Makers and Takers - Der Aufstieg des Finanzwesens und der Fall der Realwirtschaft

Makers and Takers - Der Aufstieg des Finanzwesens und der Fall der Realwirtschaft

von: Rana Foroohar

Plassen Verlag, 2017

ISBN: 9783864704390

Sprache: Deutsch

448 Seiten, Download: 1204 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Makers and Takers - Der Aufstieg des Finanzwesens und der Fall der Realwirtschaft



EINFÜHRUNG


Steve Jobs hätte es nicht so gemacht.

Im Frühjahr 2013 beschloss Tim Cook, sein Nachfolger als Vorstandsvorsitzender von Apple Inc., das Unternehmen müsse sich 17 Milliarden Dollar leihen. Ja, leihen – ungeachtet der Tatsache, dass Apple das wertvollste Unternehmen der Welt war, dass es bis dahin über eine Milliarde Geräte verkauft hatte, dass es bereits 145 Milliarden Dollar auf der Bank hatte und jeden Monat weitere drei Milliarden Dollar an Gewinn hinzukamen.

Weshalb also Geld leihen? Offensichtlich ja nicht, weil das Unternehmen ein bisschen knapp bei Kasse gewesen wäre oder weil es nicht an sein Geld herangekommen wäre. Nein, vielmehr hatten die Finanzgurus von Apple ermittelt, dass die Kreditaufnahme eine bessere, kostengünstigere Möglichkeit war, an Geldmittel heranzukommen. Egal, was ein Darlehen normalerweise kosten würde, Apple würde es viel günstiger bekommen – mithilfe einer Anleihebegebung zu Niedrigzinsen, wie sie nur Blue-Chip-Unternehmen zu Gebote steht. Noch besser war, dass Apple dafür seine Bankkonten nicht anzutasten brauchte, die ja nicht wie Ihres oder meines irgendwo ein paar Straßen weiter geführt werden. Vielmehr sind sie auf eine Reihe von Orten rund um den Globus verteilt, unter anderem auf Offshore-Finanzinstitute. (Bezüglich der Details gibt sich das Unternehmen verschwiegen.) Wollte Apple dieses Geld in die Vereinigten Staaten zurückholen, müsste es darauf saftige Steuern bezahlen. Das vermeidet es seit jeher eifrig, auch wenn es ein bisschen seltsam ist, dass ein durch und durch amerikanisches Unternehmen einen riesigen Batzen amerikanischer Steuern umgeht.

Also lieh sich Apple die 17 Milliarden Dollar.

Das war nie die Art von Steve Jobs gewesen. Er konzentrierte sich unermüdlich darauf, unwiderstehliche Produkte zu erschaffen, die das Leben verändern, und vertraute darauf, dass das Geld dann schon fließen würde. Im Gegensatz dazu achtet Cook sehr genau auf das Geld und dessen immer ausgeklügeltere Handhabung. Und warum? Unter anderem weil Apple seit Jobs’ Tod im Jahr 2011 keine Technologie mehr herausgebracht hat, die wirklich die Spielregeln verändert hat. Das drückte von Zeit zu Zeit auf den Aktienkurs des Unternehmens und weckte Bedenken hinsichtlich seiner langfristigen Zukunft, obwohl es nach wie vor Unmengen von Geräten verkauft. Es ist natürlich wie bei der Henne und dem Ei. Je mehr sich ein Unternehmen auf Financial Engineering anstatt auf die eigentliche Sache konzentriert, umso mehr sorgt es dafür, dass es dies auch in Zukunft tun muss. Doch das, was Apple im Moment hat, ist Bargeld, Cash.

Womit wir wieder bei den 17 Milliarden Dollar wären. Apple brauchte das Geld nicht, um ein neues Werk zu bauen oder um eine neue Produktlinie zu entwickeln. Es brauchte diese Mittel, um sich bei Investoren freizukaufen, indem es eigene Aktien zurückkaufte und die Dividenden aufstockte – um die schwache Aktienkursentwicklung auszugleichen. Und zumindest eine Weile funktionierte diese Taktik auch. Die Aktie stieg und bescherte den Verwaltungsratsmitgliedern von Apple, die das Manöver genehmigt hatten, sowie den Aktionären – Cook ist einer der größten – Buchgewinne in Millionenhöhe. Für sie war das toll, ließ Apple aber in keinem guten Licht erscheinen. Der Hedgefonds-Manager David Einhorn, der sich schon lange beklagte, Apple teile seinen Geldschatz nicht ausreichend, brachte es unabsichtlich auf den Punkt, als er sagte, Apple solle auf seine Bilanz „das gleiche Maß an Kreativität“ verwenden wie auf das Hervorbringen revolutionärer Produkte.1 In seinen Augen und denen vieler anderer Vertreter der heutigen amerikanischen Unternehmenswelt ist die eine Art von Kreativität so gut wie die andere.

Ich werde in diesem Buch jedoch anders argumentieren.

Die Tatsache, dass Apple als wahrscheinlich bekanntestes und sicherlich am meisten bewundertes Unternehmen der Welt heute einen Großteil seiner Zeit und seiner Anstrengungen auf das Nachdenken darüber verwendet, wie es mithilfe von Financial Engineering anstatt mit altmodischer Ingenieurtechnik mehr Geld verdient, zeigt uns doch, wie sehr die Prioritäten unseres größten Konzerns inzwischen auf den Kopf gestellt wurden – von der Politik ganz zu schweigen, die hinter einem Steuersystem steht, das die ganze Sache auch noch fördert. Diese kleine Momentaufnahme führt außerdem vor, wie weit entfernt viele der größten amerikanischen Unternehmen von den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Konsumenten sind – und von den Herzen und Hirnen des Landes im Allgemeinen.

Aber glauben Sie nicht, Apples Verhalten sei eine Anomalie. Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen von der Art, wie Apple sie getätigt hat – Schachzüge, die vor allem die Spitzenmanager eines Unternehmens sowie seine größten Aktionäre bereichern, jedoch häufig seine Innovationsfähigkeit beeinträchtigen, die Schaffung von Arbeitsplätzen bremsen und auf längere Sicht seine Wettbewerbsposition aushöhlen –, sind mittlerweile gang und gäbe. Die im Aktienindex S&P 500 enthaltenen Unternehmen haben von 2005 bis 2014 insgesamt über sechs Billionen Dollar dafür ausgegeben2 – um die Aktienkurse und die Märkte zu stützen, während sie gleichzeitig Arbeitsplätze und Investitionen abbauten.3 Die Tresore von Unternehmen wie Apple sind bis zum Überquellen gefüllt und in diesem Jahr werden Amerikas Top-Unternehmen sehr wahrscheinlich ihren Aktionären einen Rekordbargeldbetrag zurückgeben.

Indessen dümpelt unsere Wirtschaft in einer „Wiederbelebung“ dahin, die extrem zweigeteilt ist. Die Löhne stagnieren. Für sechs der zehn am schnellsten wachsenden Arbeitsplatzkategorien gelten Stundenlöhne von 15 Dollar und die Erwerbsquote befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit Ende der 1970er-Jahre.4 Früher war es so, dass mit wachsendem Vermögen der amerikanischen Unternehmen auch das Vermögen des Durchschnittsamerikaners wuchs. Doch heute hat irgendetwas diesen Zusammenhang zerstört.

Dieses Etwas ist die Wall Street. Führen Sie sich vor Augen, dass bereits Wochen nach Apples Ankündigung, es werde die 17 Milliarden Dollar an die Investoren ausschütten, noch mehr Haie zu kreisen begannen. Die „Heuschrecke“ Carl Icahn, einer der ersten Vertreter der wilden Horden, die vor den Toren lauern – in den 1980er- und 1990er-Jahren hatte er Konzerne von TWA bis RJR Nabisco attackiert –, begann unverzüglich Apple-Aktien zu kaufen. Gleichzeitig twitterte er Forderungen, Cook solle noch viel mehr Milliarden für Rückkäufe einsetzen. Mit jedem Tweet schnellte der Kurs der Apple-Aktie weiter in die Höhe. Bis zum Mai 2015 war Icahns Beteiligung an Apple um 330 Prozent auf mehr als 6,5 Milliarden Dollar angewachsen und Apple hatte versprochen, bis März 2017 insgesamt 200 Milliarden Dollar für Dividenden und Aktienrückkäufe aufzuwenden. Indes geht der Anteil der Ausgaben des Unternehmens für Forschung und Entwicklung – der bereits seit 2001 fällt –, bezogen auf den Umsatz, noch weiter zurück.5 Was derartige Zuckerräusche für die langfristige Zukunft von Apple verheißen, kann sich jeder selbst ausmalen, aber eines ist klar: Amerikas Wirtschaft ist keine Unternehmenswirtschaft mehr. Sie ist eine Finanzwirtschaft. Von „aktivistischen Investoren“ über Investmentbanken, Managementberater und Hochfrequenzhändler bis hin zu Versicherungsgesellschaften: Heute diktieren die Finanziers der amerikanischen Geschäftswelt ihre Bedingungen anstatt umgekehrt. Die Vermögensbildung innerhalb der Finanzmärkte ist zu einem Selbstzweck geworden, sie ist kein Mittel mehr zum Zweck allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstands. Der Schwanz wedelt mit dem Hund.

Schlimmer noch: Das Denken in finanziellen Dimensionen hat in der amerikanischen Unternehmenswelt derart tiefe Wurzeln geschlagen, dass selbst unsere größten und glänzendsten Unternehmen anfangen, sich wie Banken zu benehmen. So hat beispielsweise Apple angefangen, ein Gutteil seines überschüssigen Cashs für den Kauf von Unternehmensanleihen zu verwenden – ganz so, wie es Finanzinstitute tun. Dies gab 2015 den Anlass zu der Bloomberg-Schlagzeile: „Apple ist die neue Pimco und Tim Cook der neue Anleihekönig.“6 Apple und andere Technologieunternehmen sind jetzt ebenso maßgeblich für die Emission neuer Unternehmensanleihen wie Investmentbanken. Dies überrascht nicht, wenn man bedenkt, über wie viel Bargeld sie verfügen. (Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann Apple seine eigene Kreditkarte auflegt.) Sie verhalten sich im Grunde also wie Banken, sind aber nicht reguliert wie Banken. Würde „Big Tech“ irgendwann beschließen, die Anleihen abzustoßen, könnte das ein marktbewegendes Ereignis sein. Dieses Problem treibt die Experten im Office of Financial Research – einer Behörde des Finanzministeriums, die nach der Finanzkrise...

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