Bächle, Gässle, Puppentod

Bächle, Gässle, Puppentod

von: Ute Wehrle

Emons Verlag, 2016

ISBN: 9783863589844

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 3559 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Bächle, Gässle, Puppentod



1

»Du dämlicher Vollpfosten!« Katharina stieg erbost auf die Bremse, als die Bremslichter des holländischen Wohnmobils direkt vor ihr aufleuchteten, bevor es, ohne zu blinken, in die Parkbucht abbog. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie ein flachsblonder Mann in kurzen weißen Hosen heraussprang, die nur eine Nuance heller waren als seine bleichen Beine. Er zückte seine Kamera, um einen kapitalen Hirsch abzulichten, der im Begriff stand, in luftiger Höhe die B 31 zu überspringen. Dass er die andere Straßenseite nie erreichen würde, hatte einen guten Grund: Der Hirsch war aus Bronze. Und abgesehen davon für sportliche Höchstleistungen zu alt. Mit mehr als hundertfünfzig Jahren auf dem Buckel machte man eben keine großen Sprünge mehr. Das Denkmal zählte neben bollenhuttragenden Mädels zu den beliebtesten Fotomotiven im ganzen Schwarzwald. Was in Katharinas Augen allerdings noch lange keine Entschuldigung dafür war, sämtliche Verkehrsregeln zu ignorieren.

Leise schimpfend fuhr sie weiter. Die Straße zwischen Himmelreich und Hinterzarten, auf der sich Berufs- und Ausflugsverkehr gleichermaßen durchquälten, gehörte sowieso nicht zu ihren Lieblingsstrecken. Von der elenden Kurverei wurde ihr regelmäßig übel.

Trotz des flauen Gefühls im Magen drückte Katharina ordentlich aufs Gaspedal. Sie musste einen Zahn zulegen, wenn sie pünktlich in Überlingen sein wollte. Um zwei Uhr war sie mit der Vermieterin ihrer Ferienwohnung, einer gewissen Vanessa Engel, verabredet, die ihr den dazugehörigen Schlüssel überreichen sollte.

Katharina freute sich wie ein kleines Kind auf ihre freien Tage am Bodensee. Doch erst mal musste sie dort ankommen.

Wo kamen nur die vielen Lastwagen her? Und wo wollten die eigentlich alle hin? Katharina zog auf der Überholspur an einem polnischen Brummi vorbei. Ein Mercedes, der es ebenfalls eilig hatte, schmiegte sich an ihre Stoßstange. Wie sie diese unsägliche Auffahrerei hasste! Schleunigst scherte Katharina wieder rechts ein, um hinter einem italienischen Transporter zu landen. Gegen die Pferdestärken einer Edelkarosse, gepaart mit einem Idioten am Steuer, kamen sie und ihr altersschwacher Fiat einfach nicht an.

Sie drosselte das Tempo und fischte sich eine Zigarette aus der Packung, die neben ihr auf dem Beifahrersitz lag. Es würde schon nicht schlimm sein, wenn sie sich um ein paar Minuten verspätete.

Zugegeben, ein Schnäppchen war die luxuriöse Behausung, in der sie ihr verlängertes Wochenende verbringen würde, nun nicht gerade, sinnierte sie, als sie den Qualm durch das geöffnete Autofenster in den Schwarzwald pustete. Ausschlaggebend für Katharinas Wahl war ein riesiger Balkon gewesen, der zu der Wohnung gehörte. Die Aussicht direkt auf den Bodensee, mit deren Fotos die Eigentümerin im Internet um Gäste warb, war die hundert Euro pro Nacht locker wert. Vanessa Engel hatte ihr telefonisch noch einmal bestätigt, dass es sich um keine Fotomontage handle, und Katharina dezent darauf hingewiesen, das Geld doch bitte schnellstmöglich im Voraus zu überweisen, da noch andere Gäste großes Interesse an der traumhaft gelegenen Immobilie zeigten.

Vier Tage Bodensee – die hatte sie sich redlich verdient, fand Katharina. Nach dem ganzen Stress, den sie in den vergangenen Wochen in der Redaktion gehabt hatte, brauchte sie dringend eine Auszeit. Sie fühlte sich komplett ausgebrannt – ein Gefühl, das ihr bislang unbekannt gewesen war.

Besonders der letzte Artikel, den sie kurz vor ihrer Abfahrt noch hatte schreiben müssen, ging ihr immer noch an die Nieren: Eine taiwanesische Studentin war auf dem Rückweg von der Geburtstagsfeier einer Kommilitonin mitten in der Nacht auf der Habsburgerstraße von einem Auto angefahren worden, als sie den Zebrastreifen überqueren wollte. Was schon schlimm genug war. Noch schlimmer war, dass der Unfallverursacher einfach weitergefahren war, ohne sich um die schwer verletzte Frau zu kümmern. Zwei Nachtschwärmer hatten sie gefunden. Trotz ihres beachtlichen Alkoholpegels waren sie geistesgegenwärtig genug gewesen, den Notdienst zu verständigen.

Die Fahndung nach dem unfallflüchtigen Autofahrer lief bereits auf vollen Touren – doch bislang gab es nicht einen einzigen Zeugen, der der Polizei weiterhelfen konnte, wie Katharina von ihrem besten Freund, Hauptkommissar Jürgen Weber, wusste. Der Gesundheitszustand der Taiwanesin, die an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg studierte, war mehr als bedenklich. Man konnte nur hoffen, dass sie überlebte.

Es gab jedoch noch einen anderen Grund, warum sich Katharinas Stimmung, was ihre Arbeit betraf, auf dem Tiefpunkt befand. Der bisherige Verleger des »Regio-Kuriers«, Peter Bärkamp, der die kleine Zeitung seit Jahren finanziell am Leben hielt, hatte vor drei Monaten den Entschluss gefasst, in Ruhestand zu gehen. Seine Frau hatte vehement darauf bestanden, die badische Sonne endlich gegen die spanische einzutauschen. Bärkamp hatte nachgegeben und die Koffer gepackt. Seither residierte er in einer schmucken Finca auf Mallorca, genoss das Nichtstun und ließ es sich gut gehen. Vermutete Katharina zumindest.

Zuvor hatte er die Leitung der Zeitung schweren Herzens in andere Hände gelegt. Die bedauerlicherweise seinem Schwager gehörten, einem ehrgeizigen Mann Ende vierzig. Bodo Kiesel, der vor seinem Umzug nach Freiburg als stellvertretender Chefredakteur einer hessischen Lokalzeitung die Redakteure das Fürchten gelehrt hatte, zeigte sich wild entschlossen, den sinkenden Auflagenzahlen des »Regio-Kuriers« mit peppigen Storys auf die Sprünge zu helfen.

Schon seine erste selbst recherchierte Titelgeschichte über einen durchgeknallten Wanderverein, dessen Mitglieder ihrem Hobby bar jeglicher Kleidung nachgingen, war ein echter Knüller gewesen. Fünf Abonnenten hatten daraufhin empört den »Regio-Kurier« abbestellt, weil ihnen angesichts der Nackedeis in roten Socken und Wanderstiefeln angeblich das Frühstück im Hals stecken geblieben war. Mit der Folge, dass Kiesel zwar dankenswerterweise keine Artikel mehr verfasste, sich aber stattdessen ständig in die tägliche Redaktionsarbeit einmischte. Das bisherige Ergebnis seiner Bemühungen konnte sich durchaus sehen lassen – die gesamte Belegschaft stand kurz vor einem kollektiven Nervenzusammenbruch. Denn Kiesel verfügte trotz seines überschaubaren Intellekts über eine gnadenlose Selbstüberschätzung, die nicht die geringste Kritik an seiner Person oder seinen Entscheidungen zuließ. Zudem war sein Frauenbild, um es höflich auszudrücken, eher traditionell geprägt. Da er Katharina und ihre Kolleginnen aber zu seinem größten Bedauern nicht an den Herd stellen konnte, weil es in den Büroräumen des »Regio-Kuriers« einen solchen schlicht nicht gab, vergällte er ihnen stattdessen mit markigen Sprüchen den Arbeitstag.

Auch Redaktionsleiter Anton Gutmann, obwohl männlichen Geschlechts, litt unter dem neuen Regiment. Vor lauter Besprechungen über die Zukunft der Zeitung, die seit Kurzem »Jour fixe« und »Meetings« hießen, kam er überhaupt nicht mehr zum Schreiben. Und wenn er sich nicht gerade selbst mit dem neuen Verleger herumärgerte, heulte sich die Belegschaft in seinem Büro über Kiesels rüde Umgangsformen aus. In jüngster Zeit zählte Katharinas gutmütiger Chef immer verbissener die Tage bis zu seinem Ruhestand – eine Beobachtung, die sie mit großer Sorge erfüllte. Gutmann war die letzte Bastion im Kampf gegen Kiesel, die dessen Angriffen noch standhielt. Wenn sie fallen würde 

Katharina versuchte, den unerfreulichen Gedanken schnell zu verdrängen, während sie ihren Fiat im dritten Gang an Felsen und Bäumen vorbeiquälte. Schließlich hatte sie jetzt Urlaub. Und Kiesel, dieser aufgeblasene Wichtigtuer, war nun wirklich der Allerletzte, an den sie dabei denken wollte.

Uff. Erleichtert ließ sie das Höllental hinter sich. Wenn nichts dazwischenkam, würde in spätestens einer Stunde der Bodensee vor ihr auftauchen. Hoffentlich spielte das Wetter die nächsten Tage mit. Mitte Mai wusste man nie, ob die Eisheiligen nicht noch zuschlugen. Im Moment sah es allerdings nicht danach aus. Der Himmel war strahlend blau, und die Sonne tauchte Tannen und Laubbäume in warmes Licht. Selbst Katharina genoss den Anblick, obwohl sie nicht gerade zu den Fans des Schwarzwalds zählte. Für ihren Geschmack gab es hier zu viel Gegend und zu wenig Zivilisation. Und definitiv viel zu viele Püppchen mit Bollenhüten. Sie schaltete in den vierten Gang.

Ihr Haustier machte ebenfalls Urlaub – bei ihrem Nachbarn und Freund Manfred Klein, der ihr hoch und heilig versprochen hatte, Hasi täglich einmal die ABBA-CD vorzuspielen, die Katharina nebst unzähligen Vitaminpillen, Stroh, Trockenfutter und Trinkfläschchen für ihn eingepackt hatte. Um Hasi musste sie sich also keine Sorgen machen – der war für die nächsten Tage bestens versorgt. Und musste im Gegensatz zu Katharina keinen einzigen Euro für seine Unterkunft mit Animationsprogramm bezahlen.

»Geht’s noch?«

Ein Autofahrer, der sich in letzter Sekunde dazu entschlossen hatte, in Richtung Donaueschingen und nicht nach Triberg zu fahren, war haarscharf vor Katharina eingeschert. Auf dem Hinterteil der Rostlaube prangte fett ein Aufkleber »2 fast 4 you«.

»Idiot!«, brüllte Katharina, beschloss dann aber, sich nicht weiter aufzuregen. Es brachte ja eh nichts. Mit einer Hand fummelte sie eine CD aus dem Handschuhfach und schob sie in den Player. Schon bei den ersten Gitarrenriffs verbesserte sich ihre Laune schlagartig. Sie drehte die...

Kategorien

Service

Info/Kontakt