Fremdbestimmt - Die Suche nach einer Heimat

Fremdbestimmt - Die Suche nach einer Heimat

von: Rita Schäfer

Books on Demand, 2017

ISBN: 9783743105829

Sprache: Deutsch

436 Seiten, Download: 517 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Fremdbestimmt - Die Suche nach einer Heimat



Aufbruch ins Ungewisse


Obwohl es erst einmal als ein kurzer Besuch in Europa geplant war, war Maman an dem Tag vor Aufregung außer sich. Von einer Minute auf die andere änderte ihr Gesicht die Farbe. Sie war merkwürdig ruhig und hatte die letzten Tage vor dem Abreisedatum nicht viele Worte gesprochen. Mit Sorgfalt versuchte sie in den letzte Stunden vor der Abfahrt, mein Gepäck fertig zu machen. In meinem Koffer war alles, was ich zum Anziehen brauchte, und in meinem Handgepäck das, was am zeitaufwendigsten war, Sachen die mein Bruder Dariush bestellt hatte: Persische Spezialitäten, die in Europa eine Seltenheit waren. Leckereien, von denen Jeder, der ins Ausland reiste, reichlich mitnahm. Beim Einpacken war sie so genau und akribisch, dass alles Haar genau passte. Sie packte den Koffer mit Liebe und Aufmerksamkeit. Ihr zu zuschauen machte mich einerseits sehr stolz, anderseits sehr melancholisch. Es hatte den eigenartigen Beigeschmack, es gäbe nur das eine Mal, dass ich reiste.

Maman war sehr gut vorbereitet. Ab und an hob sie kurz den Kopf und erklärte mir in welcher Dose, was war. Erstaunlich war ihre Konzentration bei der Arbeit. Als mein Vater mit dem Vorschlag kam, war sie sich nicht schlüssig, aber jetzt schien es mir, dass sie voller Entschlossenheit war. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich allein verreiste.

Auf Empfehlung eines Freundes und Ex-Kollegen hatte Baba erfahren, dass Jugendliche unter sechzehn Jahren ohne Visum vom Teheraner Flughafen abreisen und in Deutschland einreisen dürfen. So hatte er mir, in Windeseile eine Woche vor meinem Geburtstag, ein Hin- und Rückflug-Ticket gekauft. Es war auch nicht ganz ohne Risiko, denn die Informationen könnten falsch sein oder Sonderregelungen, die sich schlagartig ändern konnten, so dass man mich abschieben und mich direkt mit dem nächsten Flugzeug nach Teheran zurückschicken könnte. Eine Abschiebung konnte sehr fatale Folgen bis zur Verhaftung hin haben. Dies alles zu wissen und trotzdem den Schritt zu wagen, passte nicht so ganz zu ihrem sonst überlegten und fürsorglichen Wesen als Maman.

Voller Bewunderung über ihre mutige Entscheidung akzeptierte ich jeden Wunsch und nahm jeden Rat von ihr an. Die Tatsache, dass ich ohne eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung nach Deutschland reiste, neben anderen Sorgen, machte sie sehr unruhig. Aber so diszipliniert sie war, bewahrte sie auch die Ruhe und versuchte ihre Ängste zu vertuschen.

Als es Fünf Uhr schlug, weckte sie meinen Vater und Darja, um sich langsam auf die Fahrt zum Flughafen vorzubereiten. So richtig freuen konnte ich mich nicht. Alles war so ungewiss. Mein Abschied fast unspektakulär. Keiner wusste, ob ich heute wieder nach Hause kommen oder in Frankfurt landen würde! Quasi ein Versuch, der zu probieren es Wert war, aber zum ernst nehmen, doch etwas verdächtig erschien.

Als wir ins Auto stiegen, schaute ich kurz noch einmal auf die Fassade des Hauses. Stein für Stein speicherte ich die Bilder in meinem Gedächtnis ab. Wer weiß, ob sie noch so in der Form da stehen würden, wenn ich zurück käme! Als mein Vater das Auto startete, setzte ich mich als Letzte in das Fahrzeug, dicht ans Fenster. Die Straßen waren noch frei. Teheran war im tiefen Schlaf, als die Dämmerung einsetzte und das Strahlen der Sterne langsam verblasste. Mit Augen voller Tränen schaute ich mir alles an. Trotz vieler Angriffe, und hässlicher Plakate, strahlte Teheran an jenem Morgen. Ich kurbelte die Scheibe herunter, um etwas Benzin und Gazoil einzuatmen. Diesen Geruch liebte ich so. Da drin steckte mein ganzes Leben. Die guten Erinnerungen, die bereits jetzt so fern zu sein schienen. Tief einatmend, zog ich so viel Luft in meine Lungen ein, wie ich konnte. Und genoss die Stille um mich herum. Seit langem hatte ich Teheran nicht so harmonisch erlebt. Die ganze Fahrt war im Auto so leise, dass ich beinahe vergessen hatte, dass sich noch andere Insassen im Auto befanden. Es sah aus, als würde Teheran trauern. Ein Trauerzug mit einem lebendigen Toten. Ein Toter, der zu Grabe getragen wurde. Die Ruhe und die Dunkelheit, der sanfte Wind, der die Bäume zum Verneigen brachte. Es war der perfekte Abschied.

So oft habe ich mir gewünscht, meine Heimat, die Stadt, die ich am meisten in meinem Leben liebte, so harmonisch zu erleben. Wie oft habe ich mir gewünscht, durch die noch für mich schönen Straßen von Teheran ungestört und nicht beängstigt zu spazieren. Der letzte Wunsch sollte dem Toten doch noch erfüllt werden. Freud und Leid kämpften wie zwei wilde Raubtiere miteinander in meiner Brust. Einen Moment dachte ich, warum bin ich nicht tot? Gott, wo bist du? Kannst du mich hören? Warum ich? Warum wir Perser?

Die warmen Tränen über meinen Wangen, waren die einzigen Trostspender und wahrscheinlich die letzten Gefährten, die mir Verständnis entgegenbrachten. Ich wusste dass alle anderen im Auto ruhig vor sich hin weinten, denn niemand versuchte mit dem Anderen zu sprechen, wie gesagt, genau wie ein Trauerzug. In wenigen Stunden gäbe es mich nicht mehr. Ich gehe in eine andere Welt. Eine Welt, die vielversprechender klang, aber um das heraus zu finden, musste man aufgeben. Teheran samt meiner Familie aufzugeben, war ein großer Preis. Aber der einzige Weg, um von den Toten auf zu wachen.

Nach einer guten Stunde Fahrt waren wir am Flughafen. Der Ausstieg aus dem Auto fiel mir besonders schwer. Schwermütig nahm ich mein Handgepäck aus dem Kofferraum. In meinem Kopf spielte sich so vieles ab. Maman ging neben mir Richtung Eingang Abflughalle und versuchte, mir gute Laune zu machen. „Schatz, freue dich doch auf das Wiedersehen mit Dariushh. In weniger als ein paar Stunden bist du bei ihm. Sehr beneidenswert.“ Lächelnd versuchte ich Ihren netten Worten etwas Positives abzugewinnen.

Angekommen im Flughafengebäude hatten uns der für Teheran typische Lärm und das Gedränge wieder fest im Griff. Schnell suchten wir meinen Abflugschalter. Das Gelände wurde von vielen Polizisten überwacht. Schon bei der Gepäckabgabe durfte Keiner mehr mit. Eine riesengroße Glasscheibe trennte die Begleiter von ihren Abreisenden. Und wie immer alles voller Leben. Große Menschenmengen überall. Maman bestand darauf, mich bis zum Schalter zu begleiten und bat Baba ein paar Worte mit den Wächtern hinter der Glasscheibe zu sprechen und für sie um Erlaubnis zu bitten.

Mit ein paar leise gewechselten Worten gelang es ihm mühelos, sie mit mir durchzuschleusen. Baba war an dem Tag sehr taff und war von der Entscheidung sehr überzeugt. Er sagte nur „Pass auf dich auf und ruf uns an, sobald du in Frankfurt angekommen bist. Mach dir bitte wegen uns keine Sorgen, wir warten hier noch eine Stunde bis zum Take off, sollten mit der Ausreise Probleme auftauchen, bin ich für dich erreichbar“. Er drückte mich sehr fest an sich und versteckte sehr geschickt seine Tränen.

Meine Schwester Darja, mit der ich mich bis dahin in einem kleinen Geschwisterstreit befand, weinte die ganze Zeit. Der Abschied von ihr war sehr verhalten und kurz. Von viel Schluchzen verstört. Vielleicht war sie ja doch erleichtert, mich endlich loszuwerden, oder aber auch vom schlechten Gewissen gequält. Aber ihre Tränen verrieten mir, wie sehr sie sich einsam fühlte. Irgendwo hatte ich Mitgefühl. Ich ließ sie mitten im Krieg im Stich. Ich ließ meine ganze Familie zurück. Wie egoistisch und selbstgefällig, dachte ich mir, als die Abreise immer näher rückte. Das einzig Wertvolle in meinem Leben blieb im Iran. Selbst wenn es eine Entscheidung meiner Eltern war, glücklich war ich nicht. Mein Bruder Dalir war sehr bedrückt und hat sich bereits vor der Gepäckabgabe von mir verabschiedet. Alles sehr kurz und knapp, aber beklemmend und traurig.

Kaum standen wir am Schalter, begrüßte uns ein sehr kleiner, sympathischer älterer Herr. An unseren traurigen Gesichtern war ihm schnell klar, dass ich alleine reiste. Ein gesprächiger, offener Mensch, der schnell seine Hilfe anbot. Er war auf Maman‘s unruhige Ausstrahlung aufmerksam geworden und sprach sie an. Zu Hause wurde mir beigebracht, dass ich keinem Fremden vertrauen sollte, aber diesmal war es Maman die ihre eigenen Regeln brach und eine Ausnahme machte. Herr Mazaheri übernahm für die Dauer des Fluges meine Patenschaft und versprach meiner Mutter ihr Vertrauen nicht zu missbrauchen und bis hin zur Übergabe an meinen Bruder, auf mich Acht zu geben wie auf seine eigene Tochter. Ich war froh, einen persönlichen Flugbetreuer zu haben, der mir bei Schwierigkeiten helfen konnte.

Auch nach 28 Jahren bin ich diesem Mann immer noch sehr dankbar, denn er war nicht nur ein sehr lieber und verantwortungsbewusster Mensch, sondern auch eine sehr wertvolle Informationsquelle. Die Reise mit dem „Tod“ dachte ich, hat sehr gut angefangen. Begleitet von einem durchaus nicht nur sehr netten, sondern auch einem intelligenten Ersatz-Papa. Wir hatten Glück und bekamen auch nebeneinanderliegende Sitzplatznummern. Herr Mazaheri gab mir ein Gefühl der Sicherheit.

Obwohl er sogar kleiner war als ich, wirkte er auf mich sehr souverän und konnte mit seiner Aura einen großen Raum füllen. Da, wo ich kaum ein Wort rauskriegte, sprang er für mich ein. Auf das Flughafenpersonal machte er...

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