, nach Ungarn, beim Essen nahm er den Sohn manchmal...

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