Bull Mountain

Bull Mountain

von: Brian Panowich

Suhrkamp, 2016

ISBN: 9783518742754

Sprache: Deutsch

336 Seiten, Download: 1586 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Bull Mountain



1


Western Ridge, Johnson’s Gap
Bull Mountain, Georgia

1949

1


»Familie«, sagte der Alte zu niemandem.

Das Wort hing in einer Wolke aus gefrorenem Atem, bevor es im frühmorgendlichen Nebel aufging. Riley Burroughs gebrauchte es so wie ein Zimmermann sein Werkzeug. Manchmal betonte er es ganz sanft, um jemanden aus seiner Sippschaft auf Linie zu bringen, zuweilen aber nutzte er es auch mit der ganzen Subtilität eines Vorschlaghammers.

Der Alte saß auf der Veranda vor der Hütte in einem hölzernen Schaukelstuhl, der auf den abgetretenen und verzogenen Pinienbohlen langsam vor und zurück knarzte. Die Hütte gehörte zu den vielen Jagdunterständen, die seine Familie im Laufe der Jahre über Bull Mountain verteilt hatte. Diesen hier hatte Rileys Großvater, Johnson, gebaut. Der Alte stellte sich vor, wie der Stammesälteste des Bourroughs-Clans vor fünfzig Jahren hier gesessen hatte, und fragte sich, ob dessen Augenbrauen auch so dicht gewesen waren. Er war sich dessen sicher.

Riley zog einen Beutel mit trockenem Tabak aus dem Mantel und drehte sich eine Zigarette. Schon als Junge war er hierhergekommen, um zu verfolgen, wie Johnson’s Gap zum Leben erwachte. So früh am Tag war der Himmel violett wie ein Bluterguss. Der aufgedrehte Chor der Frösche und Grillen wurde abgelöst vom Gewimmel der Insekten und Vogelgesang – Wachablösung im Waldland. An kühlen Morgen wie diesem hing der Nebel tief über den Kudzu-Ranken wie ein Baumwolltuch, so dicht, dass man seine Füße beim Hindurchlaufen nicht sehen konnte. Riley musste immer lächeln bei dem Gedanken, dass während alle anderen hinaufschauen mussten, um sie zu sehen, er von der anderen Seite auf die Wolken hinabblickte. So musste Gott sich fühlen.

Hinter ihm hatte die Sonne bereits ihren Aufstieg begonnen, aber die Kluft hier war stets die letzte Stelle, an der man sie zu Gesicht bekam. Der Schatten, den der Western Ridge warf, sorgte dafür, dass es immer beinahe zehn Grad kälter war als an jeder anderen Stelle am Berg. Bevor die Sonne den Tau getrocknet hatte, der den Wald glitzern ließ, würde es längst Nachmittag sein. Nur dünne Lichtstrahlen drangen durch den dichten Baldachin aus Eichen und Rotföhren. Als Kind hatte Riley geglaubt, diese Strahlen wärmenden Lichts seien die Finger Gottes, die dieser durch die Bäume hindurchstreckte, um diesen Ort zu segnen – um seine Heimat zu beschützen. Als Mann war er eines Besseren belehrt worden. Für die Kinder, die um einen herumwuselten, und die Frauen mochte dieser abergläubische Unsinn von Bedeutung sein, Riley aber war der Ansicht, dass, gäbe es da irgendeinen Sonntagsschulgott, der auf die Menschen auf diesem Berg aufpasste, nicht ihm selbst dieser Job immer zufallen würde.

Der Alte setzte sich und rauchte.

2


Das Geräusch von Autoreifen, die über Kies knirschten, vergällte ihm den Morgen. Riley drückte die Zigarette aus und beobachtete, wie der alte Ford-Pritschenwagen die Zufahrt hinauffuhr. Cooper Burroughs stieg aus und griff sich seine Flinte aus der Halterung unter der Heckscheibe. Cooper war Rileys Halbbruder, beinahe sechzehn Jahre nach ihm geboren, was man aber nicht sah, wenn sie nebeneinanderstanden. Sie hatten beide die gemeißelten Gesichtszüge ihres Vaters, Thomas Burroughs, doch die Bürde des Lebens auf Bull Mountain hatte ihren Wangen eine Schwere beigegeben, die sie wesentlich älter erscheinen ließ, als sie tatsächlich waren. Cooper schob sich den Hut auf den struppigen roten Haaren nach vorn und schnappte sich einen Rucksack vom Vordersitz. Riley sah zu, wie Coopers neunjähriger Sohn Gareth auf der Beifahrerseite auftauchte und um den Truck herum zu seinem Vater lief. Riley schüttelte den Kopf und blies den Rest kalten Rauchs aus seinen Lungen.

Das sieht Cooper ähnlich, einen Prellbock mitzubringen, wenn die Chancen gut stehen, dass es heiß hergehen wird. Er weiß nur zu gut, dass ich ihm vor dem Jungen nicht den Arsch versohle. Zu dumm, dass er seinen Grips nicht einsetzen kann, wenn’s drauf ankommt.

Riley stieg von der Veranda und breitete die Arme aus.

»Guten Morgen, Bruder … und Neffe.«

Weder antwortete Cooper gleich, noch gab er sich Mühe, seine Verachtung zu verbergen. Er schürzte die Lippen und spuckte Riley einen schmalen Strahl braunen Tabaksaft vor die Füße.

»Spar’s dir, Riley, wir kommen noch früh genug dazu. Ich muss erst mal was in den Bauch kriegen, bevor ich’s verkrafte, mir deinen Scheiß anzuhören.«

Cooper wischte sich den klebrigen Spuckefaden aus dem Bart. Riley grub die Hacken in den Schotter und ballte die Fäuste. Geschissen auf den Jungen, er war bereit, die Sache über die Bühne zu bringen. Gareth trat zwischen die beiden Männer, um die Spannung zu mildern.

»Hallo, Onkel Riley.«

Riley durchbohrte seinen Bruder noch ein paar Sekunden lang mit seinem Blick, bevor er in die Hocke ging, um sich seinem Neffen zuzuwenden. »Hey, hallo, junger Mann.« Riley streckte die Hand aus, um den Jungen zu tätscheln, aber Cooper schob ihn an ihm vorbei und die Stufen zur Hütte hinauf. Riley erhob sich, ließ die Arme sinken und steckte die Hände in die Manteltaschen. Er warf noch einen ernsten Blick zu den Kastanieneichen und Grüppchen von Ahornbäumen hinüber und dachte erneut an seinen Großvater. Stellte sich vor, wie er hier stand, genau dasselbe tat. Dieselben Bäume anschaute. Denselben Schmerz in den Knochen spürte. Dies würde ein langer Morgen werden.

3


»Du musst die Eier immer weiterrühren«, sagte Cooper. Er nahm seinem Sohn den Holzlöffel aus der Hand, schabte einen Batzen Butter ab und warf sie in die blubbernde gelbe Masse. »Du rührst sie so lange, bis alles Flüssige weg ist. So. Siehst du?«

»Yessir.« Gareth nahm wieder den Löffel und machte es so wie gezeigt.

In einer gusseisernen Pfanne briet Cooper etwas Schweinespeck und Schinken an und servierte dann Sohn und Bruder beides, als habe der Hickhack vorhin draußen gar nicht stattgefunden. So geht es eben unter Brüdern. Gareth ergriff als Erster das Wort.

»Deddy meinte, du hättest hier mal einen Grizzly getötet.«

»Das hat er gesagt?« Riley sah seinen Bruder an, der dasaß und sich Eier und gebratenes Fleisch in den Mund schaufelte.

»Na ja, da irrt sich dein Deddy aber. Das war kein Grizzly. Das war ein Braunbär.«

»Deddy meinte, du hättest ihn mit einem Schuss getötet. Er meinte, niemand sonst hätte das machen können.«

»Na ja, ich glaube, das stimmt nicht. Du hättest ihn genauso erwischen können.«

»Wieso hast du den Schädel nicht hier hängen? Dann hätten wir was zum Angucken.«

Riley wartete ab, ob Cooper darauf antworten würde, aber der sah nicht von seinem Essen auf.

»Gareth, hör mir mal gut zu. Dieser Bär? Ich wollte ihn gar nicht töten. Ich hab’s nicht gemacht, um ›was zum Angucken‹ zu haben oder um eine Geschichte erzählen zu können. Ich hab ihn getötet, damit wir durch den Winter kommen. Wenn man auf diesem Berg etwas tötet, sollte man einen verdammt guten Grund dafür haben. Wir jagen hier oben aus Notwendigkeit. Nur Idioten jagen aus Spaß. Der Bär hat uns monatelang warm gehalten und ernährt. Ich hab ihm was zu verdanken. Verstehst du, was ich mit ›ihm was zu verdanken haben‹ meine?«

»Glaube schon.«

»Ich meine damit, dass ich sein Leben entehrt hätte, hätte ich ihn bloß getötet, um mir eine Trophäe an die Wand zu hängen. Das ist nicht unsere Art. Wir haben alles an ihm verwendet.«

»Sogar den Schädel?«

»Sogar den Schädel.«

Cooper meldete sich zu Wort. »Verstehst du, was dein Onkel dir da erklärt, Junge?«

Gareth nickte seinem Vater zu. »Yessir.«

»Gut, denn das ist eine wichtige Lektion. Jetzt aber genug geredet. Iss dein Frühstück, damit wir loskommen.«

Den Rest der Mahlzeit über schwiegen sie. Während sie aßen, studierte Riley Gareths Gesicht. Es war kreisrund, und die Wangen, die immer rosig waren, egal bei welchem Wetter, waren von Sommersprossen übersät. Genau wie sein Vater hatte er tiefliegende, eng zusammenstehende Augen. Damit man die Farbe bestimmen könnte, hätte Gareth sie richtig weit aufreißen müssen. Es waren Coopers Augen. Es war Coopers Gesicht, ohne den buntgefleckten Bart und den Schneid – und den Zorn. Riley versuchte, sich zu erinnern, wann sein Bruder so ausgesehen hatte. Es fühlte sich an, als sei das hundert Jahre her.

Als ihre Bäuche voll waren, griffen die beiden Männer nach ihren Flinten und dehnten die morgendlich kalten Muskeln. Cooper beugte sich vor und zog die Wollmütze auf dem Kopf seines Sohnes zurecht, damit seine Ohren bedeckt waren.

»Bleib warm und immer in der Nähe«, sagte er. »Wenn du mir krank wirst, wird mir deine Mama den Hintern versohlen.«

Der Junge nickte, war aber mehr mit seiner wachsenden Aufregung beschäftigt, seine Augen fixierten die langen Gewehre. Sein Vater hatte ihn mit einer Kleinkaliber üben lassen, damit er sich an den Rückschlag gewöhnte und ein Gefühl für die Reichweite bekam, aber er wollte lieber eine Männerwaffe tragen.

»Kann ich ein Gewehr tragen, Deddy?«, fragte er und kratzte sich an der Mütze, dort wo sein Vater daran gezogen hatte.

»Na ja, ohne wirst du nichts schießen können, denke ich«, sagte Cooper und nahm eine .30-30 vom steinernen Kaminsims. Das Gewehr war nicht neu, aber es war schwer und solide. Gareth nahm die Waffe und...

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