Psychopharmakotherapie griffbereit - Medikamente, psychoaktive Genussmittel und Drogen - griffbereit

Psychopharmakotherapie griffbereit - Medikamente, psychoaktive Genussmittel und Drogen - griffbereit

von: Jan Dreher

Schattauer GmbH, Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2016

ISBN: 9783794590414

Sprache: Deutsch

284 Seiten, Download: 4405 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Psychopharmakotherapie griffbereit - Medikamente, psychoaktive Genussmittel und Drogen - griffbereit



1 Psychopharmaka im Überblick


Beginnen wir das Buch mit den Psychopharmaka im engeren Sinne. Danach werden wir auf Genussmittel und Drogen eingehen.

Psychopharmaka gehören zu den meist verordneten Medikamenten überhaupt. Unter den Psychopharmaka liegen die Antidepressiva in der Verordnungshäufigkeit ganz vorne. Ich möchte Ihnen mit diesem Buch einen Überblick verschaffen, welche Medikamentengruppen es gibt, wie sie wirken und Ihnen ein Bild von einigen prominenten Vertretern jeder Gruppe vermitteln. Darüber hinaus möchte ich diejenigen Sachverhalte erläutern, die erforderlich sind, um sich im Feld der psychiatrischen Pharmakologie selbstständig zu orientieren.

Früher war es üblich, Psychopharmaka nach ihrer chemischen Struktur einzuteilen. Für Chemiker und Pharmakologen ist das immer noch interessant, für Psychiater ist es nur noch für einige spezielle Fragen relevant. Eine Einteilung nach der Aktivität am Rezeptor der Nervenzellen ist schon wichtiger, da diese etwas über zu erwartende Wirkungen und Nebenwirkungen aussagt. Letztlich von Bedeutung für den Psychiater ist jedoch nur eines: die klinische Wirkung.

In der Psychopharmakologie haben sich folgende fünf Hauptwirkungen herausgestellt, nach denen die Wirkstoffe eingeteilt werden:

  • antidepressiv
  • antipsychotisch
  • phasenprophylaktisch
  • angstlösend (= anxiolytisch)
  • beruhigend (= sedierend)

Darüber hinaus gibt es noch Substanzen für bestimmte, sehr eng umschriebene Einsatzgebiete, wie Substitute für Suchtstoffe, Medikamente für Entzugsbehandlungen und einige andere, auf die wir noch genauer eingehen wollen.

Schlafmittel nehmen gewissermaßen eine Sonderrolle ein. Schlafmittel sind Benzodiazepine, Benzodiazepin-ähnliche Substanzen oder Sedativa, die in der Absicht gegeben werden, Schlaf zu erzeugen. Aufgrund der häufigen Verordnung der Schlafmittel habe ich ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet.

1.1 Wahl des Psychopharmakons


Das Vorgehen zur Wahl eines Psychopharmakons ist mehrstufig: Zuerst erhebt man in der klinischen Untersuchung eine Anamnese und den aktuellen psychischen Befund. Dieser trifft Aussagen darüber, welche Störungen, welche Symptome in welcher Kombination und Schwere vorliegen.

Hieraus ergibt sich oft bereits die Diagnose, manchmal sind apparative Zusatzuntersuchungen erforderlich, aber sehr oft dienen diese nur dazu, körperliche Erkrankungen als Ursache für eine bestimmte psychiatrische Symptomatik auszuschließen. Psychopathologischer Befund und Diagnose weisen dann den Weg zur Therapie, gegebenenfalls auch zur Pharmakotherapie. Diese richtet sich sehr viel mehr nach Art, Schwere und Kombination der Beschwerden als nach der zusammenfassenden Diagnose. Es ist wichtig, dies im Auge zu behalten, weil das Vorgehen in der somatischen Medizin oft anders ist.

Eine Grundregel in der Medizin besagt, dass man zuerst eine Diagnose stellen muss, aus der sich dann eine Therapie ableitet. Hat man eine präzise Diagnose, ergibt sich daraus eine ebenso klare Therapie. Also: Harnwegsinfekt mit Erreger XY, Therapie mit Antibiotikum Z. Dies klappt meistens.

In der Psychopharmakologie ist das meist nicht so. Zwar ist es zu Beginn notwendig, sich Klarheit über die Diagnose zu verschaffen. Aber das reicht bei Weitem nicht aus.

Die Diagnose »Psychose« z. B. gibt vor, dass ein Neuroleptikum in der Medikation vertreten sein sollte. Mehr nicht. Die Therapie orientiert sich vielmehr am psychopathologischen Befund: Wenn ich feststelle, dass ein Patient sehr ausgeprägt befehlende akustische Halluzinationen wahrnimmt, große Angst hat und psychomotorisch sehr unruhig und getrieben ist, dann werde ich ihm ein schnell wirksames, hochpotentes Neuroleptikum in einer ausreichend hohen Dosis gegen die Halluzinationen verabreichen sowie ein sicher wirksames, ausreichend dosiertes Benzodiazepin gegen Angst und Unruhe. Die Höhe der Dosis orientiert sich im ersten Schritt an der Schwere der Symptomatik. Auch im weiteren Verlauf werde ich mich bezüglich Dosis und Wahl der Präparate an der Wirkung orientieren. Stellt sich in der erwarteten Zeit eine ausreichende Wirkung ein, sind Auswahl und Dosis angemessen. Reicht die Wirkung nicht, muss die Dosis gegebenenfalls gesteigert werden. Ist die Wirkung zu stark, wie z. B. bei einer zu hohen Sedierung nach Gabe von Benzodiazepin, ist die Dosis zu reduzieren.

Praktisch alle Psychopharmaka-Klassen sind bei mehr als nur einer Diagnose anwendbar. So werden hochpotente Neuroleptika, besser bekannt als »Antipsychotika«, eben nicht nur bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis verordnet, sondern auch bei der wahnhaften Depression. Antidepressiva werden nicht nur bei Depressionen verordnet, sondern auch bei Angststörungen und Zwangserkrankungen. Sedierende Medikamente und Anxiolytika können bei praktisch allen psychischen Erkrankungen eine Indikation haben.

Die Psychopharmakotherapie orientiert sich also primär an Symptomen, nicht primär an Diagnosen.

Es ist wichtig, sich das klar zu machen, denn einige Symptome verändern sich sehr schnell, und dann soll auch die psychopharmakologische Behandlung schnell angepasst werden. Ein Patient, der keine Angst und keine Unruhe mehr hat, braucht auch keine Benzodiazepine mehr. Natürlich darf man nach längerer Gabe von Benzodiazepinen die Dosis nicht abrupt absetzen. Aber er braucht sie eben genauso wenig, wie ein Patient, der keine Schmerzen mehr hat, Schmerzmittel braucht: Er braucht sie nicht mehr.

1.2 Wirkung der Neurotransmitter


Nervenzellen kommunizieren über Neurotransmitter. Die zwischen den Nervenzellen übertragene Information liegt jedoch nicht im Transmitter selbst, sondern wird dadurch vermittelt, welche Neuronen der Transmitter beeinflusst. Wenn beispielsweise das Neuron, das in der Netzhaut links unten für die Erkennung der Farbe Rot zuständig ist, einen Impuls in Richtung optischer Cortex überträgt – egal welchen Transmitter dieses Neuron dafür verwendet – dann ist die Information übermittelt: »Links unten ist ein roter Punkt.«

Der am häufigsten verwendete Neurotransmitter im Gehirn ist GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Andere Neurotransmitter im Gehirn sind z. B. Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Darüber hinaus gibt es noch eine große Zahl weiterer Neurotransmitter, neuromodulatorischer Peptide und Hormone, die von Bedeutung sind.

Für die Psychopharmakologie ist es hilfreich, dass bestimmte Transmitter in bestimmten Funktionsbereichen eine besondere Verteilung haben. So ist das Noradrenalin besonders aktiv in Gehirnregionen, die mit der Regulation der Wachheit zu tun haben. Serotonin wird insbesondere im limbischen System verwendet. Das ermöglicht gewisse gezielte pharmakologische Eingriffe, die aber naturgemäß nie wirklich präzise sind. Am deutlichsten wird dies beim Neurotransmittersystem Dopamin. Dopamin ist der Botenstoff, der dabei hilft, Dinge als besonders wichtig zu erkennen. Wenn ich z. B. einen Schlüssel verloren habe und beim Suchen nach dem Schlüssel einen Hubbel unter der Serviette sehe, dann wird ein bestimmtes Gebiet meines Gehirns Dopamin ausschütten, und damit markieren, dass hier etwas Wichtiges wahrgenommen wurde. Ich werde unter der Serviette nachschauen, und wenn ich den Schlüssel dort finde, werde ich mich freuen und an einer anderen Stelle im Gehirn – im Belohnungssystem – erneut Dopamin ausschütten.

Bei der Psychose ist dieses Dopaminsystem verstärkt aktiv. Dinge, die für den Gesunden keine besondere Bedeutung haben, werden nun mit nicht vorhandenen Bedeutungen aufgeladen. So kann dem Betroffenen jedes zufällig beobachtete Gespräch zweier unbekannter Passanten auf der Straße wie eine Verschwörung gegen ihn vorkommen, von der größte Gefahr ausgeht.

Eine wirksame Therapie der Psychose liegt in einer Dämpfung der Aktivität des Neurotransmittersystems Dopamin. Dies führt zu einem Abklingen der psychotischen Symptome, z. B. der falschen Bedeutungszumessung eigentlich unwichtiger Dinge. Aber es führt auch dazu, dass Freude nicht mehr so gut empfunden werden kann, da auch das Belohnungssystem auf Dopamin angewiesen ist.

Auch die Körperbewegungen werden an einer gewissen Stelle von dopaminergen Neuronen gesteuert. Das weiß man von Parkinson-Patienten, die krankheitsbedingt zu wenig Dopamin in diesem Bewegungszentrum ausschütten. Hemmt man nun die Dopaminwirkung im Gehirn, eigentlich mit dem Ziel, eine Psychose zu behandeln, blockiert man sie dosisabhängig notwendigerweise auch an allen anderen Stellen im Gehirn, sodass sich im Falle der Blockade der dopaminergen Übertragung Bewegungsstörungen und Freudlosigkeit einstellen können.

Psychopharmakologische Eingriffe können immer nur bestimmte Systeme ansprechen. Wenn ein System krankheitsbedingt zu stark oder zu schwach aktiv ist, kann der Eingriff zu einer Normalisierung in diesem System führen. Es ist aber stets erforderlich zu berücksichtigen, in welche anderen Systeme die gewählte Medikation eingreift und was sie mit diesen Systemen macht.

1.3 Verordnungshäufigkeit der Psychopharmaka


Antidepressiva sind die am häufigsten verordneten Psychopharmaka, angeführt von Citalopram, Venlafaxin und Mirtazapin.

Psychopharmaka gehören zu den häufig verschriebenen Medikamenten. Um zu entscheiden, von welchen Medikamenten man sich unbedingt ein Bild machen sollte, ist es hilfreich, sich den Arzneiverordnungs-Report (Schwabe u. Paffrath 2015) anzuschauen. Dieser...

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