Tödliches Asyl - Kriminalroman

Tödliches Asyl - Kriminalroman

von: Ernst Obermaier

Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN: 9783839249680

Sprache: Deutsch

277 Seiten, Download: 2390 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Tödliches Asyl - Kriminalroman



MONTAG, LINDAS 1. ARBEITSTAG


Ohne zu duschen, nur nach einer Katzenwäsche, weil andere Pensionsgäste die Etagendusche immer wieder blockierten, erledigte Linda Hoppendal ihre Morgentoi­lette. Sie kämmte und schminkte sich dezent. Für einen guten Geruch sprühte sie etwas Parfüm auf ihre Haare und tupfte ein paar Tropfen hinter die Ohren. »Diesen Duft mögen die Männer«, hatte ihr die Kosmetikerin in Berlin versichert. Für einen möglichst aufregenden weiblichen Gang wählte sie die hochhackigen Schuhe aus. Mit erwartungsvollen Gefühlen begab sie sich auf den Weg zu ihrer neuen Dienststelle. Sie trat auf die Straße, und ihr Blick zum weiß-blauen Himmel bestärkte sie im Gefühl: Das wird heute ein toller Tag! Zum Glück gab es unweit der Pension eine U-Bahn-Station. Eine nette Dame half ihr unaufgefordert beim Lösen einer Mehrfahrtenkarte am Kassenautomaten und erklärte ihr die Tarifzonen sowie die Umsteigemöglichkeiten. Sie dachte: Vielleicht sind die Münchnerinnen doch freundlicher als die Bedienung gestern Abend. Innerhalb einer guten halben Stunde traf sie bei ihrer neuen Arbeitsstelle ein. In einer Seitenstraße der Leopoldstraße in München-Schwabing fand sie bei der angegebenen Adresse das Messingschild mit der Aufschrift »SOKO ›Grenzgänger‹«. Das Gebäude entsprach kaum ihren Vorstellungen von der Schwabinger »Schickimicki-Gesellschaft«, sondern eher den vielen Häusern in Ostberlin vor der Wende. Eine kleine Treppe führte zum Eingang empor. War es nun ihre Treppe hoch zum Erfolg oder zu ihrem Abstieg? Als Polizistin in Berlin hatte sie ihrem Gefühl nach zu oft wütenden Demonstranten oder maulenden Verkehrssündern gegenübergestanden. Das respektvolle Verhalten gegenüber uniformierten Polizeibeamten wurde immer mehr zur Mangelware. Mit ihrer neuen Berufsorientierung verknüpfte sie nun andere Vorstellungen wie beispielsweise den Kampf gegen Rechtswidrigkeiten oder Einbrecher oder das Festsetzen von Mördern, wie sie es aus den vielen von ihr gelesenen Krimis kannte. Mit gemischten Gefühlen und innerlich programmiert auf »München, ich komme«, öffnete sie vorsichtig die Türe und betrat die neue Dienststelle. Der Hauptkommissar war noch nicht da, dafür seine vier Mitarbeiter. Neugierig auf die neue Kollegin begrüßten sie die junge Frau mit einem freundlichen »Grüß Gott« und zeigten sich innerlich mit der aparten Erscheinung mehr als zufrieden. Eine mittelgroße, schlanke Blondine stand vor ihnen, etwa 25 Jahre jung, heller Teint, dezent geschminkt, mit einem dünnen schwarzen Regenmantel, darunter eine grün-weiß gestreifte Bluse und silbergraue Jeans. Nachdem sie ihren Mantel abgelegt hatte, streckte sie den Männern mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen mit den Worten: »Ich bin die neue Kollegin aus Berlin.« Nur einer dachte: Der Busen ist wohl etwas zu klein geraten, und für ein Dirndl müsste sie doch das Ganze, weiß Gott, anheben, damit die Bluse bergiger wird. Einer roch das aufreizende Parfüm und dachte für sich: Die stinkt wie ein Iltis. Sie betrachtete ihrerseits die vier, die in mit gelben Stickereien verzierten grünen, ledernen Bundhosen, rot-weiß karierten Hemden und grauen, gestrickten, offen getragenen Trachtenjanker, schafwollenen Wadlstrümpfen und derben Halbschuhen zum Dienst erschienen waren, als wäre hier eine Versammlung des Trachtenvereins. Anscheinend trägt man auch außerhalb des Oktoberfestes hier Tracht und alle kaufen im gleichen Geschäft ein, dachte sie. Ihr Blick blieb an den Hosenträgern der Männer hängen, die ein weißer Hirsch in der Mitte des Verbindungsteils als Blickfang zierte. Dieser erinnerte sie an den Wandbehang ihrer Oma, die den röhrenden Hirsch vor etwa 40 Jahren während eines Urlaubs in den bayerischen Alpen als Andenken erstanden hatte und der dann in ihrem Wohnzimmer einen dauerhaften Platz über dem Plüschsofa erhielt. Nun würde sie wohl im Kommissariat das Rehlein unter den Hirschen sein. Die vier Kriminalbeamten stellten sich kurz vor:

»Hallo, i bin der Toni Brandstätter, Kriminalpolizeiobermeister. Kannst mich Toni nennen.«

»I bin der Sebastian Gruber, ebenfalls Polizeiobermeister. Kannst mich Sebastian nennen.«

»I bin der Xaver Wimmer, Kriminalkommissar. Kannst mich Xaver nennen.«

»Und i bin der Hansi Niederlechner, Kriminaloberkommissar. Kannst mich Hansi nennen.«

Alle vier Männer deuteten so etwas wie eine leichte Verbeugung an.

»Und ich bin die Linda aus Berlin. Ihr könnt mich Linda nennen.«

So schnell ist man in Bayern beim Du.

Auf die Frage, wer nun der Leiter der Abteilung wäre, antwortete der Toni:

»Der Grantler kommt gleich.«

»Können Sie mir das Wort ›Grantler‹ übersetzen? Diesen Ausdruck kenne ich nämlich nicht«, bat die Berlinerin.

»›Grantler‹ kann man nicht ins Hochdeutsche übersetzen. Es ist einfach jemand, der an allem herumnörgelt und mit nichts zufrieden ist. Seit unsern Chef seine Frau verlassen hat, ist es mit ihm noch schlimmer geworden.«

Ihr Vater hatte sie gewarnt. Sie solle lieber bei der Berliner Polizei bleiben, als zur Kripo nach Bayern zu gehen. Bei der Kriminalpolizei gäbe es zwar viele Leute mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, aber auch eigenartige Individuen. Doch sie wollte unbedingt ihren kriminalistischen Instinkt beweisen, denn bei den Kriminalserien im Fernsehen kannte sie jeweils bereits nach 20 Minuten den oder die Täter. Ähnlich erging es ihr bei Kriminalromanen. Bereits nach 50 Seiten wusste sie, wer der Mörder war. Der Vater meinte zwar, diese Filme und die Bücher hätten mit der Realität nichts gemein, doch sie wollte mit dem Kopf durch die Wand. Egal, ob in Bayern oder in Berlin. Verstohlen musterte sie ihren neuen Wirkungsort. Fünf Schreibtische aus Limba-Furnierholz, einfache, dem Augenschein nach unbequeme hellgraue Stühle, ein Computer, ein Faxgerät, ein älteres Telefon sowie ein Waschbecken und eine kleine Kochgelegenheit. An der Wand hing ein Bild von Franz Josef Strauß. Eine Tür mit einem gelblichen Glasfenster als Oberlicht führte in ein anderes Zimmer. Vermutlich das Büro des Chefs.

In diesem Moment ging die Tür auf und Hauptkommissar Vitus Wastlhuber schob seine große, etwa zwei Zentner schwere Figur ins Zimmer. Der erste Eindruck war bekanntlicherweise meist entscheidend, und obwohl sich der Kommissar entgegen seiner Gewohnheit zur Begrüßung der Neuen in einem zu engen mausgrauen Anzug präsentierte, gewann er bei Linda Hoppendal keine Pluspunkte. Er spürte wohl die missbilligenden Blicke der Kommissarin auf seiner Glatze und seinem Bierbauch. Diesem Spitzbauch galt fast immer die erste Aufmerksamkeit, wenn ihm Leute begegneten. Er trug ihn wie ein Alleinstellungsmerkmal vor sich her. Seine Mitarbeiter witzelten längst mit Ausdrücken wie »Paulanerspoiler« oder »Knödelfriedhof« über diese Wölbung. Seine Beschreibung dagegen lautete »Gourmettempel«. Nach dem ersten kritischen Augenschein wanderte der Blick der Neuen von seinen Schuhen angefangen über den Unterleib empor bis zu seiner Glatze und wieder zurück zu seinem Gesicht und blieb oberhalb seines Spitzbarts bei seinen wulstigen Lippen in Erwartung einer Äußerung hängen. Erwartungsgemäß kam ein »Grüß Gott« aus dem Mund des Kommissars. Umgekehrt ließ auch er sich nicht anmerken, dass er mit dem weiblichen Zuwachs seiner Mannschaft nicht gerade glücklich war, und er nahm sich innerlich vor, er würde ihr schon noch zeigen, wo es langging. Er musterte sie ebenfalls eingehend von oben bis unten und sah eine schlanke Frau mit etwa 1,70 Meter Größe, modernem blondem Kurzhaarschnitt, blaugrauen Augen, freundlichem Gesicht, adrett gekleidet, die in Erwartung der neuen Dienststelle etwas unsicher wirkte. Eine nette Person, wenn es nur kein Madl wäre, resümierte er für sich. Und a bisserl mehr Holz vor der Hüttn könnte ihrerseits auch nichts schaden. Mit einer unmissverständlichen Geste und ohne weitere Worte zu verlieren, wies er ihr den hölzernen Schreibtisch mit den Bierglasrändern auf der Tischplatte in der hintersten Ecke des Dienstzimmers zu.

»Leider haben wir für eine große Begrüßungsfeier keine Zeit, denn uns erwarten drei Leichen in der Gegend von Ottersberg. Nehmen Sie noch etwas zum Notieren mit und auf geht’s!«

Mit diesen Worten dirigierte er die Berlinerin mit der Hand an ihrem verlängerten Rücken zur Tür hinaus zum Dienstauto. Er reichte ihr den Autoschlüssel und nahm demonstrativ auf dem Rücksitz Platz.

»Kleinen Moment noch, bevor Sie starten! Ich nimm no an Schmalzler!«

Linda Hoppendal sah im Rückspiegel, wie der Hauptkommissar ein kleines Fläschchen aus Steingut hervorholte, sich ein Pulver auf den Handrücken streute, ein Nasenloch zuhielt und das schwarz aussehende Pulver ins andere Nasenloch hochzog. Die gleiche Prozedur wiederholte er, nur wechselte er dabei die Nasenlöcher. Sie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit die Kollegen zu fragen, ob der Hauptkommissar drogensüchtig sei. Während der Fahrt durch die Stadt kommandierte er fortwährend: »Vorsicht!« Dann hieß es wieder: »Gas geben!« »Bremsen!« Wie immer herrschte auf dieser Strecke dichter Verkehr. Für die ehemalige Verkehrspolizistin aus Berlin stellte das kein Problem dar. Geschickt fädelte sie sich in den dichten Großstadtverkehr ein. Irgendwann bemerkte auch der Hauptkommissar die exzellenten Fahrkünste der neuen Kollegin und lehnte sich entspannt zurück. Sie fuhren entlang des Englischen Gartens in Richtung Osten zur A9 und bogen bei der Allianz Arena in südlicher Richtung des Autobahnringes ab. Auf Höhe des Stadions fragte der Kommissar unvermittelt: »Interessieren Sie sich für...

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