Sweet Occupation - Roman

Sweet Occupation - Roman

von: Lizzie Doron

dtv, 2017

ISBN: 9783423431613

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 730 KB

 
Format:  EPUB

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Sweet Occupation - Roman



September 2014


Jerusalem

Ein Café im Park, am Rand der Stadt, neben einem künstlich angelegten Teich. Die Sonne ist nach den brennenden Tagen im Juli und August schon müde geworden, ein paar Wolken segeln über den Himmel und eine leichte Brise vertreibt den Geruch der glühend heißen Tage.

Ich komme zu früh. Ich setze mich an den Rand der Caféterrasse mit Blick in den Park und beobachte den Weg. Araber kommen immer zu spät. Es heißt, wenn man sich mit ihnen verabredet, sagen sie: »Warte fünf Minuten, ich komme in zwanzig.«

Ich überlasse mich dem Wind, der mir den Schweiß auf der Stirn trocknet.

Nach etwa zehn Minuten taucht Mohammed auf.

»Ich bin hocherfreut, dass du einem Treffen zugestimmt hast«, sagt er feierlich.

Ich und ein Mörder, zusammen in einem Café? Es sind immer dieselben Gedanken. Wen hat er umgebracht? Auch Kinder und Frauen? Ich grübele, und zweifellos bemerkt er die Veränderung auf meinem Gesicht.

Der Kellner kommt, aber wir bestellen noch nichts. »Wir erwarten noch jemanden«, erklärt Mohammed.

Sein Handy klingelt. Ich hoffe, er antwortet, damit mir etwas Zeit bleibt, mich zu sammeln. Doch er drückt das Gespräch weg und legt das Handy auf den Tisch.

»Wer ist das?« Ich wundere mich selbst über meine Frage, als ich das Bild auf dem Display sehe.

»Meine Tochter«, sagt er mit einem breiten Lächeln.

Ich betrachte ihre dunklen Augen, die vollen schwarzen Haare.

Kinder sind gut, man lächelt eher, wenn man über Kinder spricht.

»Wie alt ist sie?«

»Fünf.«

»Wie viele Kinder hast du?«

»Drei Töchter. Die älteste ist sechsundzwanzig, die mittlere zweiundzwanzig, und das ist die kleinste, Papas Liebling.«

»Wie alt bist du?«, will ich wissen.

»Vierundvierzig«, antwortet er.

»Und du hast eine Tochter von sechsundzwanzig, eine von zweiundzwanzig und eine von fünf?«, frage ich. »Wie viele Frauen?«

»Eine Frau.«

»Wie geht das?«

»Ist das ein Verhör«, fragt er, aber er lächelt dabei.

»Nun, eine sechsundzwanzigjährige Tochter? Hast du schon gleich nach der Geburt geheiratet?«

»Ich war siebzehn, als wir erfuhren, dass meine Mutter Krebs hatte.«

»Das tut mir leid«, sage ich.

»Was tut dir leid? Hör doch erst einmal zu. Ihr habt keine Geduld zum Zuhören, ihr kommt sofort zu Einsichten, und dann tut euch etwas leid, was euch nicht leidzutun braucht.«

»Dann tut es mir eben nicht leid.«

Wieder ein Lächeln. Ein nachsichtiges. »Aufgrund der Situation meiner Mutter erklärte mir mein Vater, dass ich mir eine Frau suchen müsse. Wir sind fünf Söhne, ich bin der älteste, »und ohne Frau bricht das Haus zusammen«, sagte er.

Araber.

»Nach zwei Wochen traf ich an der Universität ein junges Mädchen aus Galiläa, und einen Monat später waren wir schon verheiratet. Und jetzt«, sagt er ernst, »jetzt kannst du sagen: ›Es tut mir leid.‹«

Aber dafür lässt er mir keine Zeit.

»Nach einem Jahr, als meine Frau im Kreißsaal war, lag meine Mutter auf dem Operationstisch, und der Arzt teilte uns mit, sie habe kaum Chancen zu überleben. Die Tochter, die uns geboren wurde, nannten wir Madjda, nach meiner Mutter, aber ein paar Tage später stellte sich heraus, dass der Tumor diesmal gutartig war. Wir waren überglücklich, und so kam es, dass ich erst achtzehn war und mit Sofie und Madjda, meiner Tochter, und Madjda, meiner Mutter, und mit meinen Brüdern zusammengedrängt in einem kleinen, engen Haus lebte, schon deshalb leide ich an Klaustrophobie.«

Seine Offenheit verblüfft mich.

»Ein Palästinenser mit Klaustrophobie, das passt nicht gerade gut zusammen«, sage ich.

Er übergeht meine Bemerkung. »Soll ich weitererzählen?«, fragt er zögernd.

»Natürlich«, sage ich. Was mich betrifft, ich finde Reden immer leichter zu ertragen als Schweigen.

»In jenem Jahr schrieb ich mich zur Vorbereitung eines Jurastudiums an der Universität ein. Sofie und Madjda blieben zu Hause, und ich verbrachte meine Zeit in der Bibliothek. Und dort, sozusagen schlagartig, verliebte ich mich in die Bibliothekarin. Glaub mir, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Was sollte ich zu meinem Vater sagen, was zu meiner Frau? Bei uns steht die Familie über allem. Bis ich eines Tages zu Hause ein paar Sachen packte und zu Ilana zog, ins Haus ihrer Eltern in einer landwirtschaftlichen Siedlung. Anfangs waren sie nicht misstrauisch, denn ich sah gut aus, und für euch gibt es keine gut aussehenden Araber.«

Fast hätte ich ihm geschmeichelt, aber ich beherrschte mich.

»Nach ein paar Monaten, als ihr Vater herausbekam, dass ich Araber war, kippte die Stimmung, es dauerte nicht lange und er ging mit einer Spitzhacke auf mich los. Wir flohen nach Jerusalem. Wir wohnten bei einer alten Frau, die uns unter der Bedingung, dass wir uns um sie kümmerten, ein Zimmer vermietete. Sie war kinderlos und ein bisschen senil. Am Schluss erzählte sie den Nachbarn, sie habe ihren Sohn wiedergefunden, der Sohn, der ihr 1948 im Krieg umgekommen war. Ehrlich gesagt, ich sehne mich nach ihr, ich hatte sie sehr gern.«

Beginne auch ich, wie die alte Frau, diesen Mann zu mögen?

Ich weiche zurück. He, nicht so nahe.

Er senkt die Stimme. »Eines Tages, als ich in der Mittagspause die Cafeteria der Universität betrat, hörte ich plötzlich die Stimme Sofies, meiner Frau. ›Madjda, darf ich dir vorstellen, das ist dein Vater‹, sagte sie. Mir blieb das Herz stehen. Ich beschloss, nach Hause zurückzukehren. Es stellte sich heraus, dass in der Zeit unserer Trennung zwei meiner Brüder geheiratet hatten. Als ich weggegangen war, waren wir zehn Personen im Haus gewesen, und als ich zurückkehrte, waren wir schon zwölf. Und dabei war unser Haus ohnehin eine Art Gefängnis.«

»Aber was ist mit Ilana passiert?« Ich spüre, dass der Knoten in meinem Bauch sich löst.

»Nach ein paar Monaten verließ ich abermals mein Zuhause, um mit ihr zu leben. Meiner Meinung nach waren wir glücklich, aber eines Tages fand ich sie in der Badewanne unter Wasser, sie hatte versucht, sich umzubringen. Die Ärzte erklärten, sie sei manisch-depressiv. Mir war sofort klar, dass sie sich in einer manischen Phase in mich verliebt hatte, wie hätte sie sich sonst in einen Araber verliebt?« Er verzieht das Gesicht zu einem bitteren Lächeln.

»Ich war weiter verliebt. Fast ein Jahr lang besuchte ich sie Tag für Tag, sprach ihr Mut zu und sagte, wir würden bessere Tage haben, ich versprach ihr, dass wir glücklich sein würden, und der Unsinn, den ich ihr erzählte, beruhigte auch mich selbst. Doch eines Tages kam ich in die Klinik und Ilana war nicht mehr da. Ich flehte, aber niemand wollte mir sagen, wo sie sich aufhielt. So geschah letztlich das, was geschehen musste: Ich kehrte nach Hause zurück. Und Sofie wurde wieder schwanger. Als Mira, unsere zweite Tochter, geboren wurde, war ich zweiundzwanzig. Ich lebte in einem Haus mit meiner Frau, zwei kleinen Töchtern, einem Elternpaar, vier Brüdern, zwei Schwägerinnen, die damals ebenfalls schwanger waren, und niemand vertraute mir, man sprach kaum mit mir. Ich, der ich der älteste und meistgeliebte Sohn gewesen war, der, von dem man am meisten erwartet hatte, war zu einem Dorn in ihrem Fleisch geworden, ein Mann, der gereizt im Haus herumlief und davon träumte, vor allem und jedem zu fliehen, der insgeheim darum betete, Ilana zu finden und mit ihr zu leben, und sei es in der Psychiatrie. Schon damals sagten sie, Allah habe etwas in mir angerichtet und mir ein seltsames Leben bestimmt.«

Ich suche nach einer passenden Antwort, finde aber keine, schweig besser, sage ich mir.

»Damals begann die große Party – Feuer, Steine, Handgranaten, Gummigeschosse. Es war das Jahr 2000, und schon die zweite Intifada in meinem Leben. Ich hatte gerade meine Prüfungen im Proseminar abgeschlossen und bereitete mich weiter auf das Jurastudium vor, fürchtete aber, dass euer Justizministerium einem aus Ras al-Amud, dessen ganze Familie im Gefängnis war, keine Bewilligung erteilen würde.«

Nun, sie waren bestimmt nicht grundlos dort gelandet.

»Und dann, vielleicht wegen Ilanas Hospitalisierung, entschloss ich mich, Sozialpädagogik zu studieren. Ich hoffte, dass ich nach Beendigung des Studiums in einer psychiatrischen Klinik arbeiten könnte, dort kannte ich mich ja schon ein bisschen aus.«

Er will fortfahren, aber unser Gespräch wird plötzlich unterbrochen.

»Da ist er ja«, ruft Mohammed und deutet auf einen jugendlich aussehenden Mann mit Bart, dunklen Locken, schlank, hochgewachsen, in Jeans und mit einer lockeren Kafiya um den Hals. Auf dem Rücken trägt er einen Rucksack, als sei er unterwegs zu einem Treck in den Anden.

Suliman. Mohammed will, dass ich heute seine Geschichte höre, aber erst während des Gesprächs wird mir klar, dass Suliman sich fast eine Stunde verspätet hat.

»Ich kenne mich hier nicht aus, im Ernst, ihr habt mich in einen Garten Eden gelockt.« Suliman atmet tief. Er bleibt noch einen Moment stehen und schaut sich um, und erst dann stellt er seinen Rucksack ab und sinkt auf einen Stuhl. Er habe die Erlaubnis, das Land der Juden zu betreten, betont er, aber aus Angst, er würde am Checkpoint Qalandia zu lange aufgehalten werden, habe er einen Umweg gewählt.

»Was bin ich dumm«, bemerkt Mohammed, »ich habe ihn auf der anderen Seite des Checkpoints erwartet, bis mir klar wurde, dass ich mich seinetwegen verspäten würde.« Seine Worte waren voller Sympathie.

»Ich bin über die Berge gekommen«, sagt der etwas nervöse junge Mann. »Ich...

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