Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden

Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden

von: Sineb El Masrar

Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783451805530

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 914 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Emanzipation im Islam - Eine Abrechnung mit ihren Feinden



2. Ein Islamverständnis richtet sich ein


Es waren einmal Hinterhöfe …


Die Moscheen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, den ersten Jahren der Einwanderungszyklen in Deutschland, sind oft eigenverantwortlich von gemeinnützigen Vereinen gegründet worden. Häufig handelte es sich um kleine Gewerberäume, die als spärlich eingerichtete Hinterhofmoscheen dienten. Die Spenden der Gemeinschaftsmitglieder sowie der regelmäßig dort betenden Moscheebesucher und -besucherinnen haben dieses Provisorium bis heute erhalten. Denn wozu eine repräsentative Moschee bauen, wenn die GastarbeiterInnen morgen vielleicht schon wieder in ihre Heimat aufbrechen? Heute ist ein Teil der über 2600 Moscheen in einem der Islamvereine organisiert. Zum Beispiel in der DİTİB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion), der IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüş), der wiederum im IRD (Islamrat in Deutschland) organisiert ist. Des Weiteren gibt es noch die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, den ViKZ (Anstalt für Religion und Verband der islamischen Kulturzentren), den ZMD (Zentralrat der Muslime), die IGS (Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands) und den Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZMaD). Hinzu kommt der alevitische AABF (Alevitische Gemeinschaft Deutschland). Islamrat, ZMD, DİTİB und ViKZ haben sich 2007 auf Anraten des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble zu einem sogenannten Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen, der allerdings nicht als Dachverband aller Islamvereine fungiert, sondern eher als Sammelbecken für nicht gewählte Islamvertreter.

Bis heute ist der KRM kein eingetragener Verein. Zu sehr überwiegen offenbar die Konkurrenzkämpfe der einzelnen Verbände untereinander um den Status, auf staatlicher Ebene alleiniger Ansprechpartner für die Muslime in Deutschland zu sein. Dies verwehrte den Verbänden bislang die Möglichkeit, als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden, weswegen sie auch nicht in den Genuss einer Art Kirchensteuer kommen, wie sie etwa die jüdische Gemeinde via Finanzamt einziehen kann. Angesichts des Islamverständnisses, das die Verbände vertreten, scheint mir das allerdings nicht das schlimmste Szenario! Und doch hat sich das Ausharren der Verbände für sie gelohnt. Denn ihre Haltung – wir müssen uns nicht bewegen und unsere Islamansichten nicht hinterfragen! – hat ihnen trotzdem eine Hintertür zur staatlichen Anerkennung eröffnet. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen sehen die Anerkennung einzelner Vereine als Religionsgemeinschaft auf einem guten Weg. Auch wenn ein Positionspapier der Grünen-Politiker Cem Özdemir und Volker Beck im November 2015 die existierenden Verbände nicht als Religionsgemeinschaften im klassischen Sinne einstufen.20

Als Frau und Muslima hält sich meine Begeisterung angesichts des zum Teil von den Verbänden verbreiteten Islamismus sowie ihrer Verbindungen zu islamistischen Gruppierungen in Grenzen. Ohne eine Auseinandersetzung der Verbände mit ihren ex­tremistischen Rändern und ohne eine Aufarbeitung ihrer eigenen Rolle im Extremismus sowie ihrer salafistischen Inhalte sehe ich ihre Anerkennung zu dieser Stunde als eine gravierende Fehlentscheidung an, die vor allem uns Frauen und Mädchen langfristig viel Benachteiligung bringen wird. Unter dem Bedeutungsgewinn der Verbände werden Mädchen, Frauen und LGBTs als Erste zu leiden haben, da die zum Teil islamistischen Ansichten der Verbände nicht nur in den Lehrplan des Islamunterrichts einfließen, sondern auch in der Jugendarbeit sowie in der (Gefängnis)Seelsorge und Extremismusprävention Einfluss nehmen werden. Ohne eine Aufarbeitung der eigenen Rolle durch die Verbände wird das Projekt eines gleichberechtigten Islam in Deutschland scheitern.

Ich wage die Behauptung: Das muslimische ­Führungspersonal in Deutschland ist vor allem eines – unfähig. Und diese Unfähig­keit wirkt sich auch auf die Moscheevereine aus, die bis heute chronisch unter Geldmangel leiden und vor allem auf Ehrenamtliche angewiesen sind, deren Basisarbeit meist weiblich geprägt ist. Nur, weil Verbände staatliche Gelder erhalten, wird deren Führungspersonal nicht kompetenter und ihr Denken frauenfreundlicher. Das Gedankengut bleibt dasselbe – es wird nur entlohnt. Einige Moscheevereine, wie zum Beispiel die ­DİTİB, die der türkischen Religionsbehörde DIYANET unterstellt ist, entsandte bereits in den 1980er-Jahren ausgebildete Imame nach Deutschland, als deutlich wurde, dass aus den Gastarbeitern türkische Arbeiter in Deutschland wurden. Dieser Einsatz ist vor allem der großen Anzahl Türkeistämmiger in Deutschland geschuldet. Auch Marokko entsandte und entsendet vereinzelt Imame in Städte und Länder, wo viele Marokkostämmige leben. Wie zum Beispiel in die Niederlande und nach Belgien, wo auch ein Mitglied meiner Familie bis zu seiner Pensionierung als Imam einer Gemeinde tätig war.

Damit bleibt die religiöse Unterweisung von muslimischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nach wie vor vielen Zufällen unterworfen. Sie ist weder strukturell organisiert noch inhaltlich unproblematisch, da sie auch immer von der Politik des Herkunftslandes abhängig ist, wie es am Beispiel der Türkei deutlich wird. Während vor dem Erstarken der AKP ein weniger dogmatischer Islam gelehrt wurde, sind es heute zunehmend Sympathisanten der Muslimbruderschaft, die an Einfluss gewinnen. So lässt uns İbrahim Alboğa, der Vorsitzende der DİTİB-Jugend Rheinland-Pfalz, via Facebook anhand einer Fotocollage mit den ägyptischen Muslimbrüdern Mohammed Mursi und Muhammad Badi’e wissen: »Unsere Kinder werden bezüglich uns sagen: das waren Männer.«21 Er ist der Sohn von Bekir Alboğa, dem Beauftragten für interreligiösen Dialog. Begriffe wie Jugend- und Dialogarbeit verkommen hier zu Hohlkörpern ohne respektvollen und substanziellen Inhalt. Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Da die Muslime unterschiedliche Sprachen und Dialekte sprechen, braucht es mehr denn je für die zweite, dritte und für die kommenden Generationen in Deutschland deutschsprachige Angebote. Bedauerlicherweise sind aber genau diese Angebote für junge Muslime und Konvertiten – religiöse Literatur, Videomaterial oder Freizeitangebote – reformsalafistisch oder extremistisch beeinflusst. Für die jungen, aber auch für viele der älteren Gläubigen, die meist nur mit einem eingeschränkten Islamwissen ausgestattet sind, sind diese salafistischen Einflüsse schwer auszumachen. Selbst den Eltern ist diese salafistische Bewegung in all ihren Spielarten ebenso unbekannt wie der nichtmuslimischen Gesellschaft. Hat sie doch nichts mit ihrem alten Islam aus der Türkei, Tunesien oder Syrien zu tun.

Im Fokus: Die muslimische Jugend


Leider wirft das diffuse Minderwertigkeitsempfinden vieler junger Menschen, die sich als Muslime verstehen, weltweit seine Schatten bis in unsere Gegenwart. Sie empfinden eine Leerstelle in ihrem Leben. Wer und was sind sie in dieser Gesellschaft? Welchen Platz können und dürfen sie einnehmen, ohne als Bürgerin und Bürger in Frage gestellt zu werden, allein weil ihr Name Aischa oder Ahmed lautet? Das Bedürfnis, mit ihresgleichen zusammen zu sein und einen Rahmen zu finden, in dem ein Austausch möglich ist, ohne sich erklären zu müssen, woher er oder sie kommt, ist bei ihnen virulent. Endlich Antworten auf die Fragen zu bekommen, die einen umtreiben, auch Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen, die im familiären oder schulischen Rahmen offen bleiben. Immer verbunden mit der grundsätzlichen Frage: Was ist Islam, und was müssen wir als Muslime darüber wissen? All dies auch, weil sie mit den Fragen von Nichtmuslimen, mit denen sie oft konfrontiert werden, häufig überfordert sind.

Das beste Beispiel, wie eine Antwort auf solche Bedürfnisse aussehen kann, bietet die Jugendarbeit der Muslimischen Jugend in Deutschland (MJD) und ihres österreichischen Pendants MJÖ. Aber auch andere Gruppierungen versuchen, mit bundesweit ausgetragenen Veranstaltungen die Nähe zu einer jungen Gesellschaft zu gewinnen, die wissbegierig und noch manipulierbar ist und allzu oft nicht in der Lage, problematische Inhalte zu erkennen und einzuordnen. Sie kommen zusammen auf Events wie zum Beispiel der Berliner YouCon. In Vereinen wie JUMA in Berlin oder dem bundesweiten Zahnräder Netzwerk versuchen sie, die Potenziale der Jugend für sich zu wecken und sie gleichzeitig zu empowern. Was für diese Generation von großer Bedeutung ist, um sich endlich wertgeschätzt zu fühlen und der nichtmuslimischen Gesellschaft mit mehr Selbstbewusstsein begegnen zu können. Aber auch, um den allgegenwärtigen Rassismus abzuwehren – anders als die Elterngeneration, die rassistische Anfeindungen viel zu oft stillschweigend über sich ergehen ließ. Die BetreiberInnen dieser Veranstaltungen und Organisationen, allen voran deren Sprecherinnen, finden schnell Anklang, indem sie das ansprechen, was ihr Gegenüber hören möchte. Der Tenor lautet daher fast immer: ISLAM-HATS-ERFUNDEN- und ES-WIRD-IMMER-NUR-ÜBER-UNSERE-(KOPFTUCH)KÖPFE-HINWEG-GESPROCHEN-UND-NICHT-MIT-UNS sowie ISLAM-IST-DIE-­LÖSUNG. Dass sich das in den vergangenen fünf Jahren durchaus auch zum Positiven geändert hat, ist maßgeblich Vereinen und Initiativen wie Neue Deutsche Medienmacher, Mediendienst Integration, Junge Islam Konferenz und DeutschPlus zu verdanken, die einen pluralistischen und nicht ausschließlich religiösen Weg verfolgen – und schon gar keinen salafistischen. Ihre intellektuelle Vielfalt ist der Motor einer Debatte, die ein neues deutsches Leitbild voranbringt. Nicht unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der Religiosität, die im...

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