Alles ist besser in der Nacht

Alles ist besser in der Nacht

von: Rebecca C. Schnyder

Dörlemann eBook, 2016

ISBN: 9783038209287

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 454 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Alles ist besser in der Nacht



2


Ich saß in meiner Flohmarktwohnung auf meinem Tisch, die Füße auf den Korbstuhl gestützt, starrte auf meinen Laptop neben mir.

»Das ist doch dein Ding. Schreiben«, tönte mir Guen in den Ohren.

Ihr Lieblingssatz, wenn ich einmal mehr darüber sinnierte, was mit meinem Leben überhaupt anzufangen sei.

Mein Ding. Ist es das. Alle rennen und suchen ihr Ding. Das, was sie können, die Erfüllung des eigenen Talents. Aber was, wenn einer nichts kann. Billy taugt nicht zu mehr als zum Rauchen und Trinken. Das allerdings beherrsche ich meisterlich.

»Das ist doch dein Ding«, sagte ich zu mir selbst, um den Kerl in meinem Kopf zu übertönen, und lachte.

Ich hüpfte vom Tisch wie ein kleines Mädchen, um mich im gleichen Schwung auf die Matratze fallen zu lassen. Mein Griff zum Bier, das am Boden stand, ging daneben. Schaler Biergeruch verbreitete sich im Zimmer, während die Flüssigkeit langsam über das Parkett floss, um dann in den Ritzen zu versickern. Ich drehte mit dem Finger eine meiner Rockstar-Locken, beobachtete, wie sich mein Flüssigabendessen verflüchtigte.

Schon als Kind wollte ich immer etwas können. Etwas besonders gut können, die Beste sein in dem, was ich konnte. Doch sprach mir die Welt ein Talent ab. Und heute? Sollte ich ein Stern sein. Erst fickt dich die Welt, um dir zu zeigen, dass du nichts kannst, dann plötzlich sollst du ihr ein Stern sein. Da mach ich nicht mit.

Ich nahm, scheiße, die letzte Zigarette aus der Schachtel.

Nein. Da mach ich nicht mit.

Auf dem Rücken liegend, pustete ich Ringe gegen die Decke.

Und wofür ist das gut? Diese Suche? Tun wir alle so, als würden wir suchen. Das Richtige, das Eine. Und wie, zum Teufel, soll man wissen, wann man das Eine hat?

Der Eine, noch schlimmer.

Etwas Asche fiel mir aufs Gesicht, fluchend rieb ich mein tränendes Auge.

Ein Mensch. Ein einziger Mensch soll mir genügen? Ficken ist spannender, wenn man sich nicht kennt. Wenn nur das Blei nicht wäre, das am Morgen danach deinen Unterleib füllt.

Ich wartete, bis das Klingeln in der Leitung ertönte, zählte auf drei, dann legte ich auf. Hallo Hund, grinste ich in mich hinein. Ich wartete, starrte auf mein Telefon und zählte weiter. Bei 24 klingelte es, und mein Grinsen erstarb schlagartig. Jetzt galts ernst. Ich hob ab und pustete Rauch in den Hörer.

»Hallo?«

Ich schwieg erst mal.

»Hallo, wer ist da?«

Ich hörte seinen Atem in der Leitung. Das Geräusch gefiel mir. Wie Schlafen.

Dann war ich dran.

»Kommst du mit mir Zigaretten kaufen?«

»Was? Wer ist da?«

Stille.

»Ich häng wieder auf, wenn du nicht …«

»Billy«, unterbrach ich ihn. Häng nicht auf, fügte ich in meinem Kopf hinzu.

Ich bildete mir ein, wie der Hund am anderen Ende der Leitung lächelte.

»Billy. Hi.«

»Ja. Hi. Kommst du mit mir Zigaretten kaufen?«

»Ich soll mit dir Zigaretten kaufen?«

»Ja. Meine Schachtel ist leer.«

Er lachte.

»Dann eben nicht.«

»Warte doch. Billy. Schön, dass du anrufst.«

»In einer halben Stunde am kleinen Kiosk beim Turm.«

»Ich, o.k., gut.«

»Gut.«

Dann legte ich auf.

Viel beschissener hätte ein erstes Telefonat nicht laufen können.

Meine Kehle brannte noch vom Mutschnaps, als ich die Schachtel vom Privat-Kiosk-Mann zum verbilligten Preis entgegennahm. Billy, was machst du. Bloß weg hier, ging es durch meinen Wirrkopf.

»Du hast ja schon Zigaretten gekauft«, sagte da eine Stimme hinter mir.

Ich hatte Angst, mich umzudrehen. Schisshase. Scheißhase.

»Billy?«

»Ja«, gab ich zurück, noch immer mit dem Rücken zum Menschen, dem die Stimme gehörte. Das Umdrehen nahm er mir ab mit einem Bogen, den er schlug, und so sah ich plötzlich das Zauberlächeln vor mir.

»Hi.«

»Ja. Hi.« Ich klammerte mich an eine Zigarette und blickte schief zu Boden.

»Du hast ja schon Zigaretten gekauft. Dann kann ich wohl wieder gehen.«

»Dann geh doch«, entfuhr es mir.

»Hey, easy, war doch nur ein Witz.«

»Haha. Ha.«

Der Hund grinste.

»Du bist ein ganz Witziger, was?!«

»Trinkst du Bier?«, schlug er eine neue Taktik an.

»Ich trink alles. Und dich unter den Tisch.«

Guards down Billy. Sonst ist er schneller weg, als du fluchen kannst.

Ich versuchte zu lächeln.

»Also schön, Billy, dann lass uns eins trinken gehen.«

»Von mir aus.«

Grinsend nickte der Hund in Richtung der Kneipe auf der anderen Straßenseite.

Ich starrte auf mein Bier, das in der Abendsonne viel zu schnell warm wurde. Jegliche Worte waren aus meinem Kopf, meinem Mund verschwunden ins Nichts. Wieso hatte ich angerufen? Ich dachte an Frau Hans.

»Ich hätte dich nicht ganz so schweigsam eingeschätzt«, sagte er nach einer Weile.

Ich blickte auf und überlegte, wie er wohl hieß. Da, eine Frage.

»Wie heißt du?«

»Noe.«

Der Hund hat einen Namen, er heißt Noe.

»Hm. Schön.« Ich glaube, ich lächelte.

»Ich mag deine Frisur, Billy, wie der Drummer von den Babyshambles.«

Mit dem Satz war er da, willkommen in meinem Universum. Ich lass dich nicht mehr gehen.

»Ist das meine Nummer auf deinem Arm?«

Unter meinen zahlreichen Armreifen und -bändern waren einzelne Ziffern zu erkennen.

»Ich hatte nichts zum Schreiben dabei«, grinste ich verlegen.

»Aber einen dicken schwarzen Marker hattest du dabei.«

»Wasserfest.«

Wir grinsten uns an, dann lachten wir. Beide. Ich und der Hund, der jetzt Noe hieß. Wann hatte ich das letzte Mal gelacht?

Er drehte sein Bier in den Händen, ich wünschte ein Glas zu sein.

»Noe«, wiederholte ich für mich.

»Wofür hast du denn einen schwarzen Marker dabei? Machst du Tags?«

»Weisheiten. Auf Klowänden.«

»Weiser Vandalismus quasi.«

»Jemand muss die Welt ja retten.«

Fragend schaute mich Noe an, schob sein Kinn in Richtung der Toiletten.

Ich nickte grinsend. »Du musst aufs Frauenklo.«

Noe stand auf, trank den Rest seines Bieres in großen Schlucken leer, ich schaute auf seinen Hintern, als er im Lokal verschwand.

Ich zündete mir eine Zigarette an und tippte rauchend eine Nachricht für Guen in mein Telefon.

HAB MIR EINEN HUND ZUGELEGT

Und er mag meine Frisur, hängte ich in meinem Kopf hintendran.

»Post für alle. Du bist ja eine echte Philosophin.« Da war er wieder.

»Ich bin eine Großdenkerin«, nickte ich, »aber ich war betrunken. Apropos, willst du noch ein Bier?« Ich schwenkte mein leeres Glas, prostete seinem zu.

»Ein andermal, die Dame, ich muss los. Meine Nummer hast du ja.«

Ich rasselte zur Antwort mit meinen Armreifen.

»Und wenn du mich das nächste Mal in der Stadt siehst, renn nicht wieder davon.«

Ich wurde knallrot. Tomaten. Blut. Billy.

»Ich, das war …« Stottern. Ich wollte sterben.

»Hey«, er hob meinen beschämten Tomatenkopf mit seinem Zeigefinger unter meinem Kinn. »Wir sehen uns, ja?!«

Dann tippte er mir auf die Nase – SCHREIBT ES IN DIE ZEITUNG –, drehte sich um und war viel zu schnell um die Ecke verschwunden.

Guen lag bäuchlings auf meiner Matratze, Arme und Kopf hingen über den Rand. Sie kaute geräuschvoll Kaugummi und blätterte durch eine alte Ausgabe von Vogue.

Ich lehnte an der Wand, meine Beine über Guens geschlagen, und tippte mir fortlaufend selbst auf die Nase.

»Vielleicht ist er es ja«, sinnierte ich.

»Ist er was«, fragte Guen uninteressierter, als ich mir das vorstellte.

»Na der Gute.«

»Gut in was.«

»In allem. Einfach ein Guter. Halt so.«

»John hat einen Lover, John hat einen Lover«, trällerte Guen, bis ich ihr ein Kissen an den Kopf warf.

Sie tippte auf eine Seite im Magazin.

»Du könntest hier drin sein.«

»Du mich auch.«

»Also gut«, sie rollte sich zur Seite, stützte ihren Kopf mit der linken Hand, »was ist an dem Typ so toll?«

»Er, einfach, na alles irgendwie.«

»Du kennst ihn doch gar nicht.«

»Nein. Doch. Keine Ahnung.«

»Es ist nicht alles Gold, was glänzt, John.«

Guen passt auf mich auf.

»Das ist ein Guter. Echt«, insistierte ich. Ohne Erfolg.

»Erzähl mir das in zwei Wochen. Oder vier. Dann wärs schon Rekord.« Damit war das Thema für Guen vorerst erledigt, ihre Aufmerksamkeit galt wieder der Vogue.

Ich hielt daran fest. Der Hund, der jetzt Noe heißt, hatte mir auf die Nase getippt. Das machen nur die Guten.

Guen riss eine Seite aus dem Magazin und bearbeitete sie mit meinem Marker. Sie ließ ihren Kaugummi ein letztes Mal als Blase zerplatzen, dann klebte sie damit ihre Kunst etwas oberhalb meines Kopfes an die Wand.

»Hier, John, das bist du.«

Eine helle Frau räkelte sich auf einem Boot im Sixties-Badeanzug. Irgendwie krank sah sie aus. Und sie hatte schwarze Strichhaare von Guen bekommen, eine Bierflasche in der Hand, ebenfalls schwarz. Eine Sonnenbrille wie meine.

»Ich hab nicht so kleine Titten.«

Guen legte den Kopf schief, überlegte, griff dann wieder zum Marker.

»So, jetzt aber«, betrachtete sie ihr Werk....

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