Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Käsebier erobert den Kurfürstendamm

von: Gabriele Tergit, Nicole Henneberg

Schöffling & Co., 2016

ISBN: 9783731760894

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 721 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Käsebier erobert den Kurfürstendamm



Erstes Kapitel
Nichts ist da, als der Artikel über den Matsch

Die Kommandantenstraße zu Berlin, halb schon Konfektions- und halb noch Zeitungsviertel, beginnt an der Leipziger Straße mit einem hübschen Blick auf die Bäume des Dönhoffplatzes, die jetzt kahl waren, und verliert sich in der Proletarier- und Fabrikgegend der Alten Jakobstraße.

Der Dönhoffplatz! Rechts Tietz, Inventurausverkauf! Inventurausverkauf! Schuhwarenhaus Stiller »Noch billiger«! Regenschirme! Alle beisammen, Wigdor und Sachs und Resi. Ein Blinder mit Zeitschriften hockt vor Aschingers Destille für kleine Schnappaufs. Das beste Geschäft für künstliche Blumen. Im Frühling Ansteckblumen fürs Kostüm, im Winter Ballschmuck. Stettiner Sänger! Immer noch der große Lange und der kleine Dicke, Konditorei, Parfüms, Koffer und Wollwaren. Das geht alles noch. Aber im ersten Stockwerk beginnen die Sorgen. Der Handel geht zurück. Alles direkt. Fabrik-Detail-Konsument. Wenn möglich Fabrik-Konsument. Das ist die große Seite des Dönhoffplatzes.

Drüben aber nach der stillen Seite hin, beinahe schon in der Kommandantenstraße, wo sich die kleinen namenlosen Geschäfte befinden, lag die Redaktion der Berliner Rundschau. Ein breites, langgestrecktes altes Haus, vier niedrige Etagen hoch, bekrönt an den Ecken von zwei Henkelvasen in griechischer Form. In der Mitte zwei überlebensgroße Stuckfiguren, Merkur und Minerva, zwischen sich ein römisches Feldzeichen. Mit Merkur schien nicht viel los zu sein in dem Haus. Eine halbe Etage stand leer. Ob Miermann in diese Zeitungsredaktion eingetreten war, weil ihn die Minerva mit den Geschichtstafeln gelockt hatte oder weil unter den Fenstern Rosengirlanden schwebten, stand nicht fest, wäre ihm aber zuzutrauen gewesen, hingegen hätte es ihn sicher nicht verführt, daß Barockhelme mit Straußfedern die oberste Fensterreihe bekrönten, denn er hatte was gegen kriegerische Kostüme. Eine große goldene Jahreszahl im Giebel verkündete, daß das so überaus anständige Haus 1868 gebaut worden war.

Unten befand sich eine kleine Konditorei, die hauptsächlich von Journalisten besucht wurde, ein verräuchertes Lokal, schlecht gelüftet durch eine Klappe, die auf den Hof ging, in dem gerade unter der Klappe die Mülleimer standen. Der Hof war so eng, daß die Sonne höchstens bis zur zweiten Etage kam. Es war ewig dunkel in der kleinen Konditorei, nur ein paar irisierende Tulpen und ausgebrannte elektrische Birnen beleuchteten das Ganze. Rote Marmortische standen da, kleine Holzstühle ohne Armlehne mit Rohrgeflecht. Aber der Wirt des Cafés war stolz auf geistige Kundschaft. Er kam aus Wien und hielt was von Journalisten, kannte jeden einzelnen Gast und, was noch wichtiger ist, seine Artikel.

Über die völlig ausgetretene Treppe des Hauses kam man an einem Glaskasten vorbei, wo Anmeldung stand und ein ganz junger Mann saß, in die Redaktion.

Der Mitarbeiter Emil Gohlisch, 30 Jahre alt, groß und weißblond, mit ungeheuren roten Händen, stand am Telefon. Redakteur Miermann, etwa 20 Jahre älter als er, saß am Schreibtisch. Er hatte die Breite des Epikers und die Kahlheit des Humoristen. Ewig war sein Kragen voller Schuppen, und nie dachte er daran, sich die Hände zu waschen. Er war ein Ästhet, aber nicht für sich selber. Er bekam es fertig, eine grüne Krawatte zu einem lila Anzug zu tragen, aber er konnte aus dem Gefühl der Hand schließen, ob eine Porzellanfigur aus den dreißiger oder den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts war. Seine Eltern hatten ihn in eine Kaufmannslehre gegeben, in der er es nicht aushielt, und die höchstens dafür gut war, seine Lebenskenntnis zu erweitern. Da er nie sein Abiturium gemacht hatte, konnte er auch nicht studieren. So geriet er in eine Kunsthandlung, aber auch dort war er nicht zu brauchen. Er fing an zu schreiben. Seine Familie war froh, daß es nicht schlimmer mit ihm kam. Später, als er etwas arriviert war, immer mit Schulden aus früherer Zeit belastet, war man eher stolz auf ihn. Zwei Brüder waren banale Leute, ein Rechtsanwalt und ein Arzt, die reich heirateten, für den Fortschritt waren und nie einen Satz sagten, den nicht auch jeder andere ihrer Generation hätte gesagt haben können. Gohlisch hörte auf zu telefonieren.

Miermann sah auf die Uhr: »Morgen ist Donnerstag«, sagte er, »wenn meine Uhr richtig geht. Ich habe nichts für die Donnerstagseite.«

»Man müßte mal über die neuen Cafés schreiben.«

»Was hilft mal? Heute! Hic Rhodus, hic salta! Hier ist Rhodus, hier versprühe dein Salz.«

»Wollen wir mal nachsehen, ob gar nichts da ist.«

Miermann nahm einen gelben Aktendeckel mit Manuskripten aus der Schublade: »Da ist ein begabter Artikel über den Matsch, aber es friert ja noch. Die Leute können alle nicht schreiben. Keiner kann eine gute Reportage machen. Es fällt niemandem was Neues ein.«

»Über die Toilettenverhältnisse in den Berliner Schulen sollte man mal was schreiben.«

»Was soll ich bloß morgen als Spitze bringen?«

Miehlke kam herein, der Metteur. Er hatte ein völlig nacktes Gesicht, da war kein Haar zu finden, weder in dem Gesicht, noch auf dem Kopf.

»Kratzfuß, die Herren. Die Seite muß um ½ 5 weg, jetzt ist 3 Uhr. Also ran. Ich habe den großen Artikel über die Neubauten im Satz. Nehm ich den, is die Seite voll.«

»Der ist viel zu lang«, sagte Miermann schüchtern. Er sagte es schüchtern, weil Miehlke der Mann war, der einmal zum Publizisten Heye gesagt hatte, zu Heye, der die berühmten Leitartikel schrieb: »Wenn Se nich kürzen, Herr Heye, streich ich selber 20 Zeilen, Sie glauben gar nich, wie schnell ich das mache, Herr Heye, und merken tut’s auch keiner.« Und als Stefanus Heye gelächelt hatte, hatte Miehlke gesagt: »Sie glauben wohl, es merkt’s einer von den Lesern? Och, Leser merken janischt, janischt merken Leser. Die Herren denken immer, es kommt druff an. Es kommt aber nich druff an.«

»Is mir ganz ejal«, sagte Miehlke, »das Blatt kann nich warten wegen Ihn, und streichen is besser als uf’n Rand drucken.«

Miehlke ging.

»Also was machen wir?« sagte Miermann.

»Ich werde mal einen Kaffee bestellen«, meinte Gohlisch.

Der alte Schröder kam rein. Innenpolitik. Er trug noch einen Vollbart, einen grünen Lodenanzug mit Hornknöpfen und eine breite schwarze Schleife statt einer Krawatte. »Heute sah’s böse aus im Reichstag. Ich glaube, die Regierung fällt, es kommen die Rechten. Passen Sie auf, die bewilligen dann alle Steuern, über die sie bei den Linken geschrien haben, andere als Parteifreunde kriegen keine Arbeit, Pogrome, Todesurteile und Bürgerkrieg. Ich kenne das. Wir werden was erleben, fünf Panzerkreuzer, Subventionen an die Deutschnationalen, wir können einpacken.«

»Ich glaube nur, daß mit Wasser gekocht wird«, sagte Miermann. »Ich weiß, daß die Deutschnationalen so bestechlich sind wie alle andern.«

»Aber Miermann! Sie werden doch zugeben, daß …«

»Ich gebe überhaupt nie etwas zu.«

»Konsumsteuern, passen Sie auf, nichts als Konsumsteuern und Zölle, daß uns die Augen übergehen.«

»Vielleicht sind Zölle das Richtige?«

»Herr Miermann!« sagte Schröder empört, »seien Sie doch ernst!«

»Sie verlangen zu viel vom Menschen. Ich soll mich immerzu aufregen: gegen Steuern, für Steuern, gegen Zölle, für Zölle. Bis morgen nachmittag 5 Uhr rege ich mich nicht auf, es sei denn, es käme ein schönes Mädchen ins Zimmer!«

»Hättet früher Etatkritik treiben müssen. Der alte Richter, das war ein Mann, der hat jeden Posten gekannt, der hat den ganzen Etat studiert. Wir haben ein parlamentarisches System ohne einen Etatkritiker.«

Gohlisch erhob sich: »Wozu? Skandalmachen trägt mehr ein. Beziehungen und ein Pöstchen. Sie haben Ihren Tick mit der Etatkritik und mit Ihrem alten Richter. Dreimal fette Borgis als Überschrift. Da der Kaffee. Zahlen Sie, Miermann, oder bin ich dran? Ich werde zahlen.«

»Was wird mit der Seite?« sagte Miermann.

Schröder ging raus. Gohlisch erzählte: »Wissen Sie, Herr Miermann, ich muß Ihnen eine schöne Geschichte erzählen. Da ist ein Mann neulich hausieren gegangen, hat sich bei den Direktoren großer Konzerne, die Schweizer sind, melden lassen. Er sei ein Landsmann, Vertreter von Faber, er bitte, seinen Bedarf an Faberbleistiften bei ihm zu decken. Die halfen auch dem Landsmann, der Landsmann ging zu Faber, kaufte Stückenware und verkaufte den Dreck für gutes Geld. Eines Tages bat der Chef um Bleistifte. Er spitzte an, ›nanu‹, dachte er, wie der Blei immer wieder abbrach. Schließlich wurde die Sache gemerkt. Der Landsmann hinausgeworfen. Nein«, sagte Gohlisch, »was ich auf der Reise alles erfahren habe. In Niedernestritz haben die Stadträte ein neues Rathaus haben wollen. Einer hat es dem alten Ratsdiener gesteckt, er solle 100 Mark bekommen, und der Alte, so ein Tapergreis, so eine leicht besoffene Spitzwegfigur, der geht auch eines nachts rüber und macht ein hübsches Feuerchen im Keller, spart nicht an Petroleum und nicht an Kleinholz, und das Rathaus brennt und brennt, die Feuerwehr wird erst am Morgen alarmiert, der Ratsdiener hat’s nicht bemerkt, greift beschwörend ein, damit ja nicht zu viel Wasser verbraucht wird, und das Rathaus brennt auch glücklich bis auf die Grundmauern aus. Dem Ratsdiener aber wollte man plötzlich nur 50 Mark zahlen. Da hat sich der Mann natürlich schrecklich geärgert und ist aus Rache zur Feuerversicherung gelaufen und hat gesagt, daß er’s Feuer gelegt hat, und er wolle gern ins Zuchthaus gehen, aber so eine schreckliche...

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