Ich und Vater - Roman

Ich und Vater - Roman

von: Wolfgang Pennwieser

Czernin Verlag, 2016

ISBN: 9783707605723

Sprache: Deutsch

192 Seiten, Download: 3775 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Ich und Vater - Roman



 

I. TRIMENON

 

4. Schwangerschaftswoche

???

 

5. Schwangerschaftswoche

Positiv.

 

6. SSW – Hirnblase

Ich und Vater. Das passt nicht, gar nicht. Ich sehe mich als Cowboy, als Country Star, als Mittelstürmer. Eine Mischung aus John Wayne, Johnny Cash und Johann K. Ein Antifamilienmensch jedenfalls, ohne sicheres Einkommen, ohne Rücklagen. Ohne Verpflichtungen und ohne Platz für ein Kind. Fünfzig Quadratmeter. Hörst du? Fünfzig Quadratmeter! Nicht größer ist sie – meine Wohnung, und etwas Größeres kann ich mir nicht leisten. Darin zu dritt? Wenn Betty überhaupt in die Stadt zieht. Und warum sollen wir überhaupt zusammenziehen? Innenstadtkleinfamilie spielen, mit Fremdwährungskredit und Eigentumswohnung? Betty schiebt dazu, wie all die anderen gelangweilten Mütter, ihren Kinderwagen von Shiatsu-Massage zu Feldenkrais-Therapie. Zuerst schwangerschaftsdepressiv, dann stillpsychotisch und unleidlich. Und ich? Ein Oberlippenbartstumpfsinnigkeitsvater, sparsam im Geldausgeben, mit Kombi und Bauchspeck. Einziger Höhepunkt der Woche: mittwochs mein Fußballabend von acht bis zehn. Und mehr ist nicht. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, eigentlich möchte ich allein wohnen bleiben. So gut kenne ich Betty nach knapp sieben Jahren auch wieder nicht, denn während sie zu Beginn unserer Beziehung Römerdörfer ausgrub und ich von Praktikum zu Praktikum wechselte, blieb uns nicht viel Zeit für eine Beziehung. Wie gut muss man sich kennen, um ernsthaft ans Kinderkriegen zu denken? Doofe Gruppenselbsterfahrungstherapieeinstiegsfrage.

 

Ich denke, dir ist das vollkommen egal – oder? Du kommst einfach, ohne Einladung. Offiziell haben wir dich meines Wissens nämlich nicht eingeladen. Eher inoffiziell, wir hielten die Tür ein wenig offen und ließen das Licht brennen. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass du reingekommen bist. Denkst du, oder? Das denkst du doch? Mit deiner Hirnblase. Der Gynäkologe, ein Freund von mir, meinte gestern bei der ersten Ultraschalluntersuchung, er sieht schon die Hirnblase. Hoffentlich kommt noch was rein, sagte ich. Ich fand es lustig. Betty hat nicht gelacht. Mein Gynäkologenfreund auch nicht wirklich. Außer der Hirnblase zeigte er uns auch noch deine Arme und Beine. Das Rückenmark ist auch schon angelegt. Das war aufregend, dich das erste Mal zu sehen. Du schaust gut aus. Aber gutes Aussehen ist nicht alles. Willst du dir das wirklich antun? Auf dieser Welt? Mit mir als Vater? Hast du dir das gut überlegt? Du hast es dir gar nicht überlegt! Das dachte ich mir. Die Welt ist zu groß, um allein zu bleiben, meinst du. Du denkst doch so, sonst würdest du nicht auf die Idee kommen, dich auf so etwas einzulassen. Ich will dir das Ganze jetzt nicht ausreden, und mit Betty als Mutter hast du es gut erwischt, so richtig gut erwischt. Aber einen Vater wie mich zu haben, der nach all den Jahren Beziehung kein einziges aufrichtiges Gespräch mit seiner Freundin übers Kinderkriegen geführt hat, noch dazu, wo wir beide schon über dreißig sind. Das ist dir egal! Du kommst trotzdem.

 

Na gut, du bist willkommen, auch ohne Einladung. Ich habe inzwischen nachgelesen, was du in der ersten Woche bereits erlebt hast, und bin beeindruckt: Dreißig Stunden nach der Befruchtung warst du schon nicht mehr allein, sondern im Zweizellstadium. Dann ein Vielzeller namens Morula. Ich kannte das Wort bereits aus dem Biologieunterricht oder aus einer GEO-Leben-Special-Reportage. Die Morula ist ein kugeliger Zellhaufen aus mindestens sechzehn Zellen. Warum ich mir so etwas merke, ist mir unklar. Diese Zellen haben sich aus einer Zelle entwickelt, sind aber nicht größer als die Ursprungszelle. Die Zellen entstehen, indem sie sich teilen. Menschliches Leben entsteht primär durch Teilen. Ich verstand diesen Satz als Motto für die Menschheit. Ich muss wohl zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein. Damals hatten solche Aussagen noch Gewicht und wurden von mir als bedeutungsvoll für mein Leben angesehen. Wir können nur leben, indem wir teilen, uns teilen, uns aufteilen, miteinander teilen. Mit solchen Ansichten kam man gut an im Ferienlager der christlichen Jugend. Heute würde ich sagen: Leben kann man nur, indem man sich zerteilt. Einen Spagat macht zwischen den Wünschen seiner Jugend und der Erwachsenenrealität, zwischen den Wünschen seiner Freundin, seiner Mutter, seines Chefs, seines Steuerberaters, seines Arztes, seines Yogalehrers, seines Body-Mass-Index, seines Girokontos, seines Gewissens, seines Talents und der Realität. Morula ist nun unsere Realität. Besser gesagt: war. Denn das Stadium ist mit dem vierten Tag der Schwangerschaft schon wieder vorbei. Morula ist der absolute Anfang, so gesehen befinde ich mich im Morulastadium – schwangerschaftsnachrichtenverarbeitungsmäßig. Ich hoffe, ich werde bald eine Blastozyste. Du hast schon so viel durchgemacht bis jetzt, bist durch den Eileiter gewandert und hast dich in Bettys Gebärmutter »eingenistet«. Als wir dich noch nicht richtig entdeckt, aber irgendwie geahnt haben, in der vierten Woche, hattest du bereits Blutgefäße, Herz, Augen, Ohren und Arme. Für dich klingt das sicher super, für mich ein bisschen unheimlich.

 

Du bist doch kein Lamm

Betty meinte heute, wenn wir zusammenziehen, und ich denke, es besteht ihrerseits kein Zweifel daran, brauchen wir eine Wohnung im Grünen. Nach meinem Seufzen korrigierte sie: Es muss zumindest ein großer Park in der Nähe sein. Du wirst doch kein Lamm. Oder? Brauchst du eine Weide? Wir bewegen uns mit unserer gemeinsamen Wohnung bereits rasant und unreflektiert in Richtung Stadtrand, schlimmer noch, in Richtung Land, sagte ich zu Betty. Wir sind auf dem besten Weg, es genauso falsch wie alle anderen zu machen, die die Stadt verlassen und es dann nicht aushalten auf dem Land, vom Leben dort aufgefressen werden, sich gegenseitig zermürben, nur der guten Luft wegen. Der erste und grundlegende Fehler, sobald ein Kind kommt, ist zu denken: Wir brauchen was Grünes. Dieser Gedanke, der sich immer und ausschließlich als Fehlgedanke entpuppt, weil er spätestens fünf Jahre nach seiner Umsetzung, meistens viel früher, das Paar auseinanderbringt, zum Scheidungsanwalt führt und ins Unglück stürzt, lässt alles andere außer Acht. Der Gedanke, ins Grüne zu ziehen, ignoriert alles, was bisher wichtig war. Die eingeengte und oft unverrückbare Sichtweise, Kinder würden nur und ausschließlich im Grünen groß werden und gedeihen können, nimmt alles in Beschlag. Alle Warnungen werden ignoriert, jede Skepsis wird übergangen. Der »Ins Grüne ziehen«-Gedanke ist allmächtig. Die Folge: Hauskauf oder schlimmer noch: Grundstückskauf. Auf dieses Grundstück wird dann ein Fertigteilhaus gestellt, das genauso geschmacklos ist wie spätestens nach zehn Jahren wertlos. Erst recht, wenn die Kinder das Haus verlassen haben und, falls eine Ehe noch existiert, die Eltern täglich mit schwersten Depressionen an den »Kinderzimmern« vorbeigehen müssen.

 

»Unser Kind soll es gut haben. Aber wie kann das in der Stadt gehen bei all dem Lärm, dem Hundekot, dem Smog?«, sagte Betty. Ich soll nicht nur an meine Bedürfnisse denken, sondern auch an deine. Die Bedürfnisse von unserem Kind kennst weder du, noch kenne ich sie. Ich weiß, dass es in erster Linie uns gut gehen muss, damit es dem Kind gut geht. Und auf dem Land werden wir uns gegenseitig aufreiben, aber nicht im erotischen Sinne, war meine polemische Antwort. Wenn du mich zu einem Tommy-Hilfiger-Button-down-Hemdträger im Reihenhaus mit Garten und Rasenmäherroboter machen willst, dann brauchen wir nicht länger über die Bedürfnisse unseres Kindes zu reden. Dann ist alles schon gesagt. Betty meinte daraufhin, dass ich hysterisch bin und nicht alles, was mit Familie zu tun hat, zwangsläufig in einer Katastrophe enden muss. Wir müssen nur höllisch aufpassen, sagte ich, denn die Ewigkeit der Liebe ist kurz. Ich soll nicht so theatralisch sein, erwiderte Betty, außerdem kommt für sie auch der Stadtrand in Frage. Sie fühlt sich nämlich dort wohl.

Auch ich liebe meine Wohnung. Sie ist klein und übersichtlich. Ich mag meine Nachbarn, die ich kaum kenne und die mich in Ruhe lassen. Es hat lange gedauert, diese ideale Wohnung für mich zu finden. Sie ist ruhig und doch zentral. Sie ist hell und doch nicht zu heiß. Ein Kaufhaus, ein Bäcker und ein Zeitungsladen sind gleich in der Nähe. Ich brauche in der Regel lange, bis ich mich irgendwo einlebe. Man kann ein Kind doch auch aufziehen, ohne zusammenzuwohnen, nur für den Fall, dass wir uns nicht einigen. Was meinst du? Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen. Bist du Stadtmensch oder Landmensch? Ich weiß, was ich bin.

 

Stephan ist kein gutes Vorbild. Er ist mein bester Freund und seit sechs Jahren Vater. Er hat mit seiner Frau Annett zwei Söhne und steckt in einem unauflösbaren Dilemma fest. Er will viel Zeit mit seinen Kindern verbringen und arbeitet mehr als je zuvor. Betty meint, Stephan will den Schwierigkeiten, die zu Hause auf ihn warten, aus dem Weg gehen und stürzt sich deshalb in die Arbeit. Das ist nur die halbe Wahrheit. Stephan ist pflichtbewusst, die Probleme mit Annett kommen noch dazu. Klassischerweise sieht er sich als Ernährer, seiner Familie soll es gut gehen, er muss sich um ihre Versorgung kümmern. Dazu gehört, dass er auf seine Karriere achtet. Aus Angst vor beruflichen Nachteilen traut er sich nicht zu sagen, dass er früher seine Arbeit beenden will, um mit seinen Jungs den Abend zu verbringen. Ich verstehe ihn. Er hat viel investiert,...

Kategorien

Service

Info/Kontakt