Eine Leiche für Helene - Kriminalroman

Eine Leiche für Helene - Kriminalroman

von: Ilona Mayer-Zach

Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN: 9783839248843

Sprache: Deutsch

248 Seiten, Download: 2126 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Eine Leiche für Helene - Kriminalroman



2. Kapitel


Freitag

1


Das Klingeln des Hoteltelefons riss mich aus meinem Traum. Ich hob den Hörer ab. »Thomas?«, fragte ich schlaftrunken. Niemand meldete sich. Eigenartig, dass er mich nicht am Handy anrief. »Thomas? Liebling?« Ich tastete am Nachttisch nach meiner Brille und setzte sie auf. Mein Mann war es nicht. Das Display zeigte die Nummer 203 an, die Zimmernummer von Corinna Ringel. Nicht einmal um halb zwei in der Nacht gab die Verrückte Ruhe. Ich hörte Schnaufen, dann ein dumpfes Geräusch, als wäre ein Gegenstand auf den Boden gefallen.

»Hallo? Wer ist da? Corinna, sind Sie das?« Mit einem Schlag war ich hellwach. Niemand meldete sich, gleich darauf hörte ich das Besetztzeichen. Jemand hatte den Telefonhörer aufgelegt. Wahrscheinlich hatte sich Corinna Ringel nur in den Tasten geirrt, so betrunken, wie sie war. Mit dieser Frau hatte ich mir einen Nagel eingetreten, das stand fest. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, doch wie so oft in schlaflosen Nächten schossen mir nun alle möglichen unsinnigen Gedanken durch den Kopf und wurden zu monströsen Problemen, die mir den Schlaf raubten. Corinna Ringels Erzählungen und die Drohbriefe fielen mir ein und ließen mir keine Ruhe mehr. Das schlechte Gewissen quälte mich, weil ich sie nicht ernst genommen hatte. Was, wenn doch etwas an ihren Ängsten und Verschwörungstheorien dran war, sie sich tatsächlich in Gefahr befand und ich es nun verabsäumte, ihr zu helfen? Ich musste mich vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung war. Also streifte ich mir meine Jeans und einen Sweater über und schlüpfte in die Turnschuhe. Wo war nur wieder mein Handy? Nachdem ich es nirgends entdecken konnte, gab ich die Suche auf und lief die Treppe hinunter ins untere Stockwerk. Corinna Ringels Zimmer lag am Ende des Flurs. Als ich anklopfte, bemerkte ich, dass die Tür nur angelehnt war.

»Hallo, Corinna? Sind Sie da?« Vorsichtig betrat ich den Vorraum der Suite. Hier war alles viel geräumiger als in meinem Zimmer.

»Corinna? Alles in Ordnung?« Keine Antwort. Ich ging weiter in den dunklen Wohnraum, in den nur das Licht vom Hotelgang fiel. Jemand lag auf dem Boden. »Corinna? Um Gottes willen! Was ist mit Ihnen?« Ich beugte mich über die leblose Gestalt und sah die Blutlache auf dem Parkett, die sich um Corinnas Kopf gebildet hatte. Mehr Zeit blieb mir nicht, um mich umzuschauen. Draußen hielt der Lift an, und die Tür öffnete sich. Schritte kamen näher. Ich saß in der Falle. Hektisch sah ich mich nach einem Versteck um. Ich konnte auf den Balkon hinaus. Und dann? Falls dort jemand nachschaute, würde er mich sofort entdecken. Blitzschnell öffnete ich den Wandschrank und schlüpfte hinein. Sekunden später kauerte ich im Schrank, zwischen einem Hosenanzug und jeder Menge getragener Sportklamotten, deren scharfer Geruch in meine Nase stieg. Obwohl ich ohnehin kaum zu atmen wagte aus Angst, man könnte mich entdecken. Mein Herz raste. Ich wollte nicht das gleiche Schicksal wie Corinna Ringel erleiden. Mit dem heutigen Tag war ich ein halbes Jahrhundert alt, aber ich fühlte mich definitiv zu jung zum Sterben. Dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben war, erschien mir ebenso sicher wie meine Vermutung, dass jemand nachgeholfen hatte.

»Wir müssen sie schnellstens von hier wegschaffen«, vernahm ich Sekunden später eine Männerstimme. »Hier ist alles aus dem Ruder gelaufen.«

»Jetzt zuck nicht aus. Kümmer dich lieber ums Auto«, fuhr ihn der andere an.

Dann telefonierte einer der beiden Männer. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen, weil gleichzeitig irgendetwas laut raschelte. Für mich klang es nach einer Plastikplane. Die Vorstellung, dass einer der Männer die Schranktür öffnen und mich darin erblicken könnte, schnürte mir die Kehle zu. Bestimmt hatten sie noch genug Folie da, um auch mich luftdicht zu einem Packerl zu verschnüren. Happy Birthday, Helene! Doch die beiden hatten anderes zu tun, als mit mir meinen 50. Geburtstag zu feiern. Was immer sie jetzt taten, sie schnauften dabei vor Anstrengung.

»Alles erledigt, ich bin hier fertig«, sagte einer der beiden nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam.

»Gut. Das Auto steht am Hintereingang. Hast du geprüft, ob es unversperrt ist? Okay. Passt. Ist noch wer vom Personal da oder laufen noch Gäste herum? Wir brauchen keine Zeugen«, vernahm ich den Telefonierer. Nach einer kurzen Gesprächspause hörte ich ihn wieder. »Gut. Um den Nachtportier mach ich mir keine Sorgen. Der sitzt sicher im Hinterzimmer und sieht fern. Wahrscheinlich schläft er eh schon. Komm rauf und hilf uns, sie abzutransportieren. Ich habe keine Lust, länger als nötig hierzubleiben.«

Bildete ich mir das ein oder hatte ich seine Stimme schon irgendwo gehört? Einen Moment lang herrschte wieder Stille, dann fuhr er fort: »Ja klar, mit Gisela ist alles abgeklärt. Sie weiß Bescheid und ist gleich da. Wir sind alles bis ins kleinste Detail durchgegangen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass sie an einer schweren Angina leidet. Jetzt beeil dich.«

Gisela, Angina? Ich verstand nur Bahnhof. Aber vielleicht konnte ich nicht mehr klar denken, weil die Angst, entdeckt zu werden, und der Gestank im Schrank meine Gehirntätigkeit lähmte. Dann hörte ich, wie eine dritte Person den Raum betrat. »Gehen wir’s an.«

Eine Weile sagte niemand etwas. Nur die Plastikplane raschelte wieder. Ich hielt mir die Nase zu. Nur nicht niesen, dachte ich.

»Was machen wir mit dem ganzen Zeug im Kasten?«

Mir blieb das Herz stehen. Wenn die Männer den Kasten öffneten und mich entdeckten, war ich geliefert. Warum hatte ich nicht mein Handy länger gesucht und es mitgenommen? Andererseits, was hätte es mir in diesem Moment genutzt? So leise hätte ich nicht flüstern können, dass mich einerseits der Helfer vom Notruf verstand, ich aber andererseits von den Männern unentdeckt geblieben wäre.

»Das erledigen wir später. Jetzt schauen wir, dass wir die Leiche fortschaffen.«

»Okay, gute Idee. Gehen wir.«

Ich atmete auf und nahm mir fest vor, bei nächster Gelegenheit in der Franziskanerkirche eine Kerze anzuzünden.

Erst als ich eine Weile nichts mehr gehört hatte, wagte ich, die Schranktür zu öffnen. Vorsichtig kroch ich aus meinem Versteck und schnappte nach Luft. Gefühlsmäßig war ich ewig und drei Tage im Schrank gesessen und fühlte mich entsprechend gerädert. Meine Gliedmaßen schmerzten und mein Herz klopfte noch immer bis zum Hals. Ich fühlte mich definitiv zu alt für solche Aktionen. Blieb zu hoffen, dass ich den Männern nicht in die offenen Arme rannte, wenn sie zurückkehrten, um die Habseligkeiten von Corinna Ringel zu holen und das Licht zu löschen. Im Zimmer deutete fast nichts mehr darauf hin, dass hier bis vor Kurzem eine Tote gelegen war. Nur die Ränder des Blutflecks waren noch zu sehen. Sämtliche Habseligkeiten, die zuvor herumgestanden und gelegen waren, hatten die Männer in den beiden Koffern verstaut, die geöffnet auf dem Bett lagen. Zum Glück waren sie noch nicht auf die Idee gekommen, auch die Kleidungsstücke im Schrank einzupacken.

Ich lugte bei der Tür hinaus auf den Hotelflur. Weit und breit war niemand zu sehen. So leise wie möglich hastete ich ins obere Stockwerk zu meinem Zimmer. Keine Sekunde zu früh. Schon hörte ich, wie sich der Aufzug in Bewegung setzte und sich gleich darauf im Stock unter mir die Lifttür öffnete. Ich rettete mich in mein Zimmer und verriegelte die Tür. Was sollte ich jetzt tun? Der Schock saß mir tief in den Knochen, ich konnte noch immer nicht klar denken. Wie lautete noch mal die Nummer des Polizeinotrufs? 122 oder 133 oder 144? Warum fiel mir das gerade jetzt nicht ein? Wie war das mit den Eselsbrücken – der 4er war ein Sessel. Und wer schleppte den? Die Rettung, oder etwa nicht? Ich hatte ein Blackout und für solche Situationen definitiv kein Notfallprogramm. Wer rechnete schon damit, mitten in der Nacht auf eine Leiche zu stoßen? Oder überhaupt irgendwann. Mit zitternden Händen durchwühlte ich meine Jacken und den Koffer, sah im Bad nach, konnte aber nirgends mein vermaledeites Handy entdecken. Ich musste schnell handeln, bevor die Männer alle Spuren samt Corinna Ringel beseitigt hatten und verschwanden. Vom Zimmertelefon rief ich Karin an, aber sie hob nicht ab. Dann probierte ich es beim Hotelportier, doch auch dort meldete sich niemand. »Verdammt, jetzt heb doch ab, du Wappler«, entkam es mir. Wo waren die denn alle, wenn man sie brauchte? Dann kam mir in den Sinn, dass er vielleicht auch schon mit eingeschlagenem Schädel unter dem Schreibtisch lag. Sofort bedauerte ich meine Unhöflichkeit. Ich trat erneut auf den Flur. Nichts war zu hören. Wahrscheinlich waren die Männer noch im Zimmer, um die letzten Spuren des Mordes zu beseitigen. Nun musste ich mich beeilen. »Der Lift ist zu laut, den hören sie vielleicht«, murmelte ich. Die Typen sollten auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Also lief ich die drei Stockwerke über die Treppen hinunter. Die Rezeption war leer, vom Nachtportier keine Spur. Ich huschte weiter zum Ausgang. Durch die Glasscheibe erspähte ich die Umrisse eines hellgrünen Kastenwagens. Das Nummernschild konnte ich nicht erkennen. Der Lift setzte sich erneut in Bewegung. Wenn das die Männer waren, würden sie gleich aussteigen und mich sehen. Wer sollte um diese Uhrzeit sonst mit dem Hotellift auf und ab fahren? Mein Bedürfnis, ihnen zu begegnen, war gleich Null, aber von hier gab es für mich keinen Ausweg, ohne dass ich am Lift vorbeimusste. Ich presste mich an die Seite eines wuchtigen bemalten Bauernschranks. Das schöne Stück und die spärliche Nachtbeleuchtung waren meine Rettung. Die Männer...

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