Ein österreichischer Don Juan - Roman

Ein österreichischer Don Juan - Roman

von: Marta Karlweis

DVB Verlag, 2015

ISBN: 9783950415827

Sprache: Deutsch

270 Seiten, Download: 1351 KB

 
Format:  EPUB

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Ein österreichischer Don Juan - Roman



Als der junge Erwein von Raidt am 30. Januar 1889 aus dem Portal des Jockeyklubs in den eisigen, finsteren Nachmittag hinaustrat, redete ihn ein Mensch mit über dem Kopf gelüpftem Hut so schnell und dringlich an, daß er ein wenig zurückwich und erst im zweiten Augenblick den Kutscher seines eigenen ‚Unnumerierten‘ erkannte, den Fiaker Wodiczka, genannt der Grafen-Toni. Was ihm der Grafen-Toni zuraunte, klang wie ein tolles Gerücht, aber weil es schrecklich war, glaubte es der junge Raidt sofort. Der hübsche Kavalier besaß eine Hinneigung zum Schrecklichen. Er hat nach Jahrzehnten unverbrüchlichen Schweigens und erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie zuweilen durchblicken lassen, daß er damals vom Grafen-Toni die Wahrheit erfahren habe: Mord und Selbstmord des Kronprinzen in Mayerling. Der undurchdringliche Nebel von Mutmaßungen, Verdächtigungen, Schauermärchen, Halbwahrheiten und Lügen quoll erst vierundzwanzig Stunden später in dicken Wolken über die Stadt Wien.

Im Salon der Fürstin F., wo er erwartet wurde, erschien er wie ein Betrunkener, aber totenbleich. Die Nachricht bestätigte sich. Die Verwirrung war unbeschreiblich. Raidt blieb die ganze Nacht in der Wohnung eines Freundes wach. Als er am 31., einem Donnerstag, endlich heimfuhr in die Salesianergasse, befahl er dem Grafen-Toni, einen kleinen Umweg zu machen. Er wollte nicht an dem Hause vorüberfahren, in dem die Mary Vetsera gewohnt hatte. Immer sah er den Mund vor sich, die feuchte rote Blüte in dem strahlenden Kinderantlitz. Ihr Gang war ein eigentümliches Schwimmen in zu früh erblühter Sinnlichkeit, in allen zartesten Schatten des üppig-schwärmerischen Gesichtes nistete verliebte Träumerei. Und doch ein Kindergesicht und trotz aller Fülle fast noch der unschuldige Körper eines Kindes. Während Erwein Raidt in seiner Wohnung einen Kognak nach dem anderen hinunterstürzte, lag dieser Körper, in ein schwarzes Kleid und einen Pelz gewickelt, schon in eisiger Gruft draußen in Heiligenkreuz.

Über Wien wälzte sich Bedrückung, fast Entsetzen. Fremde Leute redeten einander auf der Straße an. Kinder, die Rudolfs Leichenzug gesehen hatten, wurden krank und schrien nachts aus dem Fieber. Alle fühlten das Erdbeben, jedoch kaum einer versuchte, es ganz zu verstehen. Ein Dichter schrieb:

Kehrt in euch, des Unheils Waage steigt!

Erwein las diese Worte und schickte dem Dichter Lorbeeren und weiße Rosen. Der Fürstin F., die ihn im diplomatischen Dienst protegieren wollte, schrieb er einen ehrfurchtsvollen Brief und erklärte, es sei sein unumstößlicher Entschluß, überhaupt in keinerlei Dienst zu treten. Ein abgründiger Pessimismus bemächtigte sich des leichtfertigen jungen Menschen. Mit einem verehrten, bedeutend älteren Verwandten, einem berühmten Arzt, hatte er einen argen Auftritt. Er behauptete, die greulichen Doktrinen der Zeit, die preußische Pest des sogenannten Fortschritts habe den Kronprinzen in den Abgrund gestürzt. Als derMann der Wissenschaft hierauf entgegnete, der Erzherzog sei nichts gewesen als ein Degénéré supérieur, zudem den Weibern, dem Alkohol und dem Morphium verfallen, erhob sich Erwein und knallte die Tür des Hauses für immer hinter sich zu.

Er vergaß nichts. Er war überhaupt nicht fähig, irgend etwas zu vergessen.

Im Mai drang eines der hundert Gerüchte von kompromittierenden Briefen des Kronprinzen, die sich in den Händen einer dubiosen Person befänden, auf besonders glaubwürdige Art zu ihm. In der Gesellschaft hatte es im Winter geheißen, der Erwein Raidt besitze mehr Herz, als man vermutet habe. Im Mai war diese Überraschung schon vergessen. Man konnte nicht gedankenloser leben als der junge Raidt. Er war so sehr bekannt als Don Juan, daß sein Diener Merlitschek ganz allgemein der Leporello hieß. Und die Liste dieses Leporello war kaum unbeträchtlicher als die seines spanischen Urbildes. Merlitschek war, ebenso wie der Grafen-Toni, eingeweiht in sämtliche Abenteuer seines Herrn. Im Lauf des Monats Juni machte es ihm daher zu schaffen, daß er von seinem Gebieter mehrere Nächte nacheinander vom Hause fortgeschickt wurde. „Muß das eine Heiklige sein!“ dachte er, und seine Phantasie verstieg sich in die höchsten Regionen.

In der Tat empfing Erwein nächtlichen Besuch. Allein Merlitschek wäre von Entsetzen befallen worden, hätte er die Schöne erblickt. Denn der nächtliche Besuch war ein jüdisch aussehender Mann, er redete mit ungarischem Akzent.

Niemand erfuhr damals, niemand erfuhr jahrzehntelang, daß der junge Raidt einen Teil seines Vermögens opferte, um jene Briefe aus der Welt zu schaffen. Zwar redete er von da an düster und sorgenvoll vom Stand seiner Finanzen, aber da die Erbschaft ungefähr bekannt war, die ihm nach dem frühen Tode seiner beiden Eltern als einzigem Kinde zugefallen war, hielt niemand diese Redereien für etwas anderes als Affektation. Höchstens vermutete man, er habe das Geld mit Weibern durchgebracht. Kam die Rede darauf, dann hüllte er sich in Schweigen, seine großen blauen Augen verschleierten sich wie bei einem Katzentier. Eigentlich bleibt diese Seelenstärke unerklärlich. Er ist eitel; kennt einen einzigen Ehrgeiz: in der Gesellschaft zu glänzen. Er ist gern wichtig und fürs Leben gern in alles ‚eingeweiht‘. Dennoch versagt er sich diesen Glorienschein! Versagt es sich, allerhöchsten Ortes bemerkt und günstig angeschrieben zu werden. Wäre er ein Schwärmer! Aber nein, er ist nüchtern wie Wasser, rechnerisch wie ein Kanzleibeamter, durchaus Mensch des Lebens, wie es ist, und dennoch schweigt er, oder besser, er verschweigt.

Ich kann nur vermuten, daß in dem jungen Menschen Brocken eines früh zerstörten Ehrgeizes eine eigentümliche, schwankende Beklommenheit der Seele hervorriefen. Warum wurde dieser Ehrgeiz, wenn er vorhanden war, zerstört? Auch darüber lassen sich nur Annahmen aussprechen, aber es werden schwerlich andere Gründe zu finden sein, als die mit dem Jahrhundert unheimlich wachsende Unlust des Österreichers an seinem Reich. Wenn ein so gewaltiges uraltes Gebilde zerstört werden soll, mögen seine Teile Generationen vorher eine kreatürliche Angst empfinden, die der Verstand nicht zu deuten vermag. Nun, die Kreaturenangst war so groß in Erwein von Raidt, daß er den Selbstmord des Kronprinzen ohne weiteres begriff und ebenso den Mord, der ihm vorangegangen war. Während er die Briefe, die ihm der jüdisch aussehende Ungar gebracht hatte, Stück für Stück in seiner leeren, nächtlich dunklen Wohnung sorgfältig verbrannte, kräuselte sich ihm unaufhörlich das Fleisch bis in die blutleer gewordenen Lippen. Es war mehr als das Grauen, das sich im Winter aller Gemüter bemächtigt hatte: in dieser Nachtstunde öffneten sich ihm Abgründe des Schicksals, Abgründe seiner eigenen Natur, und sie waren in angsteinjagender Weise eins. Er glaubte nicht an den Himmel, aber er fürchtete sich entsetzlich vor Gottes Hölle. Davon durfte jedoch nichts ruchbar werden, denn nur das Ruchbare besitzt Macht in der Welt. Von den inneren Gewalten wußte er nichts. Er glaubte, daß alles Unheimliche in Bann gehalten werden könne durch ehernes Schweigen. Böse Dinge konnten verschwiegen werden, und dann waren sie nicht da. Am besten war es, man dehnte den Umkreis des Verschweigens soweit wie möglich aus. Verschwiegenheit war wie ein festes, dauerndes Gewölbe. Darauf ließ sich lustig weiter bauen. Und nichts lenkte so gut den Verdacht von etwaigen Gräbern und Grüften ab, als wenn man ein rechtes Tingel-Tangel an Ort und Stelle aufführte. Nun, dieses Tingel-Tangel entsprach ohnedies der Lebensführung jener Gesellschaft, der sich Erwein Raidt von ganzem Herzen ergeben hatte. Hier durch Geburt zu glänzen war ihm nicht möglich; durch Reichtum ebensowenig. Geist ohne diese beiden Voraussetzungen hätte ihn nur verdächtig gemacht. Aber von der Natur war er mit vielen äußeren Vorzügen ausgestattet worden, und sie hatte ihm verliehen, was nach Grillparzers Ausspruch vor Gefahren sichert und zugleich gefährlich macht: ein kaltes, treuloses Herz und eine warme Phantasie.

Frauen hatten ihn in die eleganteste Gesellschaft gebracht, als er, der Schule noch nicht entwachsen, in der hübschen offiziersähnlichen Uniform des Theresianisten seine ersten schüchternen Eroberungen machte. An Frauen hielt er sich fortan. Seine sinnliche Anlage führte ihn knapp an die Grenze des Genialen, die freilich nur der echte Liebende überschreitet. Die Verquickung war unvermeidlich: Liebe wurde für ihn der Gegenstand seines Ehrgeizes. Liebe trieb ihn an, Liebe stillte ihn, Liebe machte ihn berühmt, Liebe hob ihn unter den elegantesten jungen Leuten hervor und umwitterte ihn mit einem Schimmer von Macht, sie legte unter seine Füße die tragende Wolke von Neid und jener primitiven Reverenz, welche Ausgezeichneten dieser Art von alten und jungen Männern nie ganz verweigert wird.

Das große Geheimnis der Generationen bleibt undurchdringlich auch dem rückschauenden Blick. Dennoch scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen, daß ein Engländer, ein Franzose oder ein Italiener der gleichen Epoche, der in einer ebenso bevorzugten Situation, in einer ähnlichen bedeutsamen Affäre wie die des kronprinzlichen Briefpakets ebensoviel Großmut, Uneigennützigkeit und Charakterstärke bewiesen hätte, über kurz oder lang im öffentlichen Leben seines Staates hervorgetreten wäre, nicht durch Protektion, denn seine Handlungsweise blieb ja unbekannt, sondern durch die dynamischen Kräfte seines Charakters und seiner Gaben. Durchaus möglich bleibt, daß sich zwischen Tat und Wirksamkeit noch eine längere Periode leichtfertigen Lebens, eine Art von Prinz-Heinz-Periode eingeschoben hätte, allein sie wäre eben nur Füllsel geblieben oder verdeckte Vorbereitung. Dem Österreicher, dessen künftiger Kaiser als...

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