Das Gold von Maniema

Das Gold von Maniema

von: Jean Ziegler

VNW - Verlag Neuer Weg, 2017

ISBN: 9783880214484

Sprache: Deutsch

263 Seiten, Download: 1765 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das Gold von Maniema



2. Kapitel


Niangala, auf einem Felsvorsprung über dem Zusammenfluss des Kapili und des Duru gelegen, hatte etwa 7 000 Einwohner, die mehrheitlich dem Volk der Wagenia angehörten. Am äußersten Ende des Felsvorsprungs befand sich die Missionsstation, zu der eine steinerne Kirche mit grüngrauem Kupferdach, die Wohngebäude der Priester und Nonnen, die Schulen, das Krankenhaus, Reparaturwerkstätten für die Landwirtschaftsmaschinen, Gemüsegärten und eine Musterfarm, in der Zebus weideten, gehörten. Felder roter Gladiolen leuchteten jenseits der Umzäunung. Blaue Hibiskusbäume und riesige duftende Mimosastauden spendeten Schatten selbst am Mittag.

In einiger Entfernung schienen Lehmhütten wie zufällig entlang der einzigen gepflasterten Straße hingeworfen. Diese war leicht erhöht, damit die Lastwagen in der Regenzeit zwischen Juba und den Kaffeepflanzungen des Kivu den Ort passieren konnten. Beidseits der Straße reihten sich die Läden der mauretanischen Händler aneinander, die mit weiten blauen boubous, bodenlangen Gewändern, bekleidet waren, die Baracken der libanesischen Diamantenhändler, die Lebensmittelläden und die von Portugiesen geführten kleinen Restaurants, die höhlenartigen Geschäftsräume der pakistanischen, indischen und singhalesischen Familien, die jene zartgrünen, roten, violetten, orangefarbenen Stoffe verkauften, aus denen die Kongolesinnen ihre Wickelröcke anfertigten. Stelios, ein bärtiger, sympathischer Grieche mit Donnerstimme, führte das einzige Hotel am Ort.

Wie alle Märkte des Nordens und Nordostens fand auch der Markt von Niangala zweimal pro Woche statt, freitags und sonntags. Auf dem roten Lehmboden sitzend, boten die Bäuerinnen inmitten eines Höllenlärms aus Gegacker, Geschwätz, Gemecker und Geschrei kleine Portionen gerösteter Ameisen und geräucherter Raupen feil, Säckchen mit dicken Mehlwürmern, in Körben zusammengepferchte Hühner, angeleinte junge Affen mit traurigen Augen und räudigem Fell, Ziegen, die die dreckigen Papierschnipsel kauten, mit denen der Platz übersät war, Emailwannen, Korbwaren, Töpferarbeiten, Eisenpfannen, Seife und Blechnäpfe. Schwarze Schweine tummelten sich in der Menge, warfen Körbe um und wühlten in den Haufen faulender Früchte.

Hinter dem nördlichen Ortsausgang wand sich die Piste auf den Hügelkämmen entlang, gesäumt von winzigen Feldern, die den Hang bis zum Gipfel bedeckten, so wenig Land hatte man den Schwarzen zugestanden.

Pater Grégoire vom Sacré-Coeur de Jésus, geborener Hermann Vandamme, hatte die Mission nach dem Vorbild einer Militärgarnison aufgebaut. Er war ein Spätberufener: Vor seiner Priesterweihe hatte er ein halbes Leben lang der belgischen Krone als Marineoffizier gedient. Er verehrte Hierarchie, Gehorsam und Ordnung als Widerspiegelungen göttlicher Gerechtigkeit. So riefen die drei Glocken der Kirche morgens zur Messe, mittags zum Gebet und abends zur Lobpreisung des heiligen Sakraments. Alle getauften Einwohner hatten daran teilzunehmen. Auf die eine oder andere Weise entging keiner der strengen Ordnung, die die Bestellung des Landes, das häusliche Leben und die seltenen Vergnügungen der Bauern reglementierte: Der Orden stellte die Schuluniform der Kinder, gewährleistete kostenlose ärztliche Versorgung und verteilte Medikamente, er nährte die Familien, wenn der Regen ausgeblieben war und eine Hungersnot die Region heimsuchte. Infolgedessen besuchten mehr als 500 Kinder den Religionsunterricht und zahlreiche Erwachsene ließen sich bekehren. Die sudanesischen und malischen Scheichs und Imams mochten wohl rufen: „Mohammed ist groß!“ Jesus aber war reich: Die armen Bewohner der Region füllten die Kirche in der Hoffnung, sich die Gunst ihrer Wohltäter zu sichern.

Etwa zwanzig flämische, wallonische, französische und deutsche Missionare arbeiteten in Niangala, unterstützt von zehn afrikanischen Diakonen. Thomas Lusangi war schon vor zwölf Jahren bei ihnen aufgenommen worden. Alles an ihm verriet den Mischling, seine langen, steifen schwarzen Haare, die hohen Wangenknochen, die kupferfarbene Haut, die schmalen dunklen Augen. Mit seiner schlanken, muskulösen Gestalt, seiner sonoren Stimme gefiel er den Frauen.

Er war in einer Novembernacht des Jahres 1940 auf der Matte einer Strohhütte in Poto-Poto, in Brazzaville, geboren worden. Seine Mutter gehörte den Batetela an, „dem Volk ohne Boden“, das der Sultan von Sansibar seines Landes beraubt hatte. Chinesische Wanderarbeiter, von den Franzosen importiert, hatten in jenen Jahren die Eisenbahn zwischen Brazzaville und dem Atlantikhafen Pointe Noire ausgebaut. In den Nächten ihres Zahltags ergossen sie sich betrunken und verzweifelt in die Straßen von Poto-Poto, schliefen mit einheimischen Frauen, zeugten Kinder. Thomas nahm an, sein Vater sei einer dieser geschundenen Arbeiter gewesen.

Seine Mutter war gestorben, als er acht Jahre alt war. Noch immer empfand er jenes Gefühl von Verrat, von absoluter Verlassenheit, das ihn damals gelähmt hatte. Aus dem bis dahin lebhaften und fröhlichen Kind war ein verschlossener und misstrauischer Junge geworden.

Der Onkel, der ihn zunächst aufnahm, ein bitterarmer Fischer, hatte kein Geld für die Ernährung, die Kleidung, die Ausbildung des Heranwachsenden. Der Dampfer der Missionare von Niangala legte regelmäßig in Brazzaville an. Der Onkel vertraute seinen introvertierten Neffen Pater Grégoire an.

Wie die anderen Schüler hatte Thomas in der Mission lesen und schreiben gelernt. Er las viel. Gegenüber den Afrikanern seines Alters brüstete er sich mit seinen bruchstückhaften Kenntnissen der Philosophie und der Naturwissenschaften.

Als Mischling wurde er von seinen schwarzen Altersgenossen geschnitten. Arroganz war seine Verteidigung. Was seine Einsamkeit noch verstärkte.

Oft ließ der Prior den jungen Mann zwischen dem Angelusläuten und dem Abendessen, wenn rosiger Dunst aus dem Tal des Kapili aufstieg, in sein Arbeitszimmer rufen. Sobald man über die Schwelle des kargen Raums trat, erstarb der Lärm der Mission. Pater Grégoire erwartete seinen Besucher stehend, trotz seiner von Arthritis gemarterten Knie. Mit einem flüchtigen Lächeln forderte er Thomas auf, sich auf den Holzhocker ihm gegenüber zu setzen. Im Allgemeinen fragte er ihn ein oder zwei Stunden lang nach seiner Arbeit, lieh ihm Bücher, erkundigte sich nach seiner Lektüre. In Gegenwart Pater Grégoires verlor Thomas sein Misstrauen. Er verehrte den Prior, er bewunderte, er liebte ihn. Pater Grégoire war der Vater, den er so lange gesucht hatte. Doch schon lange vor dem Massaker in der Höhle des Kapili hatte die Beziehung zwischen Hermann Vandamme und seinem Schützling sich zu verschlechtern begonnen. Der Mestize ertrug nicht den Anblick der Kinder, die die Bäuerinnen aus dem Busch an den Behandlungstagen zum Pater Arzt in die Krankenstation brachten. Die faltigen Gesichter der unterernährten Säuglinge empörten ihn. Er wandte seinen Blick ab von den an Kwashiorkor leidenden Heranwachsenden, die mit ihren spärlichen roten Haaren und aufgedunsenen Bäuchen auf dünnen Beinchen einherschwankten. Die Erschöpfung der Mütter, ihre Unterwerfung unter ein blindes Geschick erbitterten ihn.

An diesem Spätnachmittag in Pater Grégoires Arbeitszimmer brachen Wut und Zorn aus ihm heraus.

„Hochwürden, ich ertrage es nicht mehr! Ich fühle mich wie ein Blutsauger. Ich lebe friedlich in der Mission, ich esse jeden Tag und sehe als Zuschauer dieses langsame Sterben. Kwashiorkor! Bilharziose! Malaria! Unterernährung! Mir kommt vor, Ihr haltet das für die normalste Sache der Welt.“

Der Prior kannte diese Zornausbrüche introvertierter Menschen, die sich ereiferten und nur durch Autorität zur Vernunft gebracht werden konnten. Im Übrigen, wer hatte dieses Unbehagen allen Gewissheiten zum Trotz nicht schon selbst erlebt? Doch darauf gab es nur eine Antwort.

„Wer bist du, dass du es wagst, dich gegen die Vorsehung aufzulehnen? Erfülle deine Pflicht, jeden Tag. An deinem von Gott dir zugewiesenen Platz. Nach bestem Wissen und Gewissen. Mit all deinen Kräften. Studiere, meditiere über der Heiligen Schrift, bereite dich vor auf ein nützliches Leben, auf ein Leben in Pflichterfüllung. Gott verlangt nicht das Unmögliche. Glaube an sein Erbarmen. Sei demütig. Warte, dass dir die Erleuchtung zuteil wird. Gott weiß besser als du um das Leid seiner Kinder. Er ist ihr Schöpfer, ihr Gott.“

Thomas schwieg verstockt.

„Die Glückseligkeit ist nicht von dieser Welt. Das Leid ist unser aller Los. Die Kinder werden im Jenseits glücklich sein.“

Thomas lachte bitter. Wie angestachelt fuhr der Prior fort.

„Willst du die Welt umstürzen? Alle Ungerechtigkeit besiegen? Du kannst nicht das Elend beheben. Du bist nicht der liebe Gott! Hüte dich, mein Freund, vor der Sünde des Hochmuts. Denk daran, allem Leid wohnt ein unergründlicher Sinn und Nutzen inne. Unser Herr hat am Kreuz...

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