Ostwind - Aufbruch nach Ora - Das Buch zum Film

Ostwind - Aufbruch nach Ora - Das Buch zum Film

von: Almut Schmidt, Lea Schmidbauer

cbj Kinder- & Jugendbücher, 2017

ISBN: 9783641218584

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 6462 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ostwind - Aufbruch nach Ora - Das Buch zum Film



1. Kapitel


Stille umgab den See in der Morgensonne. Lichtpunkte tanzten wie Sterne auf dem kristallklaren Wasser. Es duftete nach frischem Grün. Leise Hufschläge näherten sich. Eine hellbraune schlanke Stute trat ans Ufer, sah sich wachsam um, senkte den Kopf und trank. Eine weitere Pferdenase schob sich ans Wasser. Und noch eine. Schließlich stand eine kleine Herde am See. Gierig saugten sie das kühle Nass auf.

Plötzlich hob die Stute den Kopf und stieß ein durchdringendes Wiehern aus. Sofort kam Bewegung in die Herde. Die ersten Pferde drehten auf der Hinterhand um, ihre wirbelnden Hufe ließen Wasserfontänen aufspritzen. Im Galopp brachen sie durch Sträucher und Gräser die Böschung hinauf und jagten hinaus auf die weite Ebene. Vereinzelte Korkeichen säumten die Steppe, dahinter erhoben sich schroffe Felsen. In lang gezogener Formation preschte die Herde dahin, eine Staubfahne hinter sich herziehend.

Ganz vorn galoppierte die hellbraune Stute, an ihrer Seite ein schwarzer Jährling. Dann geschah etwas Seltsames: Statt weiter voranzusprengen, begann die Herde im Zickzack zu laufen, änderte immer wieder abrupt die Richtung, trabte in Schlangenlinien. Der Staub wurde zu einer dichten Wolke, in der sich das Trommeln der Hufe schließlich in der Ferne verlor.

Langsam sank der Staub zu Boden. Stille. Die Herde war verschwunden, aber ihre Hufabdrücke hatten etwas zurückgelassen. Im blassgrünen Gras der Steppe war deutlich ein übergroßes Symbol zu erkennen: eine fünfzackige Blüte, darunter zwei parallele Wellenlinien.

»Hallo?«

Die Stimme sickerte wie durch Watte an Mikas Ohr. Die Steppe aus ihrem Traum verblasste.

»Hallooo?« Die Stimme wurde lauter. Und aufgebrachter. »Schläft sie etwa?«

Wie aus weiter Ferne hörte Mika ihren Freund Sam eine Entschuldigung stammeln. »Nein, natürlich nicht. Sie, äh … denkt nach!«

Ein unsanfter Tritt traf Mika am Schienbein. »Mika!«

Sie schrak hoch. »Was, wo, wer?« Mika brauchte eine Weile, bis sie wieder wusste, wo sie war. Nicht in der hellen, lichtdurchfluteten Steppe aus ihrem Traum, sondern in der Reithalle von Gut Kaltenbach. Das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Kurz rieb sie sich den schmerzenden Nacken. Da war sie doch tatsächlich auf diesem unbequemen Regiestuhl eingeschlafen, mit nach hinten gekipptem Kopf. Hoffentlich hatte sie wenigstens nicht gesabbert.

Mika blickte hoch. Direkt vor ihr ragte ein Schimmel wie ein Turm empor. Auf seinem Rücken thronte seine Reiterin, Frau Düsenberg-Oldermann. Sie musterte Mika mit empörtem Blick.

»Ich habe das volle Paket bezahlt und bin den ganzen weiten Weg hierhergekommen, um herauszufinden, was mit meinem Pferd nicht stimmt.« Aus ihrem perfekt geschminkten Mund kam ein verächtliches Lachen. »Und jetzt so was!« Sie schien nicht fassen zu können, dass ihre Trainerin mitten in der Stunde eingeschlafen war.

Mika setzte sich auf und sah dem Schimmel für einen Moment tief in die traurigen Augen. Sie spürte genau, was er sagen wollte. Mika seufzte. »Mit ihrem Pferd stimmt alles. Das Problem sind Sie.«

Frau Düsenberg-Oldermann verschlug es für einen Moment die Sprache, und auch Sam sah Mika entsetzt an.

»Also, das ist ja wohl …« Die Reiterin wusste offenbar nicht, ob sie schreien oder heulen sollte. Wutentbrannt packte sie die Zügel und bohrte dem Schimmel ihre Absätze in den Bauch. »Das habe ich nicht nötig, mir so etwas anzuhören!«, zischte sie. »Empedokles, wir gehen.« Der Schimmel verharrte wie ein Denkmal. »Los, vorwärts!« Mit aller Kraft presste die Frau ihre Beine zusammen. Mit dem Erfolg, dass ihr Pferd rückwärts lief. Frustriert ließ sie die Zügel fallen und deutete anklagend auf Mika. »Da! Sehen Sie, wie er mich ignoriert? Sehen Sie das?«

Mika zuckte mit den Schultern. »Ja. Er ignoriert Sie, weil Sie das Gleiche mit ihm tun.«

Frau Düsenberg-Oldermann fiel fast die Schminke aus dem Gesicht. »Was?« Sie brach in ein ungläubiges Lachen aus. Dann bedachte sie Mika mit einem kalten Blick. »Unverschämtheit!«

Bevor sie weitere Schimpftiraden loslassen konnte, stand Mika auf, drehte sich um und stapfte aus der Halle. Draußen lehnte sie sich gegen das Tor und atmete tief durch. Warum war es manchmal so schwierig? Warum verstanden die Leute einfach nicht, was die Pferde ihnen sagen wollten?

Für einen Moment schloss Mika die Lider. Bilder aus ihrem Traum tauchten in ihrem Kopf auf. Ein schwarzes Pferd, das im Zickzack über die weite Steppe lief, ein seltsames Symbol im Gras …

Mika riss die Augen auf. Plötzlich sah sie das Symbol so deutlich vor sich wie auf einer Zeichnung. Und sie hatte das komische Gefühl, es auf keinen Fall vergessen zu dürfen. Hastig zog sie einen Stift aus ihrer Jackentasche und malte das Zeichen auf ihren Handrücken: eine fünfzackige Blüte mit zwei Wellenlinien darunter.

Trotz des kühlen Herbstwetters war auf Kaltenbach auch heute wieder eine Menge los. Auf einem neuen großen Schild im Innenhof stand in geschwungener Schrift: »Therapiezentrum Gut Kaltenbach«. Das Logo daneben zeigte eine Kentaurin: halb Mensch, halb Pferd – eine Idee von Herrn Kaan, Mikas Lehrmeister.

Seit der Eröffnung vor einigen Monaten strömten die Leute nur so auf das Gestüt. Sie alle hatten das YouTube-Video von Mikas atemberaubender Dressurkür mit Ostwind gesehen und wollten die »Kentaurin« live erleben.

Gruppen von Reitschülern wuselten umher, Lachen und Gesprächsfetzen hallten über den Hof. Pferde wurden geputzt oder zur Weide geführt, im Hintergrund parkten Pferdeanhänger von Kunden, die mit ihrem Vierbeiner von weit her gekommen waren.

Mit zufriedenem Blick betrachtete Maria Kaltenbach den Trubel. Wenn das so weiterging, wäre Kaltenbach seine Schulden bald los. Allerdings gehörten zur neuen »Kundenfreundlichkeit«, wie Sam es nannte, auch Termine wie der, der ihr jetzt bevorstand. Eine Frau wollte sich den Hof zeigen lassen, bevor sie ihre Tochter anmeldete. Eigentlich führte Maria Kaltenbach die Gäste gerne herum, aber die Dame und deren Tochter schienen den Reiterhof mit einer Modenschau zu verwechseln. Mit weißer Pelzjacke und klimperndem Goldschmuck war jedenfalls noch niemand hier aufgekreuzt. Die Lieblingsfarbe des Mädchens dagegen war eindeutig Pink – von der Mütze bis zur Reithose.

»Es geht uns hier in Kaltenbach vor allem um einen freiheitlichen Umgang mit den Pferden«, begann Maria Kaltenbach zu erklären und machte mit der Hand eine unbestimmte Geste quer über den Hof. Wie hieß noch mal dieses neumodische Wort dafür?

»Natural Horsemanship«, flüsterte Tinka, die mit einem Clipboard im Arm neben ihr lief.

Maria Kaltenbach stockte kurz. »Gibt es da kein deutsches Wort?«

Tinka verdrehte die Augen. So hieß das eben!

Aber Maria hatte sich schon wieder gefangen und redete munter weiter. »Natürliche Reitkunst, nennen wir es doch so. Jedenfalls …«

»Da ist sie«, kreischte das kleine Mädchen plötzlich und zeigte aufgeregt auf Mika, die weiter hinten über den Hof lief. »Ich hab sie auf YouTube gesehen!«

Nicht schon wieder. Hatte wirklich jedes Mädchen auf diesem Planeten Fannys Video angeklickt? Mika zog sich die Mütze ins Gesicht und wollte unauffällig verschwinden.

»Mika, kommst du mal bitte und sagst Hallo?«, hörte sie die Stimme ihrer Oma. Okay, das konnte sie jetzt nicht mehr ignorieren.

Mit einem schiefen Grinsen ging Mika auf die Gruppe zu. Oh nein – filmte das Mädchen sie etwa auch noch? Unverwandt hielt die Kleine ihr Handy mit der glitzernden pinkfarbenen Hülle in Mikas Richtung.

»Hallo.« Mehr fiel Mika gerade nicht ein.

»Die kleine Sabina hier möchte …«, begann Maria Kaltenbach.

Mit einem affektierten Lächeln schaltete die Mutter sich ein. »Sha-qui-na«, verbesserte sie Maria.

»Aha.« Mikas Großmutter atmete leicht genervt ein, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Sie war schon mit ganz anderen Kalibern fertig geworden. »Also«, fuhr sie fort. »Die kleine DAME würde gerne lernen, ein bisschen zu … äh …«

»Pferdeflüstern«, platzte es aus dem Mädchen heraus. Es ließ kurz das Handy sinken und strahlte Mika an wie eine Erscheinung.

Mika und Tinka tauschten einen Blick. »Äh, na klar«, murmelte Mika.

Unbemerkt schob in diesem Moment Archibald, Tinkas schwarz-weiß geschecktes Pony, seinen Kopf über die Schulter von Shaquina – und schnappte sich zielstrebig das Glitzerhandy, drehte sich um und trabte eilig mit seiner Beute davon.

Mika konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Seit wann stand Archi auf Pink?

»Hey«, schrie die Kleine und sah dem Pony unglücklich hinterher.

»Archi, was soll denn das?« Tinka hechtete ihm nach. »Stopp, bleib stehen!«

Ihre hastige Bewegung erschreckte das Pony, es ließ das Handy fallen – direkt in eine schlammige Pfütze. In Sekunden überzog Matschbraun das grelle Pink.

Entgeistert...

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