Das Buch der Leiden

Das Buch der Leiden

von: Far?d od-D?n Att?r

Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN: 9783406697630

Sprache: Deutsch

400 Seiten, Download: 3199 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Das Buch der Leiden



ʿAttār und das «Buch der Leiden»


Von Monika Gronke

Farīd od-Dīn ʿAttār gehört zu den bedeutendsten iranischen Dichtern und Mystikern des Mittelalters, dem in der kulturellen Tradition Irans ein sehr hoher Rang zugemessen wird. Alle seine Werke haben in zahllosen Bildern und Allegorien die Suche der menschlichen Seele nach dem Absoluten, dem Einswerden mit Gott, und ihre Sehnsucht nach ihrem göttlichen Ursprung und Ziel zum Thema. ʿAttār ist ein unerreichter Meister nicht nur in der Anwendung aller in der persischen literarischen Tradition vorhandenen Kunstmittel, sondern er versteht es auch, durch seine reiche Phantasie, die Fülle seiner Ideen und die poetische Schönheit seiner Sprache den Leser zu fesseln und mitzureißen. Dennoch ist über ʿAttār, auch von iranischen Wissenschaftlern, weitaus weniger geforscht worden als über andere iranische Autoren wie Ferdausī (gest. 1019 oder 1025), Hāfis (gest. 1389) und andere. Das umfangreiche Werk des deutschen Orientalisten Hellmut Ritter aus dem Jahre 1955 über die mystischen Epen ʿAttārs, dessen Titel «Das Meer der Seele» das entscheidende Element des «Buches der Leiden» aufnimmt, ist bis heute unübertroffen und hat keinen Nachfolger im eigentlichen Sinne gefunden. Ebenso sind die Werke ʿAttārs noch nicht vollständig ins Deutsche übersetzt worden, obwohl sie es verdienen würden.

Leben und Werk ʿAttārs


Der volle Name ʿAttārs lautet Abū Hāmed Mohammad b. Abī Bakr Ebrāhīm, nach anderer Quelle b. Saʿd b. Yūsof. Farīd od-Dīn war sein literarisches Pseudonym ebenso wie ʿAttār, «Drogist, Apotheker», seine Berufsbezeichnung. Nach neueren Forschungserkenntnissen wurde er um 1145/46 in Nischapur in Nordostiran geboren. Er verließ seine Heimatstadt selten und starb bei der Eroberung Nischapurs durch die Mongolen im Jahre 1220. Als Apotheker konnte ʿAttār von seinem Einkommen leben und war nicht auf die Gunst von Fürsten angewiesen; oft kritisierte er diejenigen Dichter, die sich den Fürstenhöfen andienten.[1]

Zur Zeit von ʿAttārs Geburt gehörte Nischapur zum Reich der Seldschuken. Seit dem Jahr 1118 herrschte der Seldschukensultan Sandschar (getötet 1157), dessen Macht allerdings bereits im Rückgang begriffen war. Türkische Nomaden aus dem Volk der Oghuzen, die zuvor auf Sandschars Seite gestanden hatten, wandten sich nun gegen ihn und überfielen in der Folge im Jahre 1153 Nischapur und richteten große Verwüstungen in der Stadt an. Einer der Heerführer Sultan Sandschars konnte die Nomaden jedoch wieder vertreiben und bescherte Nischapur bis zu seinem Tode im Jahre 1174 eine Periode relativen Friedens und Wohlstandes. Häufig litt die Stadt aber unter Erdbeben, von denen ein besonders schweres für das Jahr 1208/09 verzeichnet wird. Alle diese Unglücksfälle waren jedoch nur das Vorspiel zu einem noch größeren Unheil, das Nischapur im April 1220 mit der Eroberung durch Dschingis Khans Sohn Tolī traf. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört, die Bewohner niedergemetzelt: Bei diesem Ereignis fand auch ʿAttār den Tod.

Außer diesen wenigen Daten ist über ʿAttārs Leben kaum etwas bekannt. Möglicherweise gibt ʿAttār selbst in seinem wohl berühmtesten Werk «Vogelgespräche» (Manteq ot-teyr) das Datum seiner Fertigstellung an, nämlich das Jahr 1177. Da aber der entsprechende Vers nicht in allen Handschriften des Werkes vorkommt, ist auch dieses Datum nicht gesichert.[2]

Unter dem Strich lässt sich eigentlich nur feststellen, dass ʿAttār zu seinen Lebzeiten außerhalb seiner Heimatstadt nicht sehr bekannt war. Das sollte sich erst im 15. Jahrhundert ändern, als sich aus bisher nicht geklärten Gründen zahlreiche Autoren mit ihm und seinem Leben beschäftigten. Allerdings schmückten sie seine Lebensumstände mit vielen erfundenen geheimnisvollen Einzelheiten aus.[3] So gibt etwa der persische Gelehrte und Literat Dowlatschāh (gest. nach 1487) seine Lebensdauer nach der Jahreszählung der Hidschra mit 513–627 an, was nach dem christlichen Kalender 1119–1230 entspricht. Nach dieser Rechnung wäre ʿAttār 114 Jahre alt geworden,[4] hätte also ebenso viele Jahre gelebt, wie der Koran Suren hat. Ebenso wird die Anzahl seiner Schriften später verschiedentlich mit der magischen Zahl 114 angegeben.[5] Von Mythenbildung geprägt sind auch Erzählungen über das Zusammentreffen ʿAttārs mit berühmten Sufis oder die Verbindung ʿAttārs zu einem Sufimeister. Die einzige mögliche Verbindung zu einem solchen Meister, die ʿAttār selbst andeutet, ist die zu einem verstorbenen und nur im Geist anwesenden Lehrer, welche ihn als der mystischen Richtung der Oweysī nahestehend ausweisen würde. Diese Bezeichnung verweist auf einen Zeitgenossen Mohammeds, Oweys al-Qaranī im Jemen, der dem Propheten niemals begegnet ist; Mohammed soll jedoch von seiner Frömmigkeit gewusst haben. Für spätere Generationen verkörperte Oweys deshalb den von Gott inspirierten Mystiker, der den Propheten ohne äußere Verbindung kannte. Ein Oweysī ist also jemand, der ohne die Leitung eines lebenden Meisters zur mystischen Erleuchtung gelangt ist.[6] Der von ʿAttār mehrfach als Abū Saʿīd aus Meyhaneh erwähnte Lehrer wäre Abū Saʿīd Fazlollāh b. Abī ʾl-Kheyr Ahmad Meyhānī (967–1049), ein berühmter Mystiker aus Meyhaneh, einer kleinen Stadt in Khorasan im Nordosten Irans.[7]

Einzig ein von dem persischen Gelehrten und Mystiker Dschāmī (gest. 1492) erwähntes Ereignis besitzt historische Wahrscheinlichkeit: der Besuch Dschalāl ad-dīn Rūmīs (1207–1273) mit seinem Vater bei ʿAttār im Jahre 1219, als sich beide auf der Flucht aus Balkh vor den mongolischen Heeren in Nischapur aufhielten. ʿAttār soll dem jungen Rūmī ein Exemplar seines «Buches der Geheimnisse» (Asrārnāmeh) geschenkt und seinem Vater geweissagt haben, dass sein Sohn einst ein berühmter Mystiker sein werde[8] – was sich dann auch erfüllte. Badiʿozzamān Forūzānfar hat in einer umfangreichen, tiefschürfenden Untersuchung eine Verbindung zwischen ʿAttār und Rūmī nachgewiesen und gezeigt, dass in 35 Erzählungen Rūmīs der Einfluss von ʿAttārs Werken zu erkennen ist.[9]

Ebenso problematisch wie die Biographie ʿAttārs ist die Zuordnung der angeblich von ihm verfassten Schriften. Im Laufe der Zeit wurden ʿAttār immer mehr Werke zugeschrieben, wie die bereits erwähnte Anzahl von 114 deutlich macht. Nach genauen philologischen Untersuchungen kommen die Gelehrten Hellmut Ritter (Frankfurt, 1892–1971) und Saʿīd Nafīsī (Teheran, 1895–1966) zu dem Ergebnis, dass das ʿAttār zugeschriebene Gesamtwerk in drei Gruppen zu unterteilen ist. Die Werke der ersten Gruppe, zu der unter anderen die mystischen Epen «Vogelgespräche», das «Buch der Geheimnisse», das «Buch Gottes» (Elāhīnāmeh) und das vorliegende «Buch der Leiden» (Mosībatnāmeh) gehören, sind unzweifelhaft von ʿAttār verfasst. Die zweite und dritte Gruppe ordnet Nafīsī einem anderen Autor namens ʿAttār zu, der etwa 250 Jahre später in Maschhad lebte. Während die Zuordnung der dritten Gruppe durch Nafīsī unbestritten ist, weist Ritter darauf hin, dass das Manuskript des Hauptwerkes der zweiten Gruppe, «Der Edelstein des Selbst» (Dschowhar az-Zāt) mit dem Abfassungsjahr 1334/35, weder von dem ersten noch von dem zweiten ʿAttār stammen kann,[10] so dass die Autorschaft der Werke der zweiten Gruppe ein bisher ungelöstes Rätsel bleibt.

ʿAttār war ein frommer Muslim und Mystiker, der von vielen Gelehrten sogar als der größte Dichter der persischen Mystik angesehen wird. Zugleich war er ein meisterhafter Erzähler von Geschichten, in denen er mystische Themen durchdachte und veranschaulichte und sie in klarer poetischer Sprache auszudrücken verstand. Die spätere mystische Tradition reiht ʿAttār unter die Märtyrer der mystischen Liebe ein, die wegen ihrer überflutenden göttlichen Liebe von den orthodoxen Muslimen bzw. in seinem Fall von den ungläubigen Mongolen umgebracht wurden.[11]

Die Mystik


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