Sturmland - Die Reiter

Sturmland - Die Reiter

von: Mats Wahl

Carl Hanser Verlag München, 2016

ISBN: 9783446251946

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 3596 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sturmland - Die Reiter



3


Das Wohnhaus ist aus Beton gebaut und keine drei Meter hoch. Das Stahldach ist leicht gen Süden geneigt und mit flachen Solarzellen belegt.

Hinter dem Wohnhaus befindet sich das Tierhaus, auch das ist mit Stahldach und Solarzellen ausgestattet.

Es sind zehn Meter zwischen den Häusern und man kommt vom einen zum anderen über einen Gang, der von einem Stacheldrahtzaun eingefasst ist. Der Gang ist mit einem pappengedeckten Dach aus Halbzollbrettern überbaut.

Auf dem Tierhaus ist das Windrad an einem fünfzehn Meter hohen Fachwerkmast montiert. Das Dach des Tierhauses ist mit Stacheldrahtrollen eingefasst. Wer sich einen Weg zum Windrad bahnen will und nicht den Weg durch die Luke im Dach des Tierhauses nimmt, ist gezwungen, sich durch den Stacheldraht zu schneiden.

Um das Haus herum ist der Wald verwüstet und in sich zusammengefallen.

Die einzigen Bäume, die nicht umgestürzt sind, wachsen am Nordabhang auf dem Hügel einen Kilometer südlich. Da, wo der Sturm den Wald entwurzelt hat, hat man Fichten gepflanzt. Zwischen den gefällten Bäumen wurde nur teilweise gerodet und die halbmeterhohen Bäume leuchten wie grüne Lichter auf das graubraune Gehölz. Doch die Waldtiere spielen den kleinen Fichten übel mit.

Mithilfe von lichtempfindlichen Kameras sieht man vom Haus gut fünfhundert Meter in alle Richtungen, auch wenn es dunkel ist. Vögel, Hasen und Füchse lösen den Alarm nicht aus, aber Rehe und Hirsche, Elche und Wildscheine schon. Und Menschen.

Mitten am Tag sitzt die Familie am Küchentisch und isst. Das hochaufgelöste Bild, das eine ganze Wand bedeckt, zeigt, was die Kameras aufzeichnen. In der oberen rechten Ecke ist die Entfernung angegeben: 492 Meter, darunter die Richtung mit 187 Grad und die Geschwindigkeit mit 8 Kilometern pro Stunde.

Die Kamera wechselt zwischen drei Auflösungen. Vollbild, Nahaufnahme und extreme Nahaufnahme. Jede wird vier Sekunden lang gezeigt.

Die ganze Familie wendet sich zur Wand, die Hunde wittern etwas und knurren. Der Alte sucht seine Brille.

»Erkennst du, wer da kommt, Gunnar?«

Der großgewachsene Mann legt die Gabel hin.

»Torsons«, murmelt er.

Der Alte fischt die Brille aus der Brusttasche seines Hemds.

»Was wollen sie? Ist das die Folge des Streits im Gemeinderat?«

»Immer Ärger mit Björn Torson«, seufzt Gunnar und erhebt sich, geht zur Wand neben der Eingangstür und fängt den Blick des Alten auf.

»Nicht unwahrscheinlich, dass es etwas damit zu tun hat. Sie sehen streitlustig aus. Du, geh raus zu ihnen.«

Gunnar zieht einen halbmeterhohen Schemel hervor, stellt ihn neben die Tür und klettert hoch. Unter dem Dach öffnet er eine Luke, die einen halben Meter lang und zwanzig Zentimeter hoch ist. Sie befindet sich längs der Traufe innerhalb der Tür und bildet den nach Süden gerichteten Ausguck.

»Soll ich die Fensterläden schließen?«, überlegt der Junge, der auch aufgestanden und zum Fenster gegangen ist.

»Das ist nicht nötig«, meint Gunnar, spannt die Armbrust und legt einen Bolzen vor die Sehne.

Auf dem Bildschirm sieht man, wie sich die Reiter nähern. Die Richtung ist immer noch 187 Grad. Der Abstand 260 Meter.

Der Alte nimmt sich eine mit Lammfell gefütterte Jacke, knöpft sie zu, öffnet die schwere Tür und geht hinaus auf den Hof und wartet, die Arme über der Brust verschränkt.

Hinter ihm ist die mit Rostschutzfarbe gestrichene Tür geschlossen worden. Es stürmt so, dass seine weißen Haare aufrecht stehen.

Drinnen bellen die Hunde.

Der Junge mit dem tätowierten Bein ist auch zur Tür gegangen und hat sich einen Gürtel mit Bolzen umgelegt. Er nimmt eine Armbrust von der Wandhalterung und spannt die Sehne mit dem Zughaken ebenso wie Elin.

Die vier Reiter kommen vor dem Alten zum Stehen.

»He, du Frans!«, grüßt der erste und das Pferd schüttelt den Kopf. Es stürmt heftig und das Pferd hat etwas ins rechte Auge bekommen. Es zittert, schüttelt den großen Kopf und scharrt mit einem Huf. Es ist ein Wallach mit einem Fleck wie ein Stückchen Kreide zwischen den Augen. Ansonsten ist das Tier kakaobraun.

Der Weißhaarige hebt eine Hand.

»Friede, Björn. Die Familie macht einen Ausflug, wie ich sehe.«

Der Alte streift mit einem Blick die anderen Reiter und Björn Torson entblößt seine schlechten Zähne. Die Lippen sind dunkel, als hätte er Blaubeeren gegessen.

»Man geht nicht gerne alleine raus in diesen Zeiten. Die Borlänge-Gang wurde an der Älvsbrücke gesichtet und in den Bussen gibt es mittlerweile bewaffnete Wachen.«

»Das stimmt, man muss aufpassen. Geht es euch gut auf Torp?«

»Wir kommen schon zurecht.«

Björn Torsons Ida reitet heran und zügelt das Pferd neben dem des Vaters. Sie ist groß und schlank und sitzt gerade im Sattel, während sie mit dem Kolben der Armbrust über den Rücken des Pferds streicht. Die Lederjacke hat Fransen an den Ärmeln und im Gürtel trägt Ida ein langes Messer. Wie ihr Vater hat sie schiefe Zähne, die Lippen sind schmal und die Augen wachsam. Das Fell ihres Pferds ist hell.

Frans streicht sich mit der Hand durchs Haar und der Wind zerrt pfeifend daran. Derjenige, der Björn heißt, beißt sich auf die Lippen. Sein Lächeln ist nicht freundlich, als er auf Frans zeigt.

»Sieht aus, als ob der Wind dir das Haar vom Kopf reißt. In deinem Alter sollte man eine Mütze tragen.«

Frans streicht sich über den Nacken und schnaubt.

»Wenn du gekommen bist, um mir Ratschläge bezüglich meiner Kleidung zu erteilen, hast du dich umsonst auf den Weg gemacht. Da gibt es andere Menschen, die sich um meine Garderobe kümmern.«

Björn Torson sieht am Alten vorbei zum Haus und mustert die verschlossene Tür.

»Ich sehe, dass Gunnar aus dem Guckloch späht. Lauert er Wildschweinen auf oder ist er plötzlich schüchtern geworden? Oder schämt er sich dafür, wie er sich vor den Leuten aufgeführt hat?«

Der Alte presst die Lippen zusammen und kneift die Augen zu, als eine Staubwolke tanzend vom Wind herangetragen wird.

»Wie gesagt, man geht in diesen Zeiten nicht gerne hinaus, und wenn ich so mit bewaffneten Menschen vor mir dastehe, bin ich froh, dass ich nicht auf mich alleine gestellt bin. Was hast du für ein Anliegen?«

Ida beugt sich über den Pferdehals, streichelt das Tier zwischen den Ohren und fährt Frans an.

»Willst du uns nicht hereinbitten? Es ist stürmisch auf deinem Hof und wir sind trotz allem fast Nachbarn.«

»Soviel ich weiß, stürmt es bei euch nicht minder, und wenn ihr schon bis hierher geritten seid, so könnt ihr wohl noch einen Moment den Sturm aushalten.«

Der hinterste Reiter ruft. Es ist Björns Ältester, ebenso groß wie die Schwester, sein Kinnbart ist zu einem wippenden Zopf geflochten.

»Du bist nicht gastfreundlich, Frans!«

»Da hast du recht, Norman!«, ruft Frans zurück. »Gastfreundschaft steht heutzutage unter anderen Vorzeichen als früher.«

»Es fängt bald an zu regnen!«, ruft Norman. Sein Reittier, ein Fuchs mit fülligem Schweif, wirft den Kopf zur Seite.

Frans fängt Björn Torsons Blick auf.

»Wirst du mir jetzt verraten, was du willst, bevor der Regen kommt?«

Björn sieht zu seiner Tochter. Dann räuspert er sich.

»Bullen-Olson war im letzten Herbst hier.«

Frans nickt.

»Er hat dir seine letzten Rollenlager verkauft.«

Frans nickt wieder.

»Wir brauchen ein neues«, führt Björn weiter aus. »Wir dachten, dass du eins verkaufen willst. Ich zahle gut.«

Frans streckt seine leeren Handflächen aus, als wolle er zeigen, dass er nichts besitzt.

»Die Qualität der Lager ist schlecht dieser Tage und sie fressen sich schnell fest. Wir haben eins, das im Windrad sitzt, und eins in Reserve. Das ist das, was wir haben und was Bullen-Olson uns verkauft hat. Zwei Lager. Das ist alles und wir haben keins abzugeben.«

»Bullen-Olson hat uns etwas anderes erzählt«, brummt Björn und seine Miene verfinstert sich. »Er hat behauptet, dass er alle Lager, die er hatte, an dich verkauft hat.«

Björns Pferd wirft den Kopf zur Seite und scharrt mit dem rechten Huf. Es wittert die Gefahr, die zwischen den Männern heraufzieht. Als es wiehert, klingt es wie ein Schrei.

»Das stimmt«, sagt Frans. »Er hat uns die Lager verkauft, die er besaß. Es waren genau zwei. Darum kann ich dir nicht helfen. Du musst bei Wong bestellen.«

Es beginnt zu regnen.

Die Tropfen werden schnell größer und die Reiter ziehen ihre Regenumhänge und Ponchos über, die sie hinter den Satteln festgebunden haben. Der jüngste von ihnen hat sich die Regensachen am schnellsten angelegt. Er ist so hochgewachsen wie die Geschwister, die Wangen graubleich und dunkel unter den Augen. Er sieht nicht gesund aus, heißt Harald und ist unbedeutend älter als Elin.

»Du willst also nicht an uns verkaufen?«, schnaubt Björn verärgert aus seinem Plastikumhang heraus.

»Wie gesagt, wir haben nichts zu verkaufen.«

»Du taugst nicht viel als Nachbar«, urteilt die Frau auf dem beigefarbenen Pferd, das das Maul vorreckt und nach Frans’ Haaren schnappt. Frans tätschelt seine Stirn und das Pferd zieht die Oberlippe zurück und zeigt die gelben Zähne. Es sieht aus, als ob es lachen würde.

»Wie heißt das Pferd?«

Die Antwort kommt wie ein Kläffen.

»Calyps.«

»Das werde ich mir merken!«, ruft Björn....

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